Der Unterschied zwischen Durchschnitt und Mittelwert? "Das ist einer der gängigsten Fehler - und er wird auch in Redaktionen gemacht", sagt Marie-Louise Timcke. Sie ist seit Januar Leiterin Datenjournalismus bei der Süddeutschen Zeitung. "Die Data Literacy ist häufig nur sehr oberflächlich. Journalisten und Journalistinnen sehen eine Zahl, zitieren sie im Artikel und unterliegen letztlich demselben Irrtum wie viele Leser: Zahlen sind Fakten." Dabei ist auch die bestgemachte Statistik nur eine Annäherung an die Realität, und als solche müssen Journalisten sie behandeln. Gänzlich ohne Daten kommt Berichterstattung immer seltener aus. Die großen Themen der Zeit wie die Pandemie und die Klimakrise sind datengetrieben. Politik und Wirtschaft gründen ihre Entscheidungen auf Studien und Statistiken. Rechtfertigen Verdopplungszeit und exponentielles Wachstum tatsächlich die Corona-Maßnahmen? Solche Fragen erfordern ein gewisses statistisches Know-how und machen in vielen Redaktionen eine Lücke offensichtlich. "Hinter Zahlen schauen, Zusammenhänge erkennen, Datenkritik üben, Validierungsprüfungen machen und Vergleichsdaten heranziehen - das fehlt einfach", sagt Timcke. Sie sieht die Bereitschaft, daran etwas zu ändern: "Redaktionen rüsten nach, um sich diese Kompetenzen aufzubauen."
Der Trend zum Datenjournalismus hat schon vor der Pandemie Fahrt aufgenommen - etwa zu der Zeit, als sich Timcke für eine Karriere im Journalismus entschied. Datenjournalismus meint: Geschichten in Daten finden und mit Daten erzählen. Sie interaktiv ausspielen, um die Zahlen komplexitätsreduziert und spannend zu vermitteln - zum Beispiel als Service-Tool oder mit personalisierten Verortungsoptionen für die Rezipienten. Wie steht jede einzelne in der großen Zahlenblase? Diese Herangehensweisen eröffneten der heute 29-jährigen Timcke ungeahnte Türen. Doch zunächst brauchte es einiges Zureden, um sie von der Spezialisierung zu überzeugen.
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