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Merkwürdige Zahlen der Polizei: Was hinter dem "Randale-Report" steckt - n-tv.de

Von Christian Bartlau

Jedes Jahr bringt die Polizeibehörde ZiS einen Bericht zu Straftaten in der Bundesliga heraus. Der Tenor: Der Fußball wird immer gefährlicher. Der Reflex bei Medien, Polizei und Politik: Ein routinierter Aufschrei. Dabei verstecken die Zahlen mehr, als sie verraten.

Folgendes ist ein Fakt: In den Stadien der 1. und 2. Fußball-Bundesliga wurden in der Saison 2013/2014 mehr Menschen durch polizeiliches Pfefferspray verletzt als durch Pyrotechnik. Das klingt überraschend, aber das sagt die Polizei selbst. Nicht explizit. Aber diese Aussage versteckt sich in den Zahlen einer polizeilichen Behörde, der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze, kurz ZiS.

Was ist die ZiS?

Alle Jahre wieder veröffentlicht die ZiS einen Bericht zu Straftaten in den deutschen Fußball-Ligen, der aktuelle findet sich hier. Die ZiS gab ihm den schlichten Namen "Jahresbericht Fußball-Saison 2013/2014". Die "Bild"-Zeitung nennt ihn lieber den "Randale-Report". Von "alarmierenden Zahlen" ist da die Rede, das Fazit des Boulevardblatts lautet: "Die Gewalt rund um den deutschen Profi-Fußball nimmt weiter zu." Auch Politiker arbeiten mit den Zahlen der ZiS, genauso DFB und DFL.

Ein oberflächlicher Blick auf die Kennzahlen für die 1. und 2. Bundesliga bestätigt den Eindruck: Ein Anstieg der Strafverfahren um rund 21 Prozent (von 6502 auf 7863), bei den Verletzten um rund 14 Prozent (788 auf 896), bei den Einsatzstunden der Polizei um rund 10 Prozent (von 1,76 Millionen auf 1,94 Millionen). Doch was sagt das über die Gewaltsituation in den deutschen Bundesligen aus?

"Die nackte Zahl suggeriert eine Bedrohungslage, die es so in den Stadien nicht gibt", sagt Dr. Harald Lange vom Institut für Fankultur im Gespräch mit n-tv.de. "Es bleibt ein leichtes Geschmäckle, wenn damit Politik gemacht wird." Er hält den ZiS-Bericht an sich zwar für wertvoll. "Er ist aber längst kein Indikator für die Stimmung und zur Gewalt in den Stadien. Er kann nur Baustein eines Gesamteindrucks sein." Und tatsächlich birgt der Bericht einige Faktoren, die diesen Gesamteindruck verfälschen können:

Die Einordnung

Die Mühe, die Zahlen der ZiS in Relation zu setzen, muss man sich schon selber machen. Die Besucherzahlen fehlen im Bericht genauso wie relative Angaben. Rechnet man selbst, klingt die Zahl von 1281 Verletzten in der Saison 2013/2014 schon nicht mehr so spektakulär: Das sind bei 750 Spielen 1,71 Verletzte pro Match, bei im Schnitt 24.776 Zuschauern.

896 oder 1281 Verletzte?

Schaut man sich nur die unbeteiligten Zuschauer an, schrumpft das Risiko, in einem Stadion zufällig Opfer von Gewalt zu werden, sichtlich zusammen: 415 Unbeteiligte wurden in der vergangenen Saison verletzt, also 0,55 pro Match. Restrisiko? Harald Lange vom Institut für Fankultur bemüht einen gern gezogenen Vergleich: "Auf allen Großveranstaltungen haben wir es mit Gewalt zu tun. Die Zahl von 1280 Verletzten ist relativ gesehen - etwa zum Oktoberfest - gering."

So ganz korrekt ist das aber auch nicht: Zwar wurden beim diesjährigen Oktoberfest über 3000 Menschen verletzt, bei "nur" 6,3 Millionen Besuchern zu den 18,5 Millionen in den Stadien. In der Statistik für das Oktoberfest sind allerdings auch Schnittverletzungen und Ähnliches enthalten - die man sich in Partylaune auch versehentlich selbst zufügen kann. Am ehesten vergleichbar sind die zur Anzeige gebrachten Körperverletzungen je 100.000 Besucher: Da stehen die 1. und 2. Liga bei 10,86 - und das Oktoberfest bei 6,31.

Die Parteilichkeit

So sehr die ZiS betont, dass sie nur neutral Daten sammelt - sie ist und bleibt eine Abteilung des Innenministeriums in Nordrhein-Westfalen. Minister Ralf Jäger nutzt die ZiS-Zahlen für sein umstrittenes Projekt, die Einsatzstunden der Poizei zu verringern. "Es ist der Bericht einer polizeilichen Behörde. Deshalb stehen deren Zahlen immer im Verdacht, wenigstens in der Tendenz opportunistisch zu sein", sagt Sportwissenschaftler Harald Lange. Schließlich gibt die ZiS auch keinen genauen Einblick, wie die Zahlen genau zustande kommen. Nur so viel: Sie werden geliefert von den Polizeibehörden der Spielorte und von der Bundespolizei, die die Anfahrtswege mit der Bahn überwacht. Der Forscher Harald Lange fordert eine andere Herangehensweise: "Ich sehe keinen Grund, warum nicht ein wissenschaftliches Institut diese Zahlen erheben sollte." ZiS-Leiter Jürgen Lankes lässt im Gespräch mit n-tv.de die Einwände nicht gelten, seine Behörde sei nicht neutral: "Die Informationen werden von uns zur Verfügung gestellt an die Polizeibehörden, von daher ist das systemimmanent - aber von Parteilichkeit würde ich nicht reden."

