Portrait – Elisabeth Schiller wurde 1918 in Mannheim geboren. Vom Rollator lässt sie sich den wöchentlichen Besuch auf dem Marktplatz nicht verderben.
Als Elisabeth Schiller auf den Marktplatz kommt, geht sie schnurstracks in Richtung Eierstand: „Früher, als ich noch in C4 gewohnt habe, da habe ich hier alles geholt, was ich zum Kochen brauchte.“ Heute im Heim habe sie keine Möglichkeit mehr, selbst am Herd zu stehen: „Jetzt kaufe ich Obst und Eier auf dem Markt und bringe anderen Bewohnern ab und zu etwas mit.“ Auf dem Marktplatz ist Schiller bereits bekannt, schließlich ist sie Stammkundin: Seit mehr als 50 Jahren kommt sie regelmäßig, um Äpfel und Birnen in die Tasche zu packen. Und auch wenn sie in diesen Tagen 100 Jahre alt wird – den Marktbesuch lässt sie sich nicht nehmen.
„Ich fühle mich nicht wie hundert“, sagt sie – und sie sieht auch nicht so aus. Geistig ist sie fit, körperlich bis auf ihre Schwerhörigkeit und andere kleine „Unannehmlichkeiten“, wie sie sagt, hat sie ebenfalls kaum Probleme. Elisabeth Schiller ist gut zu Fuß, auch wenn sie auf den Rollator nicht verzichten mag. Im katholischen Bürgerhospital wohnt sie nur, weil ein Freund und ihre Nichte ihr das geraten haben. Was ist das Geheimnis ihrer Fitness trotz des hohen Alters? „Es gibt keins. Man muss nur von ganz klein an am Menschen arbeiten.“ Und, nun ja, sie mache Yoga: „Das hilft gegen so viel“, sagt sie. Zum Beispiel gegen Herzkrankheiten oder Ähnliches. Einfach richtig zu atmen mache vieles leichter.
Bei ihren Besuchen auf dem Markt steuert sie immer dieselben Stände an. Die Verkäuferin mit dem Feldsalat erkennt sie noch immer, auch wenn Schiller schon lange keinen Salat mehr holt. Heute nimmt sie zwölf Eier. Aber nur die bunt bemalten: „Dann kann man auch mit schlechten Augen die Schalen gut vom Eiweiß unterscheiden“, erklärt sie. Der Eierverkäufer Walter Jünger kennt ihre Wünsche. Schließlich ist Schiller eine seiner treusten Kundinnen: „Sie kommt bereits seit mehr als 50 Jahren her, fast so lange, wie ich den Stand betreibe“, sagt er.
Als Schiller ihre Eier eingepackt hat und weiter zum Obst möchte, kommt sie nicht weit. Zwei Frauen sprechen sie an: frühere Kundinnen aus Schillers Friseursalon. „Sie müssen wissen, Frau Schiller war immer fröhlich und hat einem immer zugehört. Man kann so viel Gutes über sie schreiben“, erzählen die beiden Frauen: „Sie ist immer mit zwei Beinen auf dem Boden geblieben, und das, obwohl sie so viel erlebt hat.“
Den Krieg zum Beispiel, an den Schiller noch heute häufig denkt: „Ich vergesse das nicht, wie ich nach den Bombennächten immer durch die Stadt zum Geschäft gefahren bin. Und überall waren da diese Löcher, auch von Bomben, die nicht explodiert sind.“ Damals arbeitet sie noch als Angestellte in verschiedenen Friseursalons.
Während des Krieges heiratet Elisabeth Schiller auch das erste Mal: „Mein Mann kam von der Flak aus Frankreich. Nach der Hochzeit hatten wir zwei Wochen, dann musste er wieder an die Front, in den Osten. In Stalingrad ist er vermisst gegangen.“ Schiller wird nachdenklich: „Eigentlich waren wir nur 14 Tage verheiratet.“
Kurz darauf flieht sie mit ihrer Familie vor den Bomben aus Mannheim nach Siegelsbach in den Odenwald. Nach dem Krieg lernt sie ihren zweiten Mann Friedrich richtig kennen, obwohl sie sich bereits während der Ausbildung zum ersten Mal getroffen haben. 1958 eröffnen beide ihren eigenen Friseursalon in C4. Den führen sie bis in die 1990er Jahre, bis Friedrich krank wird und 1996 stirbt.
Auf dem Markt hat Schiller mittlerweile alles zusammen. Ihren Obsthändler hat sie heute nicht gefunden, dafür gibt es vom Blumenpeter eine kleine Topfpflanze zu den Äpfeln und Birnen dazu.
Auf dem Nachhauseweg erzählt sie von den Jahren mit Friedrich: „Ein wirkliches Eheleben hatten wir nicht. Aber das hat mir nichts ausgemacht, ich hatte ja das Geschäft und viele Freundinnen. Zu viele vielleicht.“ Was ihr hingegen etwas ausgemacht hat, ist ihre Kinderlosigkeit: „Ich hätte gerne Kinder gehabt. In Siegelsbach habe ich mich um die Tochter unserer Nachbarin gekümmert. Die ist wie zu meinem Kind geworden.“ Und einen jungen Mann, den sie später kennenlernt, drängt sie quasi dazu, eine Frau zu finden. Dessen Sohn, sagt Schiller, sei wie ein halber Enkel.
Zurück in ihrer Wohnung im katholischen Bürgerhospital zeigt sie die vielen Fotos, die an ihrer Wand hängen. Von Friedrich, von ihrem ersten Mann, von Freundinnen. Feiern wird sie ihren „Hundertsten“ nicht: „Ich mache mir nichts aus Geburtstagen. Zum 90. kamen 90 Leute, zu viele.“ Jetzt möchte sie mit einem Freund einen schönen Abend verbringen, er hat sie zum Kochen eingeladen. Was es gibt? Bohnen und Kartoffeln. Natürlich vom Markt.
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