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Im Land der Tacos und Kakteen

Nach Mexiko hat es unsere Mitarbeiterin Charleen nach ihrem Aufenthalt in Peru verschlagen. Foto: az


Vom peruanischen Winter verwöhnt, werde ich im Land der Tacos von einem saunaähnlichen Klima empfangen. Durchschnittliche Temperaturen von 35 Grad Celsius und eine 70-prozentige Luftfeuchtigkeit überfordern meinen Körper so sehr, dass ich von einer Sonnenanbeterin zur Schattenpflanze mutiere. Während der Siesta sind die Straßen wie leergefegt, Kakteen und Palmen verschwimmen im Hitzeflimmern zu undefinierbaren Schemen und auf den Veranden bunter Häuser wiegen sich knarrende Schaukelstühle gemächlich vor und zurück.

Im kühlen Nass des Golfs von Kalifornien lässt es sich jedoch mindestens genauso gut aushalten und so dümple ich mit Taucherbrille, Schnorchel und Flossen ausgestattet vor der „Isla Espíritu Santo" herum, der Heimat von unzähligen Seelöwen. Unter mir erstrecken sich gigantische mit Korallen bewachsene Felsen, die Fische, Krebse und Seesterne beherbergen. Plötzlich spüre ich einen leichten Sog unter mir, ich kneife meine Augen zusammen und zwischen meinen Füßen taucht ein gewaltiger „lobo marino" auf und vollführt eine elegante Drehung in Richtung Wasseroberfläche. Während er auftaucht, spiegeln sich die Sonnenstrahlen in den Luftbläschen, die aus seiner Nase nach oben stoben. Für einen kurzen Moment treffen sich unsere Blicke, dann läuft Wasser in meinen Schnorchel und wild prustend tauche ich an die Oberfläche. Der Seelöwe hat es sich mittlerweile auf einem Felsen bequem gemacht und sonnt sich zwischen seinen beflossten Verwandten. Tierisch geht es auch auf dem Rückweg zu: ein ganzer Schwarm flinker Delfine zieht durchs Wasser reitend an uns vorbei.

Im Restaurant schmücken statt Blumen Ananas die Tische und von der Decke hängen schwere Kokosnüsse. Ich bestelle „aqua de coco", ohne zu wissen, was da auf mich zukommen wird. Ein kräftiger Mann zückt daraufhin eine Machete und bearbeitet die grüne „coco" auf einem Baumstamm mitten im Raum. Mit geschickten Bewegungen schnitzt er eine Öffnung in die Nuss, steckt einen Strohhalm hinein und schon ist mein Erfrischungsgetränk fertig: ganz ohne Konservierungsstoffe und 100 Prozent frisch. Anschließend halbiert er die Frucht und löst das Fleisch vom Rand, um es dann mit Zitronensaft und Chili (wie könnte es anders sein) zu verfeinern.

In Mexiko gelten, was Pünktlichkeit angeht, ganz eigene Gesetze. „Es ist schon fast unverschämt, zur vereinbarten Zeit aufzutauchen", klärt Paulina mich auf. „Als Faustregel gilt, auf die abgemachte Uhrzeit noch mal ein bis zwei Stunden draufzurechnen." Die Mexikaner zeichnen sich zwar nicht durch ihre Pünktlichkeit aus, dafür aber durch ihre Offenheit, Hilfsbereitschaft und Herzlichkeit. Anstatt mich auf meiner Suche nach einer Bank mit einem einfachen „Das weiß ich nicht" abzufertigen, begleitet mich eine freundliche Dame so lange, bis sie mich in einem Taxi auf dem richtigen Weg weiß. Und das ist dort die Regel und keine Ausnahme. Ohne jegliche Art von Kontaktscheue führen die Menschen mit mir freundschaftliche Unterhaltungen: sei es im Taxi, im Fahrstuhl oder in der Warteschlange. Zur Begrüßung gibt es ein Küsschen und unter Freunden noch eine Umarmung dazu. Plötzlich kommt mir der vornehme deutsche Händedruck schrecklich kalt und formell vor.

Schnell habe ich hier gelernt, den Kopf auszuschalten und einfach mal alle Konventionen über Bord zu werfen. Etwa den Drang, alles mit Messer und Gabel essen zu wollen. Oder auf einer Schaumparty ohne Rücksicht auf Make-Up und Klamotten wild durch die von der Decke tropfende Masse zu wirbeln und mitten in der Nacht barfuß auf der Strandpromenade Banda zu tanzen.

In nur drei Wochen habe ich die Bekanntschaft unzähliger penetranter Moskitos gemacht, endlich den Unterschied zwischen Tortilla, Burrito und Taco verstanden und die mexikanische Gemächlichkeit etwas auf mich abfärben lassen. Denn in gemäßigtem Schritt bleibt stets Zeit für eine erfüllende Unterhaltung, eine neue Bekanntschaft und ein großes Stück Lebensqualität, das jenen, die durchs Leben hetzen, vorenthalten bleibt.

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