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Sozialstaatsstreich mit Österreichischer Gesundheitskasse

Die türkis-blaue Krankenkassenreform war ein voller Erfolg, trotz der imaginären Patient:innenmilliarde, ausufernder Reformkosten und beschädigter Demokratie - aber nur, wenn man sie aus der Perspektive der Arbeitgeber:innen betrachtet.


Ein Satz wie eine Ohrfeige: „Anstelle der Einsparung von einer Milliarde Euro ergab sich ein Mehraufwand von 214,95 Millionen Euro." Geschrieben steht er im Rohbericht des Rechnungshofs, der sich darin mit der türkis-blauen Krankenkassenreform aus dem Jahr 2018 auseinandersetzt. Dabei entstand die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK). Das Problem daran ist, dass dieses Geld als sogenannte „Patient:innenmilliarde" das zentrale Versprechen dieses Vorhabens war, aber sicher nicht das oberste Ziel. Denn diese Reform hat sich definitiv gelohnt, allerdings fast ausschließlich für die Arbeitgeber:innen.


Reform der Krankenkasse: Österreichische Gesundheitskasse als Millionengrab

In der Öffentlichkeit bestimmte allerdings die Patient:innenmilliarde den Diskurs. Die türkis-blaue Regierung profilierte sich als Kämpferin für den schlanken Staat, gegen die Bürokratie und aufgeblähte Verwaltungsapparate. Heinz-Christian Strache, damals noch Vizekanzler, polterte: „Patientenmilliarde statt Funktionärsmilliarde!" Ein Versprechen, das Expert:innen damals schon kritisierten.


Eine Rechnung, die damals schon nicht aufging, wie Julia Stroj erklärt. Sie ist Ökonomin im Referat für Gesundheitspolitik des Österreichischen Gewerkschaftsbunds (ÖGB) und arbeitete 2018 noch bei einer Gebietskrankenkasse. „Wenn wir ins Jahr 2018 zurückschauen, dann machten die damaligen Ausgaben für alle Selbstverwaltungsgremien 0,009 Prozent aller Sozialversicherungsausgaben aus. Die Patient:innenmilliarde wäre erst nach über 170 Jahren zusammengekommen - und auch nur bei Abschaffung der Selbstverwaltung." Grund für die geringen Ausgaben ist das Ehrenamt. Die meisten Funktionär:innen erhielten damals gerade einmal 41 Euro Sitzungsgeld.


Nach Bekanntwerden dieser Zahlen änderte sich die politische Kommunikation. Statt einer Milliarde bei den Funktionär:innen einsparen zu wollen, griffen die Regierungsparteien die Verwaltung an. „Das Motto der damaligen Bundesregierung ‚Wir sparen im System' ging selten gut für die Arbeitnehmer:innen aus", erinnert sich Stroj. Doch selbst dieses Versprechen basierte auf wackeligen Berechnungen. Denn die Verwaltungskosten der Gebietskrankenkassen lagen bei gerade einmal zwei bis drei Prozent der Ausgaben.


Patient:innenmilliarde war nie wirklich Teil der Reformpläne

Aber die Patient:innenmilliarde war sowieso kein Teil des ursprünglichen Plans. Im Ministerialentwurf der Reform vom 14. September 2018 wurde die Milliarde gar nicht genannt. Lediglich bei Öffentlichkeitsauftritten sprachen türkis-blaue Politiker:innen davon. Die Wirtschaftsfolgeabschätzung sah eine Einsparung von lediglich 33 Millionen Euro zwischen 2019 und 2023 vor. Erst in den Jahren 2024 bis 2026 hätten dann 318 Millionen Euro eingespart werden sollen. Darauf wies der Rechnungshof damals schon hin.

Daraufhin nahm die Regierung die Patient:innenmilliarde plötzlich in die Wirtschaftsfolgeabschätzung mit auf - ganz ohne Erklärung, wo sie herkommen soll. „Eine Effizienzsteigerung von insgesamt circa einer Milliarde Euro", hieß es lapidar - für den gleichen Zeitraum, in dem nur wenige Wochen zuvor nur 33 Millionen Euro hätten eingespart werden sollen. Die Zahl wurde schlicht eingesetzt.


Der Verdacht liegt nahe, dass es sich bei der Patient:innenmilliarde um eine Nebelkerze gehandelt hat. Der eigentliche Zweck schien eher zu sein, die Arbeitnehmer:innen aus ihrer eigenen Krankenkasse zu drängen. Ein Beispiel ist die Wiener Gebietskrankenkasse: Vor der Reform gab es drei Gremien, die Generalversammlung (30 Mitglieder), den Vorstand (15 Mitglieder) und die Kontrollversammlung (10 Mitglieder). Generalversammlung und Vorstand waren zu 80 Prozent mit Vertreter:innen der Arbeitnehmer:innen besetzt. Die Kontrollversammlung zu 80 Prozent mit Arbeitgeber:innen.


Österreichische Gesundheitskasse: Weniger Mitsprache für Arbeitnehmer:innen

Etwa zehnmal im Jahr trafen sich die Mitglieder des Vorstands und entschieden über die Leistungen der Krankenversicherungsträger und alles, was drumherum notwendig ist, damit die Versorgung funktioniert. „Es war immer das Ziel, Einvernehmen zwischen Arbeitnehmer:innen-Kurie und Arbeitgeber:innen-Kurie herzustellen. Es gab nur sehr selten Beschlüsse, die wirklich gegen die Arbeitgeber:innen beschlossen wurden", erinnert sich Stroj gegenüber Arbeit&Wirtschaft zurück.


Die komplette Geschichte gibt es hier.


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