Birk Grüling

Wissenschaft für kleine und große Leser:innen, Buchholz

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Brauchen Kinder diverses Spielzeug?

Meine Recherche beginnt im örtlichen Spielzeugladen, genauer gesagt vor dem Regal der bekannten Puppenmarke Barbie. Die Haare sind blond und lang, schlank die weiblichen Puppen, durchtrainiert die männlichen, quietschrosa die meisten Verpackungen. Nur eine der Puppen ganz hinten im Regal hat eine dunkle Hautfarbe. Dabei kämpft der Mattel-Konzern seit Jahren gegen den Vorwurf, Kindern ein unrealistisches Körperbild zu