Die Methodik

Was hat das mit Hogesa zu tun?

Ein großer Kritikpunkt am Jahresbericht: Er erfasst zwar die Strafverfahren - verrät aber nicht, wie viele davon eingestellt werden. So werden Tatverdächtige zu Tätern. ZiS-Leiter Lankes ficht das nicht an: "Unsere Daten können nicht mit der Verurteiltenstatistik abgeglichen werden. Deswegen läuft diese Kritik ins Leere." Eine umfangreiche wissenschaftliche Analyse könne das ZiS nicht liefern. "Das geht über polizeiliche Zwecke und unsere Möglichkeiten hinaus." Immerhin werde die Arbeit regelmäßig "auf Aktualität und Nutzbarkeit überprüft".

Tatsächlich wird in diesem Jahr erstmals aufgeschlüsselt, wie viele Menschen durch Pfefferspray oder Pyrotechnik verletzt werden. Harald Lange weist allerdings darauf hin, dass dies nur dem öffentlichen Druck zu verdanken sei. Die Kritik an den ZiS-Statistiken wächst: Fan-Gruppierungen protestieren schon seit Jahren gegen die Behörde, die Piraten haben das Thema im Landtag von Nordrhein-Westfalen mit einer Expertenanhörung auf die Tagesordnung gebracht.

Statistische Phänomene

Bei den Castor-Protesten 1981 beobachtete die Polizei im Landkreis Lüchow-Dannenberg einen interessanten Effekt: Als die verstärkt eingesetzten Beamten auch normalen Streifendienst versahen, wuchs plötzlich die Zahl der erfassten Verbrechen. Seitdem spricht man in der Wissenschaft vom Lüchow-Dannenberg-Syndrom. Vereinfacht gesagt: Je mehr Polizei im Einsatz ist, desto mehr Kriminalität wird registriert. In den vergangenen Jahren haben sich die Einsatzstunden der Polizei rund um die Bundesligen verdoppelt, was ungefähr auch für die Zahl der erfassten Straftaten gilt. Das könnte bedeuten, dass die beliebte Aussage "Die Gewalt nimmt zu" stimmt - oder aber, dass einfach nur die Dunkelziffer schrumpft, wie in Lüchow-Dannenberg. Zu letzterer Interpretation passt, dass die Zahl der Strafverfahren je 1000 Einsatzstunden der Polizei seit zehn Jahren nahezu konstant verläuft. Die Kernfrage - die auch den Streit um die Polizeikosten tangiert - bleibt unbeantwortet: Warum sind die Einsatzstunden so stark gestiegen? Die ZiS verweist darauf, dass die Einsatzstunden notwendig sind, um die Sicherheit zu gewährleisten: "Es ist ein Zirkelschluss, zu sagen: Mehr Polizei provoziert auch mehr Straftaten", sagt ZiS-Chef Jürgen Lankes. "Im Gegenteil, ich gehe dann davon aus, dass die eingesetzen Kräfte notwendig sind."

Statistische Ausreißer

Am Wochenende wurde die Drittliga-Partie Dortmund II gegen Hansa Rostock mit anderthalb Stunden Verspätung angepfiffen. Die Polizei behauptete in ihrer Pressemitteilung, 230 Borussen-Ultras hätten sich unkontrolliert Zutritt zum Stadion verschafft. Der Ticker der Kollegen der "Ruhrnachrichten" beschrieb die Szenerie deutlich unspektakulärer. Vielleicht haben die aber auch nicht alles mitbekommen - denn die Polizei und die Ordner hinderten die Medien an der Berichterstattung, teils unter Androhung von Stadionverboten. Nun wurde bekannt, dass wegen des Vorfalls nicht weniger als 293 Strafverfahren eingeleitet wurden, die sich im kommenden ZiS-Bericht bemerkbar machen könnten. Fast zeitgleich randalierten am Sonntag übrigens die "Hooligans gegen Salafisten" in Köln. Hier ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen 60 Personen.

Die Medien

Die Berichte über den Bericht kann man der ZiS natürlich nicht vorwerfen. Wie sie dazu steht, möchte ihr Leiter Jürgen Lankes nicht sagen. Um eine Antwort auf die Frage, ob er mit der "Bild"-Schlagzeile "Randale-Report" glücklich ist, drückt er sich in nüchterner Beamtenmanier herum: "Das ist keine Frage von glücklich oder nicht. Wir müssen feststellen, dass Inhalte des Jahresberichts bewertet werden, damit können, wollen und müssen wir leben." Sportwissenschaftler Harald Lange findet deutlichere Worte zur Berichterstattung zur Gewalt in der Bundesliga: "Gemessen an der Vielzahl von Zuschauern sind die Stadien sichere Orte - aber die mediale Rezeption verzerrt das Bild."

Für weitergehende Statistiken steht Mobilnutzern von n-tv.de dieser Link zur Verfügung.

Quelle: n-tv.de

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