
Familie Avdo in ihrem Haus in der Kleinstadt Prizren, Kosovo. Rund 75 Euro hat die dreiköpfige Familie im Monat zur Verfügung.
Vor 15 Jahren endete der Kosovokrieg, vor sechs Jahren wurde der Kosovo unabhängig. Doch das Land hängt noch immer am Geldhahn der EU, mit abgeschobenen Flüchtlingen weiß der junge Staat nichts anzufangen. Zu Besuch bei zwei zurückgekehrten Familien.
Der Fiat rast eine schlammige Piste entlang, der Weg geht steil den Hang hinauf. Am Fenster ziehen unvollendete Bauten vorbei, Bruchbuden ohne Fensterscheiben, Betongerippe. Am Ende der Straße in der Kleinstadt Prizren im Kosovo stoppt Dursime Arbeneshi den Wagen. Sie arbeitet für den Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) in Prizren und deutet auf einen kleinen Verschlag aus roten Ziegeln. Darauf steht "Funded by the German Foreign Ministry" - finanziert vom deutschen Außenministerium.
Auf diesen 30 Quadratmetern lebt die Roma-Familie Avdo. Sohn Erdin öffnet die Tür und führt ins Wohnzimmer. "Es ist die Katastrophe", sagt der 35-Jährige und lässt sich auf die alte Matratze auf dem Boden sinken, auf der er nachts schläft. "Keine Arbeit, keine Zukunft, kein gar nichts." Mit Schrecken denkt er an den Tag ihrer Abschiebung aus Deutschland zurück.
Erdin erinnert sich gut daran: Sie waren Asylbewerber im bayrischen Sonthofen. Eines Abends kam sein Vater Mitat betrunken nach Hause, die Zeche hatte er geprellt. Am nächsten Morgen stand die Polizei vor der Tür. Mutter Ajshe meldet sich zu Wort: "Zwei Wochen hatten wir Zeit, unsere Koffer zu packen."
Das alles ist drei Jahre her, doch in der Erzählung der Familie klingt es, als wäre es gestern
gewesen. Katastrophe, Katastrophe, Katastrophe - in fast jedem Satz von Erdin fällt dieses Wort. Er kam schon als Kind nach Deutschland, doch die Schule besuchte er nur sporadisch. "Der Weg war so weit", sagt er achselzuckend. Das rächt sich nun: Ohne Schulabschluss ist es im Kosovo noch schwerer, einen Job zu finden. Erdin sammelt alte Dosen und verkauft sie, um zu überleben. Sonst bleibt der Familie nur die Rente des Vaters - 75 Euro überweist die Regierung in Pristina ihnen jeden Monat.
Deutschland ist omnipräsent - finanziell und in den Köpfen der Menschen
Dursime Arbaneshi vom ASB kennt viele solcher Geschichten von missglückten Heimkehrern in den Kosovo. Etwa 2000 Unterkünfte hat die Organisation mit Hilfsgeldern der Bundesregierung errichtet, meist für Roma. "Sie sind leider ein bisschen selbst schuld", sagt Arbaneshi, als sie den Fiat zurück in Richtung Innenstadt steuert. Der Vater habe den deutschen Behörden durch die geprellte Zeche einen leichten Vorwand geliefert, der Sohn sich vermutlich nicht genügend um Arbeit gekümmert. Sie zuckt mit den Achseln. Die Eigenheime sollen die Familien nun anspornen, hier etwas aufzubauen.
Doch das System funktioniert schlecht. Familie Avdo hat es nach zwei Jahren nicht einmal geschafft, die Außenwände selbst zu streichen. "Wir bauen ihnen ein Haus, um den Rest müssen sie sich schon selbst kümmern", sagt Arbaneshi.
Auf der Fahrt zum Büro des ASB in Prizren sind viele solcher Schilder zu sehen: "This project was funded by the EU", "sponsored by the German federal government". Schwarz-rot-goldene Flaggen wehen von den Balkons, im Fernsehen laufen deutsche Dauerwerbesendungen, viele drücken bei der Fußball-WM der DFB-Elf die Daumen. Im Auto stottert Bundeswehr-Radio, Restaurants servieren "Kfor-Burger". Selbst den touristischen Stadtplan, der die wenigen Sehenswürdigkeiten Prizrens verzeichnet, haben EU-Steuerzahler finanziert.
15 Jahre ist es nun her, dass Bundeswehr und Nato die serbische Armee aus dem Kosovo vertrieben, und so die ethnischen Gräuel unter der Bevölkerung stoppten. Bis heute werden die Kfor-Soldaten dafür von den Einheimischen verehrt. Während der Jugoslawien-Kriege und des Kosovokonflikts in den neunziger Jahren war die Bundesrepublik ein sicherer Hafen für Flüchtlinge. Bis zu 400 000 Kosovaren fanden in Deutschland Zuflucht. Seit die Bundesregierung und der Kosovo 2010 ein sogenanntes Rücknahmeabkommen unterzeichnet haben, müssen Tausende unfreiwillig zurück - in den vergangenen vier Jahren schob Deutschland 1969 Menschen in den Kosovo ab.
Das Geld aus Brüssel und anderen EU-Hauptstädten ist im Kosovo willkommen, doch mit Heimkehrern wie den Avdos weiß das Land mit seinen 1,8 Millionen Einwohnern wenig anzufangen. "Wenn sie teilweise nach Jahrzehnten zurückkommen, ist ihr soziales Netz dahin", sagt die Chefin des ASB-Büros, Dafina Hoxha. Besonders die Roma finden sich nicht mehr zurecht. Früher spielten sie auf jeder Hochzeit Musik, schmiedeten Hufeisen, schlugen Blechplatten, flickten Kessel. Es sind Berufe aus einer anderen Zeit. Für Brautpaare spielt heute der Synthesizer.