Wir Menschen sind zum Lernen geboren und bleiben bis ins hohe Alter lernfähig. Kinder haben jedoch bessere Lernvoraussetzungen. Ihr Gehirn saugt von Anfang an wie ein Schwamm neue Erfahrungen und Eindrücke auf. Dadurch werden die Verbindungen zwischen den Nervenzellen ständig neu geknüpft und aktualisiert. In der Forschung nennt man das Neuroplastizität. Sie sorgt dafür, dass Kleinkinder Tag für Tag Fortschritte machen - sei es in ihren Bewegungen oder eben in der Sprache.
Die gute Nachricht: Auch im Alter bleibt unser Gehirn plastisch. Wir können also weiter lernen, wenn auch nicht mehr so beiläufig wie in der Kindheit. Dafür gibt es mehrere Gründe. Mit zunehmendem Alter lässt unsere Gedächtnisleistung nach. Es fällt uns deutlich schwerer, Dinge zu behalten oder auswendig zu lernen. Das gilt natürlich auch für das Lernen von Vokabeln.
In einer kritischen Phase braucht ein Kleinkind ein bis zwei Wiederholungen, um sich ein neues Wort zu merken. Im Prinzip sind Kinder wie Aufnahmegeräte. Sie hören etwas, bearbeiten und kategorisieren die Informationen und geben es sofort wieder. Erwachsene können das nicht. Sie brauchen viel mehr Wiederholungen, bis sie ein Wort und seine Bedeutung gespeichert haben.
Regelmäßige Interaktion fehlt oftHinzu kommen Art und Intensität des Lernens sowie weitere kognitive Fähigkeiten: Mit zunehmendem Alter versuchen wir, Sprachen mit zwei bis drei Unterrichtsstunden pro Woche oder vielleicht mit Apps zu lernen. Die Erfolgschancen sind überschaubar. Oft fehlt uns auch die regelmäßige Interaktion mit Muttersprachlern und die Sprachroutine.
Kinder hingegen lernen unter idealen Bedingungen: Sie haben viel Zeit zum Spielen und zur sozialen Interaktion und bekommen kontinuierlich Input und individuelle Förderung durch Eltern, Verwandte oder pädagogische Fachkräfte. Wir Erwachsenen sprechen mit ihnen, machen etwas vor, reagieren auf ihr Verhalten und kommentieren. Dieses gemeinsame Tun ist sehr wichtig für den Spracherwerb und schafft die Basis für sprachliche Regeln.
Auch die Angst vor Fehlern spielt keine so große Rolle wie im Erwachsenenalter. Kinder haben in der Regel keine Sprachhemmungen, weil ihnen ein paar Vokabeln fehlen oder sie mit der Grammatik unsicher sind. Nur wenige Erwachsene haben den Luxus einer ständigen Lernbegleitung mit starker emotionaler Bindung. Stattdessen ist die neue Sprache für viele nur eine Sache unter mehreren im stressigen Alltag zwischen Familie, Beruf und Freizeit. Könnte man sich in Vollzeit auf die Fremdsprache konzentrieren und ein Sprachbad nehmen wie die Kinder, wäre der Erfolg größer als mit täglich zehn Minuten Vokabeln vor dem Einschlafen.
Kinder lernen unterbewusstDoch der Faktor Zeit ist nicht der einzige Unterschied bei Art und Erfolg des Lernens. So lernen Kinder vor allem unbewusst durch die soziale Interaktion. Das Wahrnehmen der Intention anderer Menschen und das Erkennen von Mustern sind grundlegend für den kindlichen Spracherwerb. Grammatik entsteht, wenn man sprachliche Konstruktionen aus wiederkehrenden Symbolfolgen formt. Kinder erkennen und übernehmen diese Muster aus dem Sprachfluss, der sie umgibt. Die Frage nach dem Sinn oder einer Motivation stellt sich gerade in den ersten Lebensjahren nicht.
Bei Erwachsenen ist der Lernprozess viel kopflastiger. Sie brauchen eine Motivation, ein Ziel, für das sie sich anstrengen, vielleicht eine Liebe über Sprachgrenzen hinweg, der Wunsch, sich besser im Lieblingsurlaubsland zurechtzufinden, oder die Aussicht auf eine Karriere in einem internationalen Unternehmen. Dieses konkrete Ziel wollen sie am liebsten auf einem didaktisch zielführenden Weg erreichen - mit Unterricht, Tests und vorgegebenen Sprachsituationen. Mit dem mühelosen impliziten Lernen aus der Kindheit hat das wenig zu tun.
Das Erlernen von Sprachen in der zweiten Lebenshälfte ist jedoch keine vergebliche Liebesmüh. Für die Begegnung mit anderen Kulturen sind schon einfache Sprachkenntnisse ein großer Gewinn. Zudem zeigt die Forschung, dass geistige Anregung unser Gehirn länger fit hält und sogar Krankheiten wie Alzheimer in Schach halten kann. Natürlich können wir nicht erwarten, mit 50 oder 70 Jahren eine neue Sprache perfekt zu erlernen. Aber um sich im Urlaub zu verständigen, ist auch das ältere Gehirn noch gut in der Lage.
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