Sternenkinder: So trauern Elternpaare gemeinsam
Ein Kind zu verlieren, ist das Traurigste, was Eltern passieren kann und macht am Anfang vor allem eines: ohnmächtig. Eine derartige Krise als Paar meistern zu müssen, kann überfordern. Wie schaffen Eltern es, ihrer Trauer Raum zu geben und mit Schuldgefühlen umzugehen? Genau diesem Thema widmet sich das Buch "Nur zu Besuch" von Marga Bielesch. Die Paartherapeutin führt eine therapeutische Praxis für Sprache, Bindung & Beziehung in Weimar. Einer ihrer Schwerpunkte als Paartherapeutin ist es, wie Eltern nach dem Verlust ihres Kindes wieder Mut schöpfen können. Aufgrund des Verlustes ihres dritten Kindes weiß sie, welche Unterstützung Eltern sich wünschen - wie sie im Interview erzählt.
Es gibt in diesem Zusammenhang so viele Begriffe – man spricht von Schmetterlingskindern oder Sternenkindern, von Sternkinder-Eltern oder verwaisten Eltern – gibt es da Unterschiede?
"Gute Frage. Ich glaube nicht, dass es große Unterschiede in der Definition gibt. Alle diese Begriffe beschreiben die Tatsache, dass das Kind entweder während der Schwangerschaft, bei der Geburt oder kurz danach gestorben ist. Es ist eher eine Frage, mit welchem Begriff man sich wohlfühlt. Ich persönlich bezeichne mich als verwaiste Mutter."
Du hast dich von deiner Tochter Lila kurz nach der Geburt im Hospiz verabschiedet. Kannst du einmal deine ersten Gefühle nach diesem Verlust beschreiben?
"Wir haben schon während der Schwangerschaft erfahren, dass unsere Tochter krank ist. Aber wir wussten nicht, dass sie nicht operiert werden kann und sterben wird. Diese Nachricht war ein furchtbarer Schock für uns. Ich fühlte mich unendlich überfordert, hilflos und ohnmächtig. Ich vergleiche dieses Gefühl der großen, unfassbaren Trauer gerne mit einem dunklen Loch, in das man fällt und in dem es zunächst keinen Boden und keinen Halt zu geben scheint."
Verändert sich dieses Gefühl der Trauer nach dem ersten Schock?
"Die Dauer des Schocks ist sehr unterschiedlich. Man kann sich durchaus über Wochen oder Monate unendlich hilflos fühlen. Gleichzeitig beginnt die Verarbeitung, oft noch ganz unbewusst. Auch dabei sind große, schwere Gefühle im Spiel, tiefe Trauer, Schmerz, manchmal auch Schuldgefühle oder Wut. Auch die große Hilflosigkeit wird von den Eltern als sehr belastend empfunden. Dein Kind wird nicht plötzlich wieder lebendig, der Tod ist etwas Endgültiges. Daran kann man nichts ändern. Das muss man erst einmal begreifen."
Wie wichtig ist die Beerdigung für den Trauerprozess?
"Das bewusste Abschiednehmen bei der Bestattung ist ein wichtiger Teil der Trauerbewältigung und kann sehr heilsam sein. Deshalb sollte man sich auch ein Bestattungsunternehmen suchen, das sich mit Kinderbestattungen auskennt und einem die Möglichkeit gibt, den Abschied selbst zu gestalten. Wir haben etwa den Sarg für Lila zusammen bemalt - zu Hause am Wohnzimmertisch und nicht im Bestattungsinstitut. Zuerst war es ein komisches Gefühl, diesen kleinen Sarg im Wohnzimmer zu sehen. Aber am Ende war es ein sehr heilsamer und schöner Moment für uns alle. Die Zeremonie selbst war auch sehr bunt und fröhlich. Es gab Luftballons und schöne Musik. Ich empfand diese Gestaltungsmöglichkeit als befreiend, gerade in einer Zeit, in der man sein Schicksal so akzeptieren muss."
Mit dem Grab wird ein Ort des Andenkens geschaffen. Wie wichtig ist das für die Trauer?
"Grundsätzlich ist es schön, genau diesen Ort der Trauer zu haben. Ob man aber regelmäßig zum Grab gehen möchte, muss jeder für sich selbst entscheiden. Es gibt auch Menschen, die sich eben ganz andere Erinnerungspunkte geschaffen haben, an denen sie sich ihrem Sternenkind nahe fühlen können — zum Beispiel ein Bild im Wohnzimmer oder vielleicht ein Tattoo auf der Haut. Da gibt es kein Richtig oder Falsch."
Wie sieht ein aktiver Trauerprozess aus?
"Aus der Schockstarre kommt man, wenn man den Schmerz zulässt, in einen aktiven Trauerprozess. Das bedeutet vor allem, sich seinen Gefühlen zu stellen. Das ist ein anstrengender und belastender Prozess, für den man sich Zeit nehmen muss — für sich selbst und auch als Paar. Ich habe mir zum Beispiel nach dem Tod von Lila eine viermonatige Auszeit von meiner Praxis genommen. Das hat mir sehr geholfen, meine eigene Trauer zu spüren und die meiner Kinder zu begleiten. Natürlich kann man sich auch Unterstützung von außen holen. Vor allem Frauen suchen oft den Kontakt zu Menschen mit einem ähnlichen Schicksal. Sie engagieren sich häufig in Trauergruppen für verwaiste Eltern oder tauschen sich in Rückbildungskursen für Sternenkind-Mütter aus. Zum Glück gibt es inzwischen viele solcher Angebote. Denn diese Gespräche sind sehr wichtig, um den schweren Verlust zu verarbeiten. Das gilt natürlich auch für die Partnerschaft. Gemeinsame Trauerzeiten, im Gespräch oder auch nur im Stillen, sind essenziell. Auch das Schaffen von Trauerritualen kann bei der Verarbeitung helfen. Wie diese aussehen, ist sehr individuell. Manche Eltern schreiben ihrem Kind täglich Briefe, führen ein Tagebuch oder lassen sich zur Erinnerung tätowieren. So werden Erinnerungen für das Kind geschaffen, die für die Trauerarbeit sehr wichtig sind."
Was wird langfristig aus dem tiefen, schwarzen Loch, von dem du gesprochen hast?
"Große Liebe. Natürlich könnte ich auf die traurige Erfahrung verzichten, mich so früh von meiner Tochter verabschieden zu müssen. Gleichzeitig trage ich eine unglaublich große Liebe zu Lila in meinem Herzen. Und ich bin sehr dankbar für die gemeinsame Zeit. Das heißt nicht, dass es auch traurige Momente gibt, aber vor allem denke ich jeden Tag liebevoll an sie."
Trauern Männer und Frauen unterschiedlich?
"Die Gefühle sind zwar die gleichen, aber der Umgang damit ist sehr unterschiedlich. Frauen lassen große Gefühle wie Trauer viel eher zu und nehmen sich bewusst Zeit dafür. Sie haben kein Problem damit, verletzlich zu sein und offen über ihre Gefühle zu sprechen. Sie suchen sich auch viel selbstverständlicher Hilfe und Unterstützung. Männer haben damit größere Probleme. Sie haben es oft nicht gelernt, über ihre Gefühle zu sprechen oder auch verletzlich zu sein. Das ist ein großes Problem eines veralteten Gesellschaftsbildes, das Emotionen und Verletzlichkeit als unmännlich abstempelt. Auch nach einem solchen Verlust wird von ihnen erwartet, dass sie schnell wieder funktionieren. Das führt dazu, dass Männer mit ihrer Trauer oft überfordert und einsam sind. Gerade das Gefühl der Ohnmacht, nichts am Schicksal ändern zu können, empfinden sie als sehr belastend. Sie stürzen sich in die Arbeit oder treiben exzessiv Sport. Dort glauben sie, alles unter Kontrolle zu haben. Unterdrückte Hilflosigkeit kann sich auch in Wut äußern. Der unterschiedliche Umgang damit kann durchaus zu Konflikten in der Partnerschaft führen. Frauen verstehen diese Art der Trauer oft nicht, sie wirken von außen oft kälter und weniger einfühlsam. Umso wichtiger ist gegenseitiges Verständnis."
Gibt es Trauerangebote nur für verwaiste Väter?
"Bei Recherchen für mein Buch bin ich auf sehr wenige Angebote für Väter gestoßen. Eins gibt es zum Beispiel bei Sternenkind München. Vielleicht auch, weil die Nachfrage aus den oben genannten Gründen kaum vorhanden ist. Das muss sich dringend ändern. Trauernde Männer müssen lernen, offener über ihre Gefühle zu sprechen und gleichzeitig braucht es mehr Angebote für sie — also Trauergruppen für Männer oder auch Trauerbegleiter für Männer. Ich hoffe sehr, dass sich unser Männerbild in den nächsten Jahrzehnten deutlich verändert und es für Männer normaler wird, über ihre Gefühle zu sprechen. Genauso wünsche ich mir natürlich, dass es in der Gesellschaft normaler wird, über verwaiste Eltern zu sprechen."
Wann wird das Alleinsein mit seinen Gefühlen gefährlich?
"Grundsätzlich ist es möglich, mit starken Gefühlen wie Trauer alleine umzugehen und für sich selbst gute Strategien zu entwickeln, zum Beispiel ein Tagebuch zu schreiben. Kritisch wird es, wenn die Auseinandersetzung mit der Trauer ausbleibt und die Gefühle beiseitegeschoben werden. Im schlimmsten Fall entwickeln sich daraus Depressionen, große Antriebslosigkeit oder Suchterkrankungen. Umso wichtiger ist es, über seine Gefühle zu sprechen und ihnen Raum zu geben - sei es im Gespräch mit dem Partner oder in Trauergruppen."
Was passiert, wenn genau dieses gemeinsame Trauern nicht gelingt?
"Wenn Eltern nur individuell und nicht gemeinsam trauern, ist die Gefahr groß, dass sie sich über kurz oder lang voneinander entfremden. Dieses Gefühl des Alleinseins überträgt sich auf andere Lebenssituationen, in denen plötzlich auch die Nähe fehlt. Und genau das kann zur Trennung führen. Deshalb noch einmal mein Appell: Gemeinsame Trauer braucht nicht viele Worte. Es geht vielmehr darum, die eigenen Gefühle zu teilen und dem Partner auch die eigene Verletzlichkeit anzuvertrauen. Genau das schafft in diesen Momenten Nähe und stärkt langfristig die Beziehung. Deshalb kann es auch sinnvoll sein, gemeinsam einen Trauerbegleiter aufzusuchen. Er kann in dieser schweren Zeit Worte finden und den Anstoß zu gemeinsamen Gesprächen geben, die sonst vielleicht nicht stattfinden würden."
Fazit: Gemeinsam statt alleine trauern
Der aktive Trauerprozess um dein Sternenkind beginnt damit, deinen Schmerz und die Trauer zuzulassen. Sich seinen Gefühlen zu stellen und über sie zu reden, kann dabei helfen, die Trauer zu bewältigen. Diese Momente des gemeinsamen Trauerns sorgen für Nähe und Halt.