Cedrik Pelka

Freier Journalist, Düsseldorf

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Artikel

Reden im Landtag: Wenig Präsenz für jung und weiblich

Stand: 01.05.2022, 14:00 Uhr


Eine exklusive Datenrecherche von Westpol und WDR Data zeigt: Nur ein Viertel aller Wortbeiträge im NRW-Landtag stammt von Frauen. Männer über 40 reden überproportional mehr.


(Statistiken und Videobeitrag hinterm Link!!)


Von Cedrik Pelka, Nicolas Vordonarakis, Christian Basl


Der NRW-Landtag klingt männlich. Eine Auswertung von allen 12.422 Wortbeiträgen aus dieser Legislaturperiode zeigt: 74 Prozent aller Reden, Zwischenfragen oder Erwiderungen stammen von Männern, nur 26 Prozent von Frauen. Damit kommen Frauen noch seltener zu Wort als vermutet: Der Frauenanteil bei den Abgeordneten liegt derzeit bei 30,9 Prozent und damit um knapp fünf Prozentpunkte höher als der Anteil weiblicher Wortmeldungen. Die Fraktionen gleichen die ohnehin schon bestehende Unterrepräsentation von Frauen im Landtag offenbar in den Wortbeiträgen nicht aus.

Zwischen den Fraktionen gibt es allerdings große Unterschiede. Bei den Grünen liegt der Anteil der Wortbeiträge von Frauen bei 45 Prozent. Sie kommen damit ihrem selbstgesteckten Paritätsziel näher als die SPD, die sich ebenfalls für ein Paritätsgesetz stark gemacht hat. Nur 28 Prozent aller Wortbeiträge der SPD-Abgeordneten stammen von Frauen.


Parteien gehen unterschiedlich vor

Auf WDR-Nachfrage antwortet die SPD-Fraktion, es sollte konkret etwas getan werden, damit mehr Frauen zu Abgeordneten werden. So heißt es: " Die SPD stellt ihre Landesliste für die Landtagswahl wieder paritätisch auf und liegt mit 40,6 Prozent weit über dem Gesamtdurchschnitt aller weiblichen Direktkandidierenden. Freilich ist auch hier noch Luft nach oben." Bei den Grünen, die als einzige Partei im NRW-Landtag zwei weibliche Fraktionsvorsitzende haben, werden nicht nur die Listen paritätisch aufgestellt, sondern auch innerhalb der Fraktionssitzungen würden Redelisten quotiert werden.

Woran liegt es, dass es für die Parteien anscheinend schwierig ist, paritätisch vertreten zu sein? Die CDU-Fraktion sieht das Problem in der Direktwahl der Kandidaten und Kandidatinnen: " Unsere Abgeordneten sind zum deutlich überwiegenden Teil direkt gewählt. Sie wurden also nicht nach übergeordneten Kriterien auf eine Liste gesetzt, sondern von den Menschen vor Ort aufgestellt und gewählt." Die FDP-Fraktion setzt auf thematische Kompetenzen: " Die fachliche oder in Einzelfällen regionale Zuständigkeit ist ausschlaggebend dafür, wer für die FDP-Landtagsfraktion redet." Bei der AfD sei Geschlecht " kein Thema und erst Recht kein Kriterium für die Besetzung von Ressorts."


Frauen weniger im Fokus der Politik

Wenn Frauen weniger reden und damit weniger im öffentlichen Fokus sind, dann kann das am Ende konkrete Auswirkungen haben, meint Beate von Miquel, Geschäftsführerin des Marie Jahoda Center for International Gender Studies an der Ruhr Uni Bochum. Denn in der Öffentlichkeit fehle die weibliche Perspektive, „ eine Vielfalt von unterschiedlichen Lebenswelten ", sagt von Miquel. Das führe dazu, dass Politik Männer teilweise bevorzuge. Von Miquel nennt ein Beispiel: Während der Corona-Pandemie sei für Berufe, in denen oft Frauen arbeiten, durch die Politik nicht viel verbessert worden. Gleichzeitig hätte es schnelle Wirtschaftshilfen für Industriearbeitsplätze gegeben - wo hauptsächlich Männer arbeiten.


Männer reden über Verkehr, Frauen über Bildung

Einseitige Perspektiven könnten auch deshalb zustande kommen, weil Politikfelder häufig klar verteilt sind. Die Auswertung der Themen, über die debattiert wird, zeigt: Während der Anteil der Wortbeiträge männlicher Abgeordneter bei Themen wie "Verkehr", "Wirtschaft" oder "Finanzausgleich" bei über 80 Prozent liegt, haben Frauen bei Themen wie etwa "Schule", "Pflege" oder "Familie" einen verhältnismäßig höheren Anteil.

Geschäftsführerin des Marie Jahoda Center for International Gender Studies an der Ruhr Uni Bochum, Beate von Miquel, sieht das Problem in einer " männlich konnotierten politischen Kultur", sagt sie im Interview mit dem WDR-Magazin Westpol. Sie ordnet die Ergebnisse der Datenrecherche von WDR Data und Westpol ein.


Junge reden über Technik, ältere über Finanzen

Schaut man auf das Alter der Abgeordneten, werden ähnliche Muster deutlich. Themenfelder sind klar unterteilt: Junge Abgeordnete, oder auch „Millenials" genannt (zwischen 1981 und 1996 geboren) reden verhältnismäßig viel über Digitalisierung und Technologien, ältere über Wirtschaft und Innere Sicherheit. Bei den zehn Themen, die am häufigsten während der laufenden Legislatur im Landtag behandelt wurden, kommen knapp die Hälfte aller Wortmeldungen von Abgeordneten aus der sogenannten „Generation X", also Menschen, die zwischen 1966 und 1980 geboren wurden.


Offenbar sind aber Abgeordnete aus der Generation Millenials emsiger, wenn es um Wortbeiträge geht. So hat ein Abgeordneter aus der jungen Generation während der Legislatur im Durchschnitt 90 Wortbeiträge, während ein Abgeordneter aus der Generation X durchschnittlich nur 56 Wortbeiträge hat und ein Abgeordneter der Boomer (zwischen 57 und 76 Jahre alt) im Durchschnitt 42 Wortbeiträge.


Ist es relevant, welche Altersgruppe häufig und welche seltener im Landtag spricht? Für Politikwissenschaftler Andreas Blätte von der Universität Duisburg-Essen schon - Beispiel: Debatten zur Klimapolitik. „ Wer welche Erfahrungen in den politischen Prozess einbringt, wer mit welchem Standpunkt präsent ist, macht einen Unterschied. Also junge Abgeordnete werden Sie erklären können, wessen Zukunft hier auf dem Spiel steht und Bürgerinnen nehmen war, welche Sichtweisen im politischen Prozess dargestellt werden und ob sie sich in der Politik wiederfinden können."


Mehr Vielfalt im NRW-Landtag durch paritätischere Zusammensetzung der Fraktionen und ausgeglichenere Redeanteile ermögliche seiner Ansicht nach mehr Perspektiven und damit eine bessere Politik.


Der WDR berichtet u.a. am 01.05. im WDR Fernsehen in der Sendung Westpol und in mehreren Radiowellen über dieses Thema.
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