Christian Honey

Wissenschafts- und Investigativjournalist, Berlin

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Todesstrafe: Töten nach Anleitung kann nicht jeder

Durchstochene Venen und lange Todeskämpfe: Pannen bei Hinrichtungen mit der Spritze sind in den USA nicht selten. Woran liegt das? Schuld sind nicht die Giftmischungen.

Erst nach fast zwei Stunden ununterbrochenem Japsen nach Luft starb Joseph Rudolph Wood vergangenes Jahr. Einer seiner Anwälte berichtete, es sei unklar gewesen, ob sein Mandant während dieser Zeit durchgängig bewusstlos war. Die Hinrichtung des verurteilten Doppelmörders per Giftspritze im Florence State Prison in Arizona stellte einen grausamen Rekord auf: So lange wie Wood quälte sich noch kein Verurteilter festgeschnallt auf der Pritsche.

Insassen der Todeszelle hatten daraufhin das Verbot des Beruhigungsmittels Midazolam gefordert, das bei der Hinrichtung von Wood und elf weiteren Exekutionen eingesetzt worden war. Der oberste Gerichtshof hat diese Woche jedoch entschieden, dass das Mittel weiterhin verwendet werden darf. Immer wieder wird die öffentliche Debatte um die Todesstrafe von Medienberichten über "vermasselte" Hinrichtungen angefacht. Die Non-Profit-Organisation Death Penalty Information Center zählt seit der Einführung der Giftspritze im Jahr 1982 insgesamt 33 Hinrichtungen mit Komplikationen, vier davon allein im Jahr 2014.

Jenseits der Frage, ob die Todesstrafe moralisch vertretbar ist oder für die Gesellschaft einen Nutzen hat, drängt sich die Frage auf: Warum gelingt es den US-Gefängnissen so häufig nicht, das Todesurteil auf eine Art zu vollstrecken, die den Verurteilten möglichst wenig leiden lässt? Und sind wirklich die Medikamente das Problem?

In der Theorie sollte die Hinrichtung mit dem Gift-Cocktail eine humanere Alternative sein zu elektrischem Stuhl, Galgen oder Erschießungskommando. Dabei werden dem Verurteilten zwei Venenzugänge gelegt, der zweite für den Fall, das der erste nicht richtig liegt. Dann werden ihm drei Medikamente nacheinander injiziert. Zuerst nimmt ein Schlafmittel dem Verurteilten das Bewusstsein. Ein darauf folgendes Relaxanz lähmt fast alle Muskeln des Körpers, inklusive der Atemmuskulatur: der Mensch beginnt zu ersticken. Nur das Herz schlägt weiter, bis eine Überdosis Kaliumchlorid es zum Stillstand zwingt. Danach dauert es, wenn alles nach Protokoll läuft, noch fünf bis zehn Minuten, bis das Hirn gestorben ist. Das Urteil ist vollstreckt.

Vorgeschlagen hatte dieses Protokoll Jay Chapman im Jahr 1977. Chapman war damals Gerichtsmediziner in Oklahoma, jedoch kein Narkosearzt. Er folgte aber nach eigenem Bekunden den damals in der Anästhesie üblichen Verfahren und ließ den Vorschlag von einem Fachmediziner begutachten.

In einem Interview mit dem TIMEMagazine wurde Chapman im Mai 2015 gefragt, ob er trotz der grauenhaften Augenzeugenberichte aus dem Zuschauerraum die Giftinfusion weiterhin als die humanste Tötungsmethode sehe. Seine Antwort: "Sofern sie richtig durchgeführt wird." Doch daran scheitert es wohl eher als am Giftcocktail selbst.

"Das sehe ich auch als den wahrscheinlicheren Grund für die Probleme", sagt Lukas Radbruch. Er ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) und Direktor der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin in Bonn. Er sagt: "Man kann mit Schlafmitteln eine wirklich tiefe und anhaltende Bewusstlosigkeit hervorrufen. Zusammen mit einem Muskelrelaxanz werden sie zum Beispiel auch für den assistierten Freitod in der Schweiz oder in den Niederlanden eingesetzt." Ohne zugrunde liegende Verletzungen oder Krankheiten sei der Sterbeprozess nicht schmerzhaft. Daher werde beim assistierten Suizid meist nicht einmal ein Schmerzmittel genutzt. Die DGP bezieht dennoch klar Stellung zum assistierten Tod: "Palliativ-Medizin ist Hilfe beim Sterben, nicht Hilfe zum Sterben", sagt Radbruch. Das Töten von Menschen, egal in welcher Form, sei einfach keine ärztliche Aufgabe.

Ärzte dürfen die tödlichen Medikamente nicht verabreichen

Auch in den USA ist dies die Ansicht der großen Medizinerverbände. Nur in 17 der verbleibenden Todesstrafe-Staaten ist die Anwesenheit eines Arztes während der Exekution Pflicht. Und selbst dann darf dieser Arzt nach den Richtlinien der American Medical Association während einer Hinrichtung weder die Medikamente geben, noch die Kanülen legen oder dabei helfen. Er darf den Verurteilten nicht einmal für tot erklären, sondern einen solchen Befund nur bestätigen. Bricht der Arzt diese Richtlinien, droht ihm der Entzug der Lizenz.

Deshalb werden Exekutionen fast ausschließlich von schlechter trainiertem Personal durchgeführt, dem beim Legen der Kanülen häufiger Fehler unterlaufen. Wie bei Angel Diaz im Jahr 2006, dessen erste Kanüle durch die Vene hindurch gestochen worden war. Seine Exekution dauerte rund 35 Minuten, während derer Diaz "Grimassen zog und nach Luft schnappte", wie die BBC berichtete.

Welche Qualifikationen das Personal vorweisen muss, ist von Staat zu Staat unterschiedlich: In Florida beispielsweise ist die einzige Voraussetzung, dass die Person 18 Jahre alt ist und an regelmäßigen Simulationen einer Exekution teilnimmt.

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