1 Abo und 4 Abonnenten
Artikel

Mobiles Bezahlen: Einmal Geld abbuchen und durchleuchten, bitte

Smartphone statt Kleingeld an der Ladenkasse? Viele Händler bieten das an - und greifen zugleich massenhaft Daten ab.

In den Träumen von Nils Winkler gibt es keine Portemonnaies mehr. Statt an der Supermarktkasse nach Scheinen, Münzen oder der EC-Karte zu kramen, sagt der Kunde einfach: "Guten Tag." Ein Computer erkennt die Stimme und ordnet sie seinem Kundenprofil zu, die Kasse verbindet sich daraufhin mit dem Smartphone in seiner Tasche. Anschließend wird das Geld für den Einkauf automatisch abgebucht.

Winkler ist Geschäftsführer des Unternehmens Yapital, und er will dieser Wirklichkeit nun zumindest ein bisschen näher kommen. In 1.600 Filialen der Supermarktkette Rewe können Kunden seit Dezember mit dem Smartphone einkaufen. Ein "Guten Tag" reicht dazu noch nicht aus. Wer die notwendige App installiert hat, muss erst eine vierstellige PIN eingeben, dann vom Bildschirm der Kasse einen QR-Code scannen und zuletzt die Zahlungsdetails bestätigen. Außer bei Rewe kann man die Technik auch beim Schuhhändler Görtz ausprobieren oder bei Sportscheck, das wie Yapital zum Reich des Versandhändlers Otto gehört.

Das Smartphone, der ständige Begleiter von Millionen Menschen, könnte sich so für viele zur Brieftasche wandeln. Die Kunden würden vor allem Zeit sparen, die Händler Geld; an der Kasse ginge es schneller voran, und die Bargeldbestände würden sinken. Zudem könnten die Märkte so viel über ihre Kunden und deren Einkaufsverhalten erfahren, sie mit gezielter Werbung anlocken und zu teureren Einkäufen bewegen, so die Hoffnung. Die Kunden bekommen oft Rabatte, aber sie zahlen mit ihren Daten. Nicht alle sind davon begeistert.

QR-Code

Die Buchstaben QR stehen für "Quick Response", also "schnelle Antwort". Ursprünglich wurde der QR-Code entwickelt, um Baukomponenten in der Automobilproduktion von Toyota zu markieren. Der Code sieht aus wie ein Quadrat voller schwarzer und weißer Punkte. Diese Matrix kann beispielsweise per Scanner oder Mobiltelefon gelesen werden. Heute werden QR-Codes auch für mobile Visitenkarten, Bordkarten oder zum Zahlen per Smartphone verwendet

Seit ein paar Monaten experimentiert auch Rewes großer Konkurrent Edeka in Berlin und Hamburg mit dem Bezahlen per Handy. In den 4000 Filialen der Discountermarke Netto, die zu Edeka gehört, kann seit Mai das Handy gezückt werden. "Es sieht aus, als würde sich das mobile Bezahlen im Einzelhandel langsam durchsetzen", sagt Horst Rüter vom EHI Retail Institute. Rund 80 Prozent aller Händler gehen davon aus, dass sich Läden und Kaufhäuser in drei Jahren flächendeckend am mobilen Bezahlen versuchen werden, ergab eine Studie des Instituts.

Noch aber fehlt eine standardisierte Handysoftware, die in jeder Einzelhandelskette funktioniert. "Die Kunden haben keine Lust, für jeden Laden extra eine eigene App herunterzuladen", sagt Rüdiger Stumpf, Experte für mobiles Bezahlen bei der Zeitschrift Finanztest.

Bislang aber können sich Handel, Mobilfunkanbieter und Banken nicht auf eine Strategie einigen. So verwenden Rewe und Edeka unterschiedliche Programme mit jeweils anderer Technik. Die Telekom will im kommenden Jahr ein Konkurrenzprodukt etablieren. Auch die Deutsche Bahn und verschiedene Banken haben ihre eigenen Bezahlprogramme eingeführt.

Hinter den vielen Alleingängen steckt auch ein Kampf um die Hoheit über die Daten. Der Kunde verrät ja bei jedem Einkauf etwas über sich: welchen spanischen Wein er gerne trinkt, wie oft er pro Woche im Supermarkt ist, welche neue Konfitüre er probiert hat.

Welchen Wert diese Daten für Händler haben können, zeigt ein Beispiel, über das die New York Times berichtete. Ein Vater hatte sich bei der US-Supermarktkette Target beschwert: Seine Tochter, die auf die Highschool gehe, bekomme neuerdings Werbung für Kleinkindbekleidung und Produkte für Schwangere. Der Supermarkt hatte zuvor die jüngsten Einkäufe der Tochter (Körper-Lotionen und Nahrungsergänzungsmittel) ausgewertet und war zu dem Schluss gekommen: Die Kundin muss schwanger sein. Damit war Target besser über seine Kundin informiert als ihr eigener Vater - denn der wusste zu dem Zeitpunkt noch gar nicht, dass seine Tochter tatsächlich ein Kind erwartete.

