Turniere wie die Fußball-EM sind für die Spieler enorm kräftezehrend. Entscheidend, um fit durch den Wettbewerb zu kommen, ist auch die richtige Ernährung. Der Koch Holger Stromberg hat zehn Jahre lang für den DFB gearbeitet, er versorgte 2014 die deutsche Männernationalmannschaft auf dem Weg zum Sieg bei der Fußball-WM in Brasilien.
ZEITmagazin ONLINE: Herr Stromberg, was essen die Spieler der deutschen Fußballnationalmannschaft, um vor einem wichtigen Spiel auf den Punkt fit zu sein, aber nicht voll?
Holger Stromberg: Ich kann hier primär aus meiner aktiven Zeit beim DFB sprechen. Aber am Tag vorher und am Spieltag selbst werden keine Experimente gemacht. Da gab es Vollkornpasta, Kartoffelpüree, Reis, Gemüse, Salat, Milchreis und Grießbrei, wenn überhaupt nur helles Fleisch oder Fisch. Dreieinhalb Stunden vor dem Spiel gab es den sogenannten Pre-Match-Snack. Dieses letzte Essen ist bis zum Spiel durch den Verdauungstrakt. Die Spieler brauchen ihre Energie dann ja für Konzentration und Bewegung auf dem Feld und nicht in der Verdauung. Getrunken werden über den Tag verteilt zwei bis drei Liter stilles Wasser und Kräutertees.
Holger Stromberg, 49, war von 2007 bis 2017 Koch und Ernährungscoach der Deutschen Fußballnationalmannschaft der Männer. Auch beim WM-Sieg 2014 in Brasilien war er dabei. Heute ist er Chief Culinary Officer beim Ernährung-Start-up Organic Garden, das unter anderem vegane Hot Dogs produziert.ZEITmagazin ONLINE: Dürfen die Spieler auch mal Currywurst und Pommes essen?
Stromberg: Ja, klar. Denn es gibt ja per se keine ungesunden Gerichte, sondern nur ungesunde Zutaten. Pommes gab es in der Regel aber nur einmal nach dem Spiel, als Belohnung. In Istanbul habe ich an einem Abend auch mal Döner Kebab gemacht, Sie können sich nicht vorstellen, was es da für einen Jubelsturm gab.
ZEITmagazin ONLINE: Welche Spieler sind Ihnen aus Ihrer Zeit als Koch bei der deutschen Männernationalmannschaft besonders in Erinnerung geblieben, was ihre Essgewohnheiten betrifft?
Stromberg: Manuel Neuer ist natürlich ein Idol und ein echter Gourmet und Experte, aber dass er keine Soßen mag, kann ich aus rein kulinarischer Sicht bis heute nicht nachvollziehen. An Bastian Schweinsteiger erinnere ich mich auch gut: Er hat mein überkrustetes Müsli inhaliert, morgens, mittags und abends. Per Mertesacker liebte alles, was mit Tomaten zu tun hat, und nahm auch gern mal ein Rezept mit. Und Michael Ballack hat mich mal gefragt, ob ich eine Soljanka kochen kann. Er hat sogar noch Zutaten dafür besorgt!
ZEITmagazin ONLINE: Kam das häufig vor, dass Spieler Ihnen Zutaten als Auftrag mitgebracht haben?
Stromberg: Nicht ständig, aber manche hatten schon sehr genaue Vorstellungen. Spieler, die in spanischen Vereinen spielten, haben immer mal Delikatessschinken von dort mitgebracht, Pata Negra zum Beispiel.
ZEITmagazin ONLINE: Und den gab es dann vor dem Spiel gegen Spanien.
Stromberg: Natürlich geht man auf die Länder ein, gegen die man spielt. Das ist auch eine Frage des Respekts. Vor einem Spanien-Spiel gab es oft eine Paella oder ein Gazpacho. Ich habe dann immer im Scherz gesagt: Da können wir schon mal anfangen, die Spanier wegzuputzen.
ZEITmagazin ONLINE: Gegen Ungarn würde sich ein Gulasch anbieten.
Stromberg: Ja, aber das dann doch lieber nach dem Spiel und sofern die Zutaten qualitätsmäßig stimmen.
ZEITmagazin ONLINE: Eine EM dauert im besten Fall vier Wochen. Worauf kommt es auf dieser langen Strecke bei der Ernährung an?
Stromberg: Die entscheidenden Faktoren sind die richtige Kombination aus der Zusammensetzung der Nährstoffe und die Abwechslung. Die muss in Einklang gebracht werden mit der Wissenschaft und den Bedürfnissen der Spieler.
ZEITmagazin ONLINE: Was steht denn konkret auf dem Speiseplan?
Stromberg: Meistens ein Büffet, von dem sich die Spieler selbst bedienen. Möglichst vielseitig muss es sein und sowohl die unterschiedlichen ernährungsphysiologischen Optionen berücksichtigen wie auch die kulinarischen Vorlieben. Wichtig bei der Zusammenstellung ist auf alle Fälle das ausgewogene Verhältnis zwischen Kohlenhydraten, Eiweiß und gesunden Fetten. Es ist zudem wichtig, dass nur die besten Zutaten auf dem Büffet landen, was nicht überall auf der Welt leicht ist. Aber es gibt einfach Lebensmittel, die auf dem Teller eines Hochleistungsspielers nichts verloren haben: hoch verarbeitete Produkte wie Fleischwurst oder Fertigsoßen zum Beispiel. Oder Speisen, die den Magen reizen, wie Rindfleisch oder Chili, die sollten vor allem an Spieltagen überhaupt nicht gegessen werden. Ansonsten haben die Spieler frei gewählt, was ihnen schmeckt und womit sie sich vor allem selbst gut fühlen. Denn das eigene Körpergefühl ist irre wichtig. Es gibt keinen Masterplan für alle und jeden.
