Seit Stunden schwingt Augustin Muhangi seine rostige Machete. Von links oben nach rechts unten und dann von rechts oben nach links unten. Bei so viel Buschwerk, das er und die anderen Ranger Tag um Tag roden, müsste man kilometerweit in die Ferne schauen können, ohne dass ein einziges Blatt die Sicht verdeckt. Doch wenn sich Augustin eine Schneise geschlagen hat, ist sie wenige Tage später wieder zugewuchert. Der Bwindi-Regenwald ist stärker. „Impenetrable" ist sein Beiname. Undurchdringbar.
Dieser Dschungel ist eines der letzten Refugien, in dem Berggorillas leben. Hier, im äußersten Südwesten Ugandas, und im Grenzgebiet zu Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo. 350 Quadratkilometer in Bwindi, etwa 100 mehr sind es im nahegelegenen Virunga-Nationalpark, insgesamt eine Fläche nicht viel größer als Köln.
Die Tiere wurden fast ausgerottet, weil der Mensch sich immer weiter ausbreitet. Wilderer jagen Gorillas und stellen Fallen für Antilopen auf, in die auch Affen geraten und dann dort verenden. Deren Lebensraum schrumpft, weil Tropenhölzer und Rohstoffe aus dem Boden gefragt sind. Farmer töteten Gorillas, wenn sie ihren Feldern zu nahe kamen.
Das Leben der Batwa hat sich verändertDie Regierung in der Hauptstadt Kampala reagierte mit einem umfassenden Schutzprogramm. Seit Beginn der 90er Jahre ist Bwindi ein Nationalpark. In den Wald darf seitdem nur noch rein, wer eine Erlaubnis hat. Touristen können Wanderungen zu den Gorillas buchen. Mehrere 100 Dollar kostet ein solches Ticket. Nur maximal acht Besucher dürfen die Ranger pro Tag und Gorillafamilie in den Dschungel führen. Die strengen Restriktionen sind ein Erfolg. Die Population hat sich allmählich erholt, in Bwindi leben heute etwa 400 Tiere, ein paar mehr im benachbarten Virunga-Nationalpark.
Nur: Das Ende des Konflikts Mensch gegen Tier entfachte einen anderen: Mensch gegen Mensch.
Prisca Niramagoyes gesamtes Leben hat sich verändert. Niramagoye ist eine Batwa. Sie gehört zu einem Pygmäenvolk, das einst in den Regenwäldern der Region lebte. Sie geht gekrümmt, trägt tiefe Furchen im Gesicht, einen vom Leben matt gewordenen Blick. Und behauptet, 120 Jahre alt zu sein, überprüfen lässt sich das nicht. Niramagoye ist Medizinfrau und weiß, welche Kräuter als Tee gegen Magenkrämpfe helfen, mit welchen Blättern sich Wunden am besten verbinden lassen und welche Wurzeln Kraft geben.
Die Bakiga hat keiner gefragtDie Batwa lebten jahrhundertelang im Regenwald. Bis zu 2500 Menschen sollen dem Stamm angehört haben. Sie sammelten Beeren, Früchte, wilden Honig. Aus Ästen und Sträuchern bauten sie sich Hütten oder bewohnten Höhlen. Sie jagten Wild, meist mit Pfeil und Bogen. Bushpig, Wildschweine, manche Antilopenarten. Das Fleisch garten sie auf Stöcken am Feuer.
Die Gorillas haben sie nie angerührt. Raus aus dem Dschungel mussten die Batwa trotzdem, weil der jetzt ein Schutzgebiet ist. Der Wald, der einst ihr Schutzraum war.
„Die Batwa sollen sich nicht beschweren", sagt Ranger Augustin Muhangi, während er den Lederriemen seines Maschinengewehrs etwas weiter über die breiten Schultern schiebt. Eine AK 47, „chinesische Produktion, nicht aus Russland". Seit 14 Jahren arbeitet er als Ranger. Der 38-Jährige gehört zum Stamm der Bakiga, einem Bergvolk aus dem nahen Dorf Rushaga. Die Batwa sind seine neuen Nachbarn. Nur hat ihn niemand gefragt, was er davon hält.
Rushaga ist für Touristen der Ausgangspunkt, wenn sie zu den Berggorillas wandern wollen. Die nächste größere Stadt, Kisoro, liegt etwa zwei Autostunden über eine Straße entfernt, die den Stoßdämpfern der Minibusse alles abverlangt und deren Insassen bis ins Mark durchschüttelt. „African Massage" nennen die Einheimischen das. Wer die Fahrt nach Rushaga für mühsam hielt, wird spätestens bei der Wanderung zu den Berggorillas eines Besseren belehrt werden.