Von: Max Biederbeck, Chris Köver, Karsten Lemm, Dirk Peitz, Jana Petersen, Anja Reiter, Nikolaus Röttger, Dominik Schönleben
Berlin // Mitte Oktober 2016
Das hier ist kein Zoo. Sagt Factory-Gründer Udo Schloemer. „Manager fliegen ein und erwarten eine Startup-Tour. Aber ich erwarte von jedem, der in die Factory kommt, dass er etwas mit einbringt." Nennen wir die umgebaute Brauerei nahe des einstigen Mauerstreifens also ein Reservat für Gründer, in dem die für 50 Euro im Monat mit Zugang zu Kaffee, WLAN und Investorenkapital an Ideen brüten können - und auf Vertreter von Unternehmen treffen. Auf den ersten Blick ist die Factory schon irre Berlin-Mitte: Menschen mit aufgeklappten Laptops an Tischen, an Tresen, auf Sofas, die Geräuschkulisse eine Mischung aus Englisch, Spanisch, Deutsch, Japanisch, und auf einer Tafel wird zu Drinks mit dem niederländischen Team der Deutschen Bank eingeladen und einer Sprechstunde mit Kickstarter. Puh.
„Ich bin etwas anders als die anderen hier", sagt Martina Schröder, „weil ich nicht programmiere oder ein Fintech-Startup gründe." Schröder, blonde Jungs-Frisur, sehr blaue Augen, ist Anfang 30, und ihre Arbeitsbiografie liest sich wie eine kurze Geschichte der sozialen Medien in Deutschland: Martina Schröder war 2006 die dritte deutsche Mitarbeiterin von MySpace; danach war sie wieder eine der Ersten, das war im Team von TLGG, Deutschlands erster Agentur, die sich auf Social Media spezialisiert hat; zuletzt war Schröder für die Social-Media-Kampagnen eines Verlages und der Klassikabteilung eines großen Labels zuständig. „Ich war die Einzige im Digitalbereich, ich hatte wenig Budget und kaum Rückhalt." Die Leute, mit denen sie es dort zu tun hatte, hatten kaum Facebook verstanden. Anstrengend sei das gewesen. Als selbstständige Social-Media-Beraterin arbeitet Schröder nun seit dem Sommer von der Factory aus.
An ihrem ersten Tag stellte sie sich im Slack-Kanal vor, einer Art Schwarzem Brett, auf dem man alles vom Ladekabel bis zur Gruppe zum Deutschlernen sucht und findet. Kurz darauf hatte Schröder zwei Job-Anfragen. „In anderen Co-Working-Spaces arbeitet jeder an seinen Sachen. Hier achten die Leute darauf: Wer kommt neu rein, ist der relevant für mich?"
Schröder entwickelt keine Dating-, Geschenke- oder Bezahl-App, wie so viele der anderen Gründer, die hier tagsüber Geschäftsmodelle testen und Betaversionen bauen. Wenn es nach der Factory geht, passt Schröder trotzdem perfekt ins Konzept. Denn ihre Kunden stammen vor allem aus der Old Economy. Wie etwa der Deutsche Energieholz- und Pellet-Verband, der sich von ihr soziale Medien er-klären lässt. Schröder arbeitet an der Schnittstelle von Neu und Alt - und als solche versteht sich die Factory.
Raashi Khanduri, Anfang 30, ist in diesem Sinne eine ganz ähnlich typische Gründerin. Khanduri stammt aus Texas und macht Lytbulb, eine App für die Energieindustrie. Zehn Jahre lang hat sie als Ingenieurin für Shell und Chevron Anlagen gebaut und dabei festgestellt, wie planlos es auf Baustellen zugeht. Also hat sie das Problem mit einer Software gelöst und verkauft die jetzt an ihre ehemaligen Arbeitgeber. Ihr Mitgründer lebt in Australien, sie arbeitet seit dem Sommer von der Factory aus.
Oder Nora Stolz: Die 34-Jährige ist aus ihrem Job in der Finanzbranche in London ausgestiegen und entwickelt nun eine App, mit der Leute Geschenke für Freunde koordinieren können. „Wir sind digitale Nomaden, unsere Freundeskreise werden viel komplexer", sagt Stolz. Und dass man doch lieber ein großes Geschenk wolle als viele kleine. Über die Factory sagt sie: „Wir haben hier ein Netzwerk, den Factory-Tribe, alle sind auf Augenhöhe." Das gebe Sicherheit, wenn man selbst gerade den Sprung in die Selbstständigkeit wagt.
„Uns ist es wichtig, dass sich unsere Member gegenseitig inspirieren", sagt Niclas Rohrwacher. Rohrwacher ist selbst erst 28 und passt auch sonst gut rein. Aber er ist kein Mieter, sondern einer der Hausherren. Rohrwacher ist seit Anfang 2015 CRO der Factory, das ist kurz für Chief Relationships Officer. Der Titel mag etwas albern klingen, bringt aber auf den Punkt, worum es hier geht: Beziehungen aufbauen. Die Factory sei heute „ein Business-Club für Startups und Corporates", sagt Rohrwacher. Sie ist aber auch selbst ein Startup, und als solches passt sie ihre Geschäftsidee schnell und wendig neuen Bedingungen an. Einen Pivot hinlegen, heißt das im Startup-Sprech, also in etwa: die Fahrtrichtung ändern.
Das Modell scheint tatsächlich zu funktionieren. Die Factory erzählt eine neue Geschichte: vom Ort in Deutschland, an dem die Old und die New Economy zusammenkommen, um Ideen auszutauschen. Und hinterher gemeinsam ein Bier zu trinken.
Dies ist ein Auszug aus einer längeren Reportage, die in WIRED 04/16 erschienen ist.