Unscheinbarer Anblick - von außen wirkt das Jagdschloss König Ludwigs wenig spektakulär. (Foto: dpa)
Das ockergelbe Schweizerhaus aus dem 19. Jahrhundert liegt einsam im Wettersteingebirge am Fuß der Dreitorspitze auf 1866 Meter Höhe. Keine Seilbahn und kein Lift führen hier hinauf auf den Schachen, ein kleines Plateau etwas oberhalb der Baumgrenze.
Garmisch-Partenkirchen/dpa.
Wer das elegante "Jagdschloss" König Ludwigs II. besuchen möchte, muss eine mehrstündige Wanderung oder eine schweißtreibende Tour mit dem Mountainbike unternehmen.
Für wahre Fans des bayerischen Märchenkönigs kein Problem. Obwohl das Wetter nicht ideal ist, herrscht bereits um die Mittagszeit reger Betrieb vor dem Eingang des rustikalen Schlösschens. Einige Wanderer scheinen etwas enttäuscht. Denn von außen nimmt sich die königliche Berghütte bescheiden aus, zumindest im Vergleich zu Neuschwanstein und Linderhof, den berühmtesten Bauten Ludwigs II. Im Untergeschoss sind zwei Schlafzimmer und ein Audienzraum zu besichtigen: weiß-blau karierter Filzteppich, Zirbelholzvertäfelung, einfache Eichenmöbel.
Nachdem man die königlichen Toilette passiert hat, führt eine schmale Wendeltreppe in der hintersten Ecke des Hauses in den ersten Stock. Hier verschlägt es den Gästen buchstäblich den Atem. Dies liegt nur bedingt an dem muffigen Geruch, der schwer über dem schlecht gelüfteten Raum hängt. Wirklich atemberaubend ist das Interieur dieses Prunksaals, den sich Ludwig II. für seine Geburtstagsfeiern errichten ließ: Um einen maurischen Springbrunnen gruppieren sich vergoldete Kandelaber und ornamentierte Vasen, in denen Pfauenfedern stecken. Die Wände strotzen vor Goldverzierungen, auf dem Boden liegen Orientteppiche, darauf stehen gepolsterte Schemel und luxuriöse Diwane. Das wenige Tageslicht, das durch die bunten Bleiglasfenster dringt, hüllt den Raum in schummriges Violett.
Dafür, dass König Ludwig verrückt war, gebe es keine eindeutigen Beweise, spricht die Schlossführerin munter in die fassungslosen Gesichter der Besucher, die in ihrer schwerfälligen Wanderkluft ziemlich deplatziert zwischen den filigranen orientalischen Accessoires herumstehen. Der türkische Brunnen ist zwar abgeschaltet, dafür redet die auskunftsfreudige Führerin wie ein Wasserfall. "Um den Fliegendreck herauszulassen", dürften die Angestellten zweimal im Jahr die großen Flügelfenster und die Tür zum Balkon öffnen. Eine herrliche Aussicht habe man von dort. Bei gutem Wetter könne man sogar bis zum Starnberger See sehen.
Hinter dem goldenen Balkontor würde man eher einen staubigen Innenhof in Damaskus oder eine belebte Gasse in Istanbul vermuten. Doch wer die Wendeltreppe wieder hinabsteigt, steht tatsächlich in den bayerischen Bergen. Am nahe gelegenen Aussichtspavillon, von dem aus sich ein fantastischer Ausblick bietet, fühlt sich der Wanderer wieder in seine gewohnte Welt zurückversetzt.
Wer noch etwas Erholung braucht, findet diese nur ein paar Schritte entfernt im Alpengarten, einer Zweigstelle des Botanischen Gartens in München. Von Anfang Juli bis Mitte September können hier bis zu 800 verschiedene Pflanzen bestaunt werden - vom heimischen Enzian bis zur Himalaya-Primel. Eine zünftige Brotzeit wird im Schachenhaus serviert. Der Berggasthof, in dem man auch übernachten kann, ist in den ehmaligen Stallungen des Schlosses untergebracht.
Die klassische Tour zum Schachenschloss führt über den so genannten Königsweg, der bei Schloss Elmau beginnt. Auf diesem Forstweg zuckelte König Ludwig einst mit der Pferdekutsche zu seinem Jagdschloss. Heute fahren hier keine Kutschen mehr, dafür sind umso mehr Mountainbiker unterwegs. Zu Fuß dauert der Aufstieg ungefähr dreieinhalb Stunden. Am plätschernden Elmauer Bach entlang geht es hinauf zur Wettersteinalm, ein steiniger Bergpfad führt dann durch den Wald weiter hinauf, bis nach etwa zweieinhalb Stunden zum ersten Mal in der Ferne das Schachenschloss zu sehen ist.
In der Nähe dieser Stelle mündet ein weiterer Wanderweg in den Königsweg ein: der Aufstieg von Garmisch über die Partnachklamm und den Kälbersteig. Wer Sinn für Dramatik hat, sollte diese Route wählen. Auf 700 Metern Länge spaziert man zwischen steilen Felswänden durch dunkle, feuchtkalte Tunnel an der tosenden Partnach vorbei. Im 19. Jahrhundert hat der Wildwasserstrom zahlreiche Holzarbeiter in den Tod gerissen.
Auch Ludwig II. ist ertrunken. Im Juni 1886 starb er unter mysteriösen Umständen an einer seichten Stelle des Starnberger Sees. Ob es Mord, Selbstmord oder ein Unfall war, könnte nie geklärt werden. Viele Bayern trauern noch heute um ihren Märchenkönig. So wird jedes Jahr am 25. August, dem Geburtstag Ludwigs, oben am Schachen eine Messe abgehalten.