Die Spieler wussten und wissen, dass Ernährung allein kein Spiel gewinnen wird, dass sie sie aber leistungsfähiger macht. Holger StrombergZEITmagazin ONLINE: Isst ein Stürmer anders als ein Torwart?
Stromberg: Manuel Neuer braucht weniger Kohlenhydrate, er muss ja weniger rennen und legt seinen Schwerpunkt auch heute sicher eher auf eiweißreiche Kost. Wie etwa einen Smoothie, Kräuter, Gewürze, belebende Tees und Omega-3-Fettsäuren, damit das Gehirn, die Konzentrationsfähigkeit und die Augen eine gute Leistung bringen und er nicht müde wird.
ZEITmagazin ONLINE: Haben die Spieler darauf gehört, was Sie als Koch Ihnen empfohlen haben?
Stromberg: Die aktuelle Generation schon, ja. Die wissen, wer der Experte ist. Die Zeiten, in denen man Spieler bremsen musste, wenn sie zum Beispiel einen Haufen Schokocroissants essen, sind längst vorbei. Ich musste sicher an der einen oder anderen Stelle Überzeugungsarbeit leisten, aber die Spieler wussten und wissen, dass Ernährung allein kein Spiel gewinnen wird, dass sie sie aber leistungsfähiger macht. Ihnen ist bewusst, dass Kohlenhydrate wie Kartoffeln, Reis, Quinoa oder Hirsesalat die Leistungsspeicher füllen und ihnen die nötigen Zuckerreserven für die letzten Minuten liefern. Dass Eiweiße im Steak oder Fisch ihren Muskelaufbau und die Muskelenergie fördern. Und dass Fett der größte Energielieferant und zugleich ein Schutzfaktor ist.
ZEITmagazin ONLINE: Ist Ihnen ein vegetarischer oder sogar veganer Profifußballer bekannt?
Stromberg: Da kann ich nur aus meinen Tagen sprechen, heute weiß ich das nicht. Aber wir hatten keinen Vollvegetarier oder Veganer im Team. Die Spieler wurden im Laufe der Zeit aber immer aufgeschlossener, mochten meine Veggie-Days und gerade zum Ende meiner Laufbahn hin habe ich immer mehr tierische Produkte reduziert.
ZEITmagazin ONLINE: Ist eine vegane Ernährung für Leistungssportler überhaupt möglich?
Stromberg: Grundsätzlich hat das leistungstechnisch keine Nachteile. Bei Vegetariern in keiner Weise und man kann auch mit einer veganen Ernährung zum Spitzensportler werden. Allerdings heißt das, wenn man das Hühnerei auch noch weglässt, dass man sich deutlich mehr mit der Thematik auseinandersetzen und dafür sorgen muss, dass der Körper alles bekommt, was er braucht.
ZEITmagazin ONLINE: Die Spieler sind während eines Turniers einem strengen Trainingsregime unterworfen. Sind die Mahlzeiten auch für die Motivation und das Teambuilding wichtig?
Stromberg: Unbedingt! Jede Mahlzeit ist eine willkommene Abwechslung und gegessen wird bis auf ganz wenige Ausnahmen immer gemeinsam. Die Spieler haben nur wenig Zeit, untereinander ein Team zu formieren. Sie sind meistens in kleinen Gruppen unterwegs, beim Training auf dem Platz oder auch bei der Physiotherapie. Das Essen ist der einzige Moment, zu dem alle zusammenkommen und an runden Tischen oder an einer Tafel gemeinsam essen.
ZEITmagazin ONLINE: Was können sich Zuschauerinnen und Zuschauer, die nicht 90 Minuten über den Rasen rennen müssen, beim Essen von der Nationalmannschaft abschauen?
Stromberg: Man muss schon unterscheiden, ob man Ausdauersportler ist oder nicht. Viele Profisportler legen nach dem Karriereende etwas zu, weil die regelmäßige Bewegung wegfällt und oft, wie die 20 Jahre zuvor, Pasta satt gegessen wird. Oliver Kahn oder Boris Becker etwa haben beide ja etwas zugenommen. Das würden Sie oder ich auch, wir brauchen ja viel weniger Energie, also sollten wir auch nicht so viele Kohlenhydrate essen. Ich würde empfehlen, vor allem auf sehr gute Zutaten zu achten, dann ist es fast gleich, was Sie damit anstellen. Wichtig ist vor allem, keine oder möglichst wenige verarbeiteten Produkte zu essen, sondern möglichst natürliche Lebensmittel. Und das funktioniert auch für jeden Geldbeutel. Die Haferflocken aus dem Supermarkt sind günstiger als jede belegte Semmel beim Bahnhofsbäcker und tragen dich gut durch den Tag.
ZEITmagazin ONLINE: Heute Abend um 21 Uhr beginnt das Spiel Deutschland gegen Ungarn. Was empfehlen Sie zu dieser späten Zeit als Snack nebenbei?
Stromberg: Das große Abendessen sollte vorher gelaufen sein. Während des Spiels würde ich zu Mandeln raten. Die passen auch zum Bier und zum Wasser und haben gute Inhaltsstoffe für beanspruchte Nerven. Und man kann sie bei einer torreichen Partie wunderbar durch die Luft schmeißen, Mandeln versauen keinen Teppich.