Carolin Weische

Freie Journalistin, Rio de Janeiro

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Brasilien: Mehr Amazonas-Rodung wegen Ukraine-Krieg?

Brasiliens Präsident Bolsonaro setzt auf die Ausbeutung des Amazonas. Neuerdings auch mit dem Argument, der durch Sanktionen ausgelösten Düngemittel-Krise begegnen zu müssen. Kritiker vermuten einen üblen Trick.

Die Kettensägen heulen auf, als die Gruppe illegaler Goldgräber, die das ARD-Team begleitet, eine neue Schürfstelle erschließt. Mitten im brasilianischen Bundesstaat Pará sieht man schnell, wie rasant die Amazonas-Zerstörung voranschreitet. Bereits nach wenigen Minuten fallen dicke Urwald-Stämme. Auch kleinere Bäume, die bei der Suche nach Gold im Weg stören könnten, werden in Windeseile abgesägt. Danach beginnen die Goldgräber mit dem Auswaschen mehrerer Löcher, in denen sie Gold vermuten. Mit Hilfe zweier Motoren und zahlreicher Schläuche entsteht nach fünf Tagen ein zehn Meter breiter Krater im Urwaldboden.


Goldgräber wie diese gibt es an vielen Orten im brasilianischen Amazonasgebiet. Nur wenige arbeiten legal, also mit staatlichen Konzessionen. Neben Holzfällern und Landwirten sind sie es, die für den Rückgang von Brasiliens Urwäldern verantwortlich sind.

Zuletzt hat die staatliche Weltraumbehörde Inpe anhand von Satellitendaten einen neuen Rekord bei der Abholzung registriert: Im Februar wurden 199 Quadratkilometer Wald zerstört - dies entspricht in etwa der Fläche der Stadt Hannover. Es ist der höchste Wert für den Monat Februar seit Beginn der Aufzeichnungen im August 2015 - im Vorjahresvergleich hat die Entwaldung um 62 Prozent zugenommen.

Sie holzen ab, sie graben tiefe Löcher: Die Schäden, die Goldgräber im Amazonas anrichten, sind immens.


Im Vertrauen auf den Präsidenten

Viele Regenwald-Invasoren fühlen sich offenbar von Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro ermutigt: Während seiner Amtszeit ist die Abholzung am Amazonas deutlich gestiegen, auch weil die Umweltschutzbehörden geschwächt wurden. Außerdem ließ Bolsonaro seit seinem Antritt 2019 keine weiteren indigenen Schutzgebiete ausweisen. Stattdessen hat er nun einen Gesetzesvorstoß gemacht, indigene Reservate für Bergbau und wirtschaftliche Ausbeutung zu öffnen - ein lange gehegter Wunsch Bolsonaros, den er nun aus der Schublade geholt hat.


Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs und des Mangels an aus Russland importierten Düngemitteln will er Kalium im Amazonas abbauen lassen. Brasiliens mächtige Agrarlobby unterstützt diese Idee. Die größten Kalium-Reserven liegen allerdings nicht in den Regionen Amazoniens, sondern in östlichen Bundesstaaten jenseits des Amazonas-Urwalds - dort sind sie außerdem leichter abzubauen.


Die Abgeordneten haben es eilig

Dennoch hat am 9. März eine Mehrheit des Abgeordnetenhauses das geplante Gesetz als dringlich eingestuft. Im April soll darüber abgestimmt werden. Umweltschützer schlagen Alarm und kritisieren, Bolsonaro wende einen Kniff an und missbrauche den Ukraine-Krieg, um den Schutz indigener Territorien aufzuweichen. Schon jetzt sei der Amazonas geschädigt und nicht mehr überall in der Lage, sich von Dürren und Bränden zu erholen.


Sollte das Parlament mehrheitlich für Bolsonaros Gesetz stimmen, geht der Vorschlag in den Senat, der solchen Projekten in der Vergangenheit eher skeptisch gegenüberstand. Außerdem könnten juristische Hürden auftauchen. Staatsanwälte kündigten bereits an, die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes infrage zu stellen.


Zurück bleibt eine Mondlandschaft

Eine Rechtsgrundlage für ihre Arbeit haben die Goldgräber in Pará nicht. Nach fünf Tagen Arbeit stoßen die illegalen Invasoren in zwei Meter Tiefe auf jene Gesteinsschicht, in der sie Gold vermuten. Doch längst nicht überall werden sie fündig. Oft entdecken sie nur in jedem zweiten Krater genügend Gold, damit sich der Abbau lohnt. Zurück bleibt eine sandige Mondlandschaft, weil die dünne Erdschicht des Amazonas bereits völlig zerstört wurde.

Häufig findet sich beim Auswaschen kein Gold. Doch der steigende Goldpreis zieht weiter viele Schürfer in die Amazonasregion.


Die Zahl der Goldgräber nimmt zu, seit der Goldpreis in der Pandemie stark angestiegen ist. Allein im Bundesstaat Pará sind zehntausende illegale Schürfer im Urwald aktiv. Weiter nördlich, in Roraima, sind laut Schätzungen weitere 20.000 Goldgräber in das indigene Yanomami-Schutzgebiet eingedrungen. Eine Öffnung von Schutzgebieten für den Abbau von Düngemitteln würde die Zerstörung von Brasiliens grüner Lunge weiter beschleunigen.

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