Bruno Angeli

Freier Journalist, Typograf und Publisher, Zürich

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Das traditionelle Militärvelo ist alles andere als sexy. Dennoch ist das Stahlross begehrt: Sportler bestreiten damit Rennen, Sammler haben es als Kulturgut und Kapitalanlage entdeckt.


Von Bruno Angeli


Sepp Moser ist ein bekennender Militärradfan. "Ich fuhr das Militärvelo meines Urgrossvaters, daher auch der spezielle Bezug zu diesem Fahrzeug." Moser gründete sogar einen Verein, den "Militärveloverein Appenzell", um dieses Velo als Fortbewegungsmittel zu erhalten und zu pflegen. "Beim Fahren erlebe ich einfach nur Spass und Gemütlichkeit. Dieses Velo erfüllt mich mit Stolz. Es ist schön gemacht und erzählt eine eigene Geschichte." Moser bewegt seine zwei Militärräder. Das eine an Wochenenden, das andere an Werktagen an seinem Studienort. Nur im Winter geniessen die Velos Schonung und werden eingelagert. 


Vom hohen Stahlross herab


Wieder in Betrieb genommen wurde im Dezember 2008 auch ein Ordonnanzrad 05 mit Baujahr 1950. Es wurde zu einem Geschenk für den neuen Bundesrat Ueli Maurer. Seine Parteifreunde überreichten ihm das Fahrzeug mit demselben Jahrgang auch im Wissen darum, dass Maurer Angehöriger einer Truppengattung war, die für ihren Korpsgeist berühmt war. "Das Besondere an den Radfahrertruppen war die sehr gute Kameradschaft. Kaum eine Truppe hatte eine so hohe körperliche Einsatzbereitschaft wie die Radfahrer. Man wurde nicht einfach Radfahrer. Die Ansprüche waren sehr hoch", sagt Bruno Sorlini, ehemaliger Kollege Maurers aus der Rekrutenschule. Sorlini ist heute Präsident der Historischen Radfahrer-Kompanie, die 2005, zwei Jahre nach der Auflösung der Radfahrertruppen, gegründet wurde. Dass es sich um eine militärische Truppe handelte, machen Sorlinis soldatisch klingende Aussagen klar. "Die körperlichen Anforderungen waren gleich hoch wie bei den Grenadieren." Unvergessliche Leiden auf dem Rad im Schnee, Eis, bei Kälte, Regen in der Nacht, brütender Hitze und auf langen Verschiebungen auf Nebenwegen wie von Winterthur nach Le Locle könne man nicht aus der Erinnerung tilgen. "Wenn man mal Radfahrer war, ist und bleibt man das bis zum Tode", sagt Sorlini. 


Vom Aussterben bedroht


Ähnliche Herausforderungen werden heute sogar noch freiwillig, aber ohne Waffen und militärischen Auftrag bewältigt. Als wohl weltweites Unikum findet nämlich in der Schweiz jedes Jahr ein gutes Dutzend Militärradrennen. Ein Highlight ist ein Rennen, das als Nebenanlass während des Zürcher Sechstagerennens stattfindet. Daniel Markwalder ist als mehrfacher Schweizer Meister der erfolgreichste Militärradfahrer der Gegenwart. Markwalder weiss, Militärradrennen gibt es nur so lange, wie die bestehenden Rennorganisatoren Zeit und Lust haben, diese abzuwickeln, und es genügend Teilnehmer gibt. "Falls die Teilnehmerzahlen stark zurückgehen, wird es in den nächsten drei bis fünf Jahren wohl keine Rennen mehr geben", befürchtet der Rennfahrer. 


Oldtimer-"Rennmaschine" 


 Markwalder ist stolzer Besitzer von vier Militärrädern. Seine "Rennmaschine" stammt von 1984. Er nahm sie damals als Rekrut entgegen. Auch gehört ein Trainingsrad fürs Wintertraining zum Bestand. Die beiden anderen Räder seien in einem sehr guten Zustand. Das eine trägt seinen Jahrgang, 1971, und das andere ist ein richtiger Oldtimer von 1932. Diese beiden Räder hätten einen Marktwert von je etwa 2000 Franken. Militärräder waren auch schon günstiger zu haben, erinnert sich Thomas Ernst, ebenfalls ehemaliger Radfahrer der Schweizer Armee. "Es wurden Velos an einer Gant sowie an anderen Liquidationen unter die Leute gebracht. Angeblich gab es dabei Militärräder schon für 50 Franken." Ernst ist heute Unternehmer und Betreiber von militaervelo.ch und militaerveloshop.ch, welche im Spezialvelogeschäft Velo Zürich integriert sind. Als er Militärräder für den Wiederverkauf zu restaurieren begann, musste er bereits 150 bis 300 Franken für die Beschaffung bezahlen. 2002 verkaufte Ernst die ersten Militärräder für 300 Franken. Zwei Jahre später erhielt er bereits 450 Franken für ein durchschnittliches Exemplar. 

Heute kostet ein Militärrad gegen 600 Franken. Und vor kurzem hiess es vom höchsten Liquidator der Armee: Velos seien keine mehr zu liquidieren. Auch die Militärräder, die bei Velo Zürich im Laden stehen, sind bald ausverkauft. Aber Thomas Ernst hat ja noch einen Lagerraum. Darin stehen noch einige der begehrten Objekte. Sie warten nun auf ihre Instandsetzung und ihren neuen Einsatz als Zivilfahrzeuge.


(Berner Zeitung)

Erstellt: 14.06.2009, 15:43 Uhr

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