Damit sie die Informationen nicht teilen müssen, entwickeln auch Target, Dunkin' Donuts und andere große Ketten in den USA ein eigenes Bezahlsystem für das Handy. "Wir wollen die Daten unserer Kunden schützen und kontrollieren", sagte Kate Jaspon, Vizepräsidentin von Dunkin Brands, zu denen auch Dunkin' Donuts gehört. An den Informationen soll nicht die Konkurrenz verdienen. Damit ist unter anderem der Suchmaschinenriese Google gemeint, der ebenfalls einen Bezahlservice anbietet.

Hierzulande betonen die Supermarktketten, sie wollten den Kunden mit dem Handy ein möglichst schnelles und einfaches Bezahlen ermöglichen, besonders den jungen, technikaffinen. "Unser Anspruch ist es, nah am Kunden zu sein", schreibt Edeka. Und in der Tat ist der Discount-Ableger Netto besonders nah dran am Kunden und an seinen Daten. Wer etwa mit dem Handy bezahlen oder am Rabattprogramm teilnehmen möchte, muss seine Daten freigeben. "Zeitpunkt und Ort des Einkaufs, gekaufte Waren, Preis" - das alles wird zu einem Nutzerprofil zusammengefasst, heißt es in den Datenschutzbestimmungen. Eine Einwilligung, die der Kunde angeblich dazu geben soll, ist nicht zu finden. "Netto suggeriert in dem Text eine Freiwilligkeit, die es nicht gibt", sagt Verbraucherschützer Stumpf. Nun will das zuständige Bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht Netto darauf hinweisen. Vom Supermarkt selbst heißt es zum Thema lediglich, dass die "Datenschutzsicherheit sehr hoch" sei.

Auch Edeka selbst behält sich in den Bestimmungen seiner App vor, "zum Zwecke der Werbung, der Marktforschung oder bedarfsgerechten Gestaltung" seiner Dienste Nutzungsprofile mit Pseudonym zu erstellen. Dem Kunden möchte der Händler damit zukünftig etwa "individuelle Gutscheine und Coupons anbieten", antwortet Edeka auf Anfrage.

Auch der Bezahlservice Yapital, den man bei Rewe benutzen kann, räume sich in den Datenschutzbestimmungen "sehr weitreichende Nutzungsmöglichkeiten der Kundendaten ein", hat der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar analysiert. "Deren Erforderlichkeit ist nicht von sich aus ersichtlich." Juristisch gesehen, kann Caspar allerdings wenig ausrichten, wenn es um Yapital geht, da die Firma in Luxemburg gemeldet ist. Geschäftsführer Winkler betont indes, dass die Menschen hinter den Daten für den Händler anonym blieben und man lediglich plane, über Yapital etwa allen Supermarktkunden einen Rabatt einzuräumen.

Selbst Branchenvertreter sehen Handlungsbedarf. "Ich möchte explizit zustimmen, wenn ich einen Teil meiner Daten freigebe und dafür dann individualisierte Werbeangebote bekomme", sagt Steffen von Blumröder, Experte für mobiles Bezahlen beim Technikverband Bitkom. Das ermöglichen Anbieter und Händler allerdings nicht. Kunden empfiehlt Blumenröder, sich stärker klarzumachen, welche Daten beim Einkaufen abgegriffen werden könnten - oder schon werden. Rund 40 Prozent der Deutschen besitzen etwa eine Pay-back-Karte. Wer sich darauf einlässt, legt dem Händler ebenfalls Ort des Einkaufs sowie Preis und Art der Ware offen.

Wie viele Handykunden künftig ihre Daten rausrücken, hänge auch von den Supermärkten selbst ab, sagt Dirk Jehmlich von der Berliner Strategieagentur diffferent. "Die Händler müssen den Kunden vermitteln, was sie fürs Datensammeln bekommen." Und ihnen mehr bieten als bloß ein paar Rabatte. Denkbar wären Vorbestellungen für die Frischetheke per Smartphone, eine separate Kasse ohne lange Warteschlange oder Ideen für Gerichte, die sich aus den gekauften Waren kochen lassen.

Denn es wird nicht einfach werden für die Händler, die Kunden in Deutschland zu überzeugen: Nur jeder Siebte kann sich vorstellen, mit dem Handy zu bezahlen, hat eine repräsentative Studie von Bitkom ergeben. Die Deutschen zahlen eben doch am liebsten bar.

Zum Original