Carlott Bru

Freie Journalistin, Autorin und Creative – Berlin

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Kommentar – Bye Bye, Netflix

Bye Bye, Netflix

Für unsere Autorin ist es Zeit, Tschüss zu sagen. Denn der Streamingdienst ist vom aufmerksamen Liebhaber zur toxischen Belastung geworden. Ein Abschiedsbrief.

Kommentar von Carlott Bru

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Im Bett läufts nicht mehr. Ich mache dich einfach nicht mehr an. Wenn ich im Flieger oder der U-Bahn sitze, schweifen meine Gedanken umher. Aber nicht mehr zu dir. Nein, ich scrolle auf TikTok, klicke Werbung auf YouTube weg. Sogar das ist besser als du. Es ist nicht ganz allein deine Schuld, das gebe ich zu. Beziehungen verändern sich - vor allem wenn sie so lang dauern wie unsere. 2015 haben wir uns kennengelernt, damals war ich noch fast ein Kind und Netflix & Chill nur ein Begriff.

Liebe ist nicht gleich sexuelle Anziehung, Körperlichkeiten sollten nicht ohne Zustimmung stattfinden - anders ist das in „The Kissing Booth". Da erlebt eine Teenagerin sexuelle Übergriffe und geht dann mit dem Täter aus. Zielgruppe: Teenager. Selbst Jacob Elordi, der kochend-heiße Hauptdarsteller, kann mich nicht darüber hinwegtrösten. Wie konnten sich unsere Werte so sehr auseinander entwickeln?

Dann passierte, was in so vielen Beziehungen nach einer Weile passiert: Du hast dich gehen lassen

Seit März willst du „schnelle Lacher " bringen, bist damit ungefähr so charmant wie ein weiterer Til-Schweiger-Film. Denn eigentlich, sind wir mal ehrlich, ist dein neues Format nur ein Abklatsch von etwas anderem. Etwas, das schneller knallt. Doch du wirst niemals Tiktok sein - wieso also bleibst du nicht lieber authentisch? Als wir uns kennenlernten, hast du mein Leben erleichtert. Dank dir musste ich mich nicht länger mit Kinox.to, Cloudshare und Burning Series rumschlagen. Ich bin dir immer noch dankbar. Auch für die gute Zeit, die wir hatten. Du hast meine Bedürfnisse erkannt, mich gesehen, während ich minutenlang Porno-Werbung anderer Streaming-Seiten wegklickte:

„Einsam heute?" - Mit dir nicht mehr!

„Meindirtyhobby?" - Bist du!

„Suchst du nach Spaß?" - Nein, dafür habe ich dich.

„Wettkredit bis zu 100 Euro!" - Brauche ich nicht, denn du bist mein Glück. Warst es.

Und heute?

So viel ist weg von dem, was ich an dir mochte. Als Ende 2020 „Gossip Girl" nicht zu finden war, dachte ich: Okay, ich muss dich mit deinen Misslichkeiten mögen. Dich lieben, für das, was du bist. Ein Jahr später verschwanden „How I Met Your Mother", „Prison Break", „Family Guy", „New Girl", „Sons of Anarchy", „Der Prinz von Bel-Air" und „Vampire Diaries". Seit vergangenem Sommer ist sogar „Harry Potter" weg. Es ist okay, sich zu verändern. Vielleicht liegt es auch nur daran, dass der Fall so tief war. Wie du mich umgarnt hast, die Mühe, die du dir gabst. Deine Titel waren Gedichte für mich:

Ich glaube, alles fing mit deinem eigenen Knopf auf der Fernbedingung an

Jetzt ist davon nichts übrig. Und ich blieb zurück, immer öfter zweifelnd. Kannst du mir noch bieten, was ich brauche? Ich weiß, du hast es versucht. Du brachtest mir „Emily in Paris", „Bridgerton", „Stranger Things", „Selling the OC" und zuletzt „Wednesday". Doch der Anspruch blieb immer öfter auf der Strecke. Warum kam seit 2019 keine neue Staffel „Black Mirror"? Wieso wirken so viele deiner Dokus reißerisch und polemisch auf mich?

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