Heute spielt in Berlin das Lindenberg-Musical „Hinterm Horizont" sehr erfolgreich im Theater am Potsdamer Platz. Heute schon besorgen sich Fans Tickets, wenn Udos Tour „Ich mach´ mein Ding" am 12. und 13. März nach Hamburg sowie am 19. März nach Berlin kommt. Heute ist „Hinterm Horizont" in der Hauptstadt fast ein geflügeltes Wort geworden für die vor 50 Jahren erbaute Berliner Mauer. Sie trennte die Stadt auch am Potsdamer Platz, wo das Musical spielt.
Aber was war 25 Jahre vor diesem Heute? Wie kam eine der berühmtesten Balladen von einem DER Kern-Rocker deutscher Zunge zustande? Welche Idee steckte 1986 dahinter?
Die Antwort kennen einige gut informierte Fans, aber für die meisten Deutschen ist der Horizont, hinter dem es „immer weiter geht", zunächst ein Bild aus einer romantischen, vielleicht ein wenig sentimentalen Nummer von „zwei Detektiven" mit den Hüten tief im Gesicht. Ein Paar, das sich trennt oder lange nicht sieht - der Text bleibt nebulös, aber doch tief freundschaftlich erfährt man von den „zweien, die sich nie verlieren können."
Um den Kern des Liedes zu knacken, kann man eine von Udos Begleiterinnen fragen. Andrea Stammler zieht seit gut 30 Jahren mit ihm im Artist Management durch die Lande und hat Kleidung und Kostüme sowie weitere Versorgungen bei Auftritten im Griff. Sie erlebte live, wie Lindenberg sich in West- und Ost-Berlin bekannt machte mit dem „Sonderzug nach Pankow." Im Sommer 1986 kam Udo eines Tages zu seiner Crew und verkündete ganz ruhig: „Ich hab´ ein Lied für Gabi geschrieben."
Das wurde der bekannte Song „Horizont", und der hatte mit Ost und West - wie das Musical heute suggeriert - gar nichts zu tun.
Für Gabi? Gabi Blitz. Sie war Udos engste Freundin und Gefährtin. Bereits vor 1980 tauchte sie in der Hamburger Kneipen-Szene wie im Café Adler oder Carolina als Kellnerin, Multitalent und Aktionskünstlerin auf. 1984 schockte sie Teile der Öffentlichkeit mit „Frischfleisch-Aktionen" zusammen mit Udos Crewmitglied Felix (Foto), die zwar Sado-Maso-Interessierte ansprach, aber doch provozierend gemeint war.
Andrea Stammler über eine wilde Zeit und ihre beste Freundin: „Sie war für mich wie eine große Schwester, die mich in das Leben des Rock' n´ Roll eingeführt hat. Als 18-jähriges Späthippiemädchen kam ich nach Hamburg in die Udo-Szene und Gabi war die einzige Frau, die während der Tourneen überhaupt eine Funktion hatte. Sie hasste mich, als wir uns das erste Mal trafen. Sie war die durch-gestylteste Rock´ n Roll Mieze, der ich je begegnet bin. Große Klappe, immer einen Spruch parat."
Gabi selbst sprach sehr selbstbewusst über sich in Hamburger Magazinen, wie z. B. im Interview mit E. Mierswa 1984: „Ich bin total begeistert von mir."
Da hatte sie bereits die Performance-Übungen zu Udos Platte „Votan Wahnwitz" einstudiert. Oft trat sie mit wilden Perücken auf und färbte die Haare von tiefschwarz zu weißblond - was die 80er Kosmetik hergab. Alte Polaroids und die Meinung ihrer besten Freundin Andrea unterstreichen diesen energetischen, exzessiven Eindruck: „Mit Gabi war immer was los, auch außerhalb der Tourneen trafen wir uns regelmäßig und machten die Stadt unsicher, wir hatten immer unsere ´Auftritte´. Gabi hat mir alle - zu der damaligen Zeit - wichtigen Clubs gezeigt und mich langsam aber sicher das ´Überleben´ im Business gelehrt."
Tatsächlich war das Lebens-Akku von Gabi Blitz bereits voller Ereignisse gewesen; mit 17 verheiratet, mit 18 geschieden, kam sie Ende der 70er zur Udo-Crew. Offenbar war ihr wichtig, ihre Energie in kreative Aktionen umzuwandeln, vor oder hinter der Bühne. Über die Kraft und den Willen, das zu tun, sagte sie 1984: „Ich glaube, daß es vielen, besonders Frauen, so geht. Daß viele sehr gute Ideen haben, diese aber nicht hochkommen lassen, weil sie das unruhig macht und es dann natürlich zu Hause Theater gibt."
Sie wollte als Modeschöpferin tätig sein und fand es lächerlich, dass alle wie Depeche Mode herum laufen, sich selbst aber für individuell hielten. Ihre Rolle beim Lindenberg-Clan beschreibt Andrea Stammler so: „Für Udo war Gabi diejenige, die ihn wie einen Sohn, Bruder oder Freund umsorgt hat und ihn cool gehalten hat. Udo hat sich sicher gefühlt in ihrer Anwesenheit und ein Bodyguard war gar nicht notwendig, weil sie so viel Energie, Power ausstrahlte - respekteinflößend. Alle aufdringlichen Personen, keiner hatte es gewagt, Udo zu nahe zu treten."
Soweit, so interessant. Nun aber zurück zum „Horizont". Warum schrieb Udo ein Lied für Gabi?
Ihr exzessives, vielleicht zu energiereiches Leben endete kurz nach ihrem 33. Geburtstag, einen Tag vor Himmelfahrt: Am 30. Mai 1986 starb Gabi Blitz (richtiger Familienname Aukam) - an einer Mischung aus Tabletten und Alkohol. Harte Drogen wurden im Blut nicht gefunden.
Die Wichtigkeit, die sie für den Musiker und Mensch Udo hatte, drückt sich in dem intensiven Lied aus, dessen Zeile „Ein Paar wie Blitz und Donner" man nun etwas anders hören kann. Tatsächlich standen die „Wolken am Horizont" nicht einfach nur für Probleme oder Trennung, sondern für einen frühen Tod.
Andrea Stammler über ihre bedeutendste Freundin: „Gabi ist diejenige, die mir das Go gegeben hat, das zu sagen, was man denkt. Sie ist klar im Sprechen gewesen, im Fühlen und im Denken und absolut treu, wenn sie einen ins Herz geschlossen hatte. Sie war großzügig, liebevoll, fürsorglich, abenteuerlustig, sexy, lustig, treu - ach ich weiß nicht, was noch - einfach ein super Kumpel! Ich hab sie geliebt!... Bis heute habe ich keine Frau wie Gabi getroffen und ich trauere noch heute um sie."
Hier schließen sich die Kreise und endet die Suche nach der reellen Frau „hinterm Horizont".
Wer auch noch nach dem besungenen „Mädchen aus Ostberlin" forschen will, muss an anderer Stelle graben. Gabi Blitz stammte aus Gütersloh und kam somit - übrigens wie Udo - aus NRW. Nicht zu graben braucht man, um zu wissen, dass Udo Lindenberg viel war, aber ganz sicher nicht „der erste West-Künstler, der in der DDR auftreten durfte", wie dutzendfach zu lesen ist. Das ist ganz einfach: Unfug.