Birk Grüling

Wissenschaft für kleine und große Leser:innen, Buchholz

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Warum hat der Mensch sein Fell verloren?

Wir Menschen gehören neben Nacktmullen und Meeressäugern zu den wenigen Säugetieren, die im Laufe der Evolution ihr Fell verloren haben. Bei unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen, blieben bis heute alle Haare erhalten. Evolutionär gesehen trennten sich unsere Wege vor etwas sechs bis sieben Millionen Jahren. Wir können davon ausgehen, dass unser letzter gemeinsamer Vorfahre noch ziemlich behaart war.

Folglich können wir den Zeitraum des Fellverlustes eigenermaßen eingrenzen. Einen ganz genauen Zeitpunkt dafür auszumachen, ist allerdings genauso schwer, wie die Frage nach dem Warum zu beantworten.

Von den verschiedenen Urmenschen-Arten fanden wir bisher nur Knochen, aber keine Hautabdrücke mit oder eben ohne Fellspuren. Und die Spuren von Kleidung oder der regelmäßigen Nutzung von Feuer sind deutlich jünger. Es bleibt nur die indirekte Herleitung. Dafür gibt es verschiedene Ansätze. Fell hat in der Natur unterschiedliche Funktionen. Eine wichtige ist die Thermoregulation.

Anpassung an das sich verändernde Klima?

Und nun kommt der Homo erectus, ein möglicher haarloser Ausgangspunkt, ins Spiel. Er lebt vor zwei Millionen Jahren in Afrika und wird mit 1,80 Meter deutlich größer als seine Vorfahren. Auch seine Beine sind länger und besser an den aufrechten Gang angepasst. Diese Entwicklung lässt sich mit Klimadaten aus dieser Zeit vergleichen. Auf dem afrikanischen Kontinent herrscht keine Eiszeit, stattdessen ist das Klima sehr trocken. Wälder gehen zurück, es bilden sich Savannen. Darin bewegt sich der Urmensch mehr, verfolgt Beutetiere und ist der starken Sonne stärker ausgesetzt. Ein dichtes Fell wäre nun gefährlich. Der Körper und das größer werdende Gehirn könnten schnell überhitzen. Ein drohender Hitzetod wäre ein guter Grund kahler zu werden - die Evolution arbeitet nicht ohne Anlass.

Die Schimpansen bleiben dagegen im Wald, und ein Fellverlust wäre nicht nötig gewesen. Die Klimaveränderung ist nicht der einzige Erklärungsansatz. Zum Beispiel schützt weniger Fell auch vor Ungeziefer. Sie können auf glatter Haut schlechter nisten. Fällt das Lausen weg, bliebe mehr Zeit für die Jagd und andere Dinge. Gleichzeitig liefert das Auftreten von Filzläusen im Intimbereich vor knapp drei Millionen Jahren einen Hinweis darauf, dass unsere Vorfahren damals schon haarloser waren.

Welche Rolle spielt die sexuelle Selektion?

Auch wenn es manche Darstellungen in Kinderbüchern noch anders zeigen, dürften der frühe Homo sapiens und der Neandertaler nicht viel behaarter gewesen sein als manche Zeitgenossen im Freibad. Das heißt aber nicht, dass es nicht auch andere Menschenarten gab, die noch länger Fell trugen oder mindestens deutlich behaarter waren als ihre Verwandten.

Auch sexuelle Selektion könnte eine Rolle gespielt haben. Schon Charles Darwin vermutet im Verlust der Haare einen sexuellen Vorteil. Auch wenn seine Theorie in der Fachwelt inzwischen als überholt gilt, könnte die menschliche Sexualität doch wenigstens zu dieser Entwicklung beigetragen haben. So haben wir noch immer echtes Haar im Intimbereich oder auf dem Kopf oder im Gesicht. Das könnte wiederum zur sexuellen Unterscheidbarkeit dienen und bestimmte Attribute wie Stärke oder Vitalität signalisieren.

Solche Erklärungsansätze sind nicht unumstritten, könnten aber doch ein Hinweis darauf sein, dass vermutlich mehrere Gründe zum Haarverlust führten. Einen spannenden Ansatz, um den Zeitpunkt des Fellverlusts besser einzugrenzen, könnte die Paläogenetik liefern. Schimpansen haben unter ihrem Fell eine rosafarbene Haut. Die Haut der haarlosen Urmenschen muss viel stärker pigmentiert sein. Nun könnte man nach dem Ursprung von dunkler Haut suchen - entweder durch Rückdatierung in unseren Genen oder in fossilem Urmenschen-Erbgut in Afrika, das wir hoffentlich in Zukunft noch entdecken werden. Das würde uns der Antwort auf diese gute Frage einen großen Schritt näherbringen.

Über den Experten:* aufgezeichnet von Birk Grüling Dr. Manuel Will ist paläolithischer Archäologe und Paläoanthropologe und studierte an den Universitäten Tübingen und Cambridge. Seine derzeitige Forschung beschäftigt sich hauptsächlich mit den frühesten kulturellen Überresten des Homo sapiens in Afrika und der Evolution der menschlichen Körpergröße über die letzten vier Millionen Jahre. Derzeit lehrt und forscht er an der Universität Tübingen.
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