Zwischen romantischen Backsteinhäusern und in die Jahre gekommenen Gewerbehallen steht in Berlin-Lichtenberg für viele Vietnamesen ein Stück Heimat in Deutschland. Das Dong Xuan Center. Es ist ein lauer Donnerstagabend, unzählige Menschen flanieren auf dem Hof in der Sonne. Viele warten darauf, dass der Einlass beginnt. Es ist Galaabend. Ein besonderer Tag, der Auftakt für ein viertägiges Festival, denn das Center wird 20.
Um kurz vor sieben empfängt uns Dong Thanh Nguyen, der Assistent der Geschäftsführung. Ein Mann in seinen Vierzigern, der mit sanfter, aber klarer Stimme spricht. Nach langer Zeit des Schweigens öffnet sich das Center wieder gegenüber der Presse. „Das Festival soll ein Zeichen der Integration sein", erzählt er. An die deutsche Bevölkerung, Freunde aller Nationalitäten. Und auch die Behörden. Über die Jahre hat es immer wieder Kritik gegeben. Dem Bundeskriminalamt zufolge wäre das Center etwa Dreh- und Angelpunkt für Menschenhandel. Nguyen verneint das vehement. „Wir können versichern, dass es solche Aktivitäten hier nicht gibt."
Um kurz nach sieben öffnet der Veranstaltungsaal des Centers seine Pforten. Ein großer Raum liegt vor den Gästen, die Decken sicherlich sechs, sieben Meter hoch. Der Abend steht im Zeichen der zweiten Generation, der Einwandererkinder. Groß geworden in Deutschland, zwischen zwei Welten. Die Bühne ist in den nächsten Tagen reserviert für vietdeutsche Künstler und Künstlerinnen, wie die Rapperin Nashi44. Die Reihen im Saal sind bisher eher spärlich gefüllt. Viele der auf den Stühlen ausgelegten Programmhefte sind noch unberührt. Aber es ist auch noch früh, lange ist der Einlass nicht auf.
Kunst von Akrobatik bis Stand-up-ComedyMit der Zeit füllt sich der Saal zusehends. Links und rechts laufen Vietdeutsche mit ihren deutschen Freunden herum, trinken Bubble Tea. Das Programm ist divers. Modern, kosmopolitisch. Irgendwo zwischen Hanoi und Berlin. Straßenakrobatik vom internationalen Ensemble Flying Monkeys, Musik von vietnamesischen Künstlern, Stand-up-Comedy von der schnodderigen Mai My aus Hamburg. Durch den Abend führt Vanessa Vu, unter anderem Journalistin für „Die Zeit". Hier, wo schon die Einstürzenden Neubauten 1989 ihr erstes Konzert in der ehemaligen DDR spielten.
Đong Xuân:
ist Vietnamesisch und bedeutet auf Deutsch „Frühlingswiese". Neben dem Standort in Berlin-Lichtenberg gibt es noch ein kleineres Center in Leipzig. Das Vorbild ist die Đồng Xuân Markthalle in Hanoi, Vietnam, die 1889 von französischen Kolonialisten erbaut wurde.
Ausschnitt des Programms des Festivals: Nashi44, Berliner Rapperin Saigon Soul Revival, Rock aus Ho-Chi-Minh-Stadt Duc Ngo Ngoc, Regisseur der ARD-Serie „Made in Germany"Die kulturelle Komponente des Orts betont Dong Thanh Nguyen explizit. „Es ist mehr als nur eine Einkaufs- und Handelsmöglichkeit", sagt er. Es ist ein Anker für viele Vietnamesen. Der Ort begleitet die Menschen, viele lernen hier als Kinder vietnamesische Kultur kennen, wie Nashi44 erzählt. Dass sie dort am Samstag auftreten darf, sei etwas ganz Besonderes.
Der steht im Zeichen von Akzeptanz und Sichtbarkeit. Unsichtbarkeit wird Asiaten und Asiatinnen gerne attestiert, sagt Moderatorin Vu. „Es geht um die zweite Generation, um den Austausch der Kulturen. Das ist etwas, was mir in der Kindheit gefehlt hat", sagt Vu in ihrer Moderation.
Ich habe erst mit 20 angefangen, Vietnamesisch zu lernen. Um wertzuschätzen, wie toll es ist, zwei Kulturen in sich zu tragen, musste ich erst meinen internalisierten Rassismus verstehen.
Another Nguyen, Pianistin und SängerinViele der Einwandererkinder sind groß geworden in Gegenden, wo sie die einzige asiatische Familie waren. Die Frage nach der eigenen Identität begleitet sie lange. Lichtenhagen 1992 wird für viele der anwesenden Mittdreißiger und ihre Eltern prägend gewesen sein. Wie die Pianistin und Sängerin Another Nguyen. Ihr Künstlerinnenname ist die ironische Verarbeitung des extrem verbreiteten Nachnamens Nguyen in Vietnam.
Die Suche nach IdentitätSie erzählt, wie schwierig es war, eine Identität zu finden, wie sie sich als Kind und Jugendliche versucht hat, in die deutsche Gesellschaft zu assimilieren. „Ich habe erst mit 20 angefangen, Vietnamesisch zu lernen. Um wertzuschätzen, wie toll es ist, zwei Kulturen in sich zu tragen, musste ich erst meinen verinnerlichten Rassismus verstehen", sagt sie auf der Bühne. Ausufernde Applaus. Wahrscheinlich der lauteste des Abends.
Mehr zur vietdeutschen Community in Berlin Rapperin Nashi44 aus Berlin-Neukölln „Es gab vielleicht eine weitere asiatische Familie in meinem Kiez" Einer der größten Asia-Märkte Deutschlands Berliner Dong-Xuan-Center wird 20 Jahre alt Junge vietdeutsche Gastronomen „Wir nennen uns Imbiss-Kids"
Der Balanceakt zwischen deutscher Gesellschaft und vietnamesischer Kultur scheint noch immer viele zu beschäftigen. Währenddessen bringen ein paar junge Vietdeutsche ihren deutschen Freunden eine vietnamesische Phrase bei - damit sie mitsingen können. Integration bedeutet Austausch. Dieser Abend lebt von diesem, abseits jeder Kontroverse um den Veranstaltungsort. Der Saal war gegen Ende zu Zweidritteln voll. Dong Thanh Nguyen ist schon zu Hause - das Kind wartet. Er hätte es gern gehabt, wenn der Saal voller gewesen wäre, aber das Wochenende beginnt ja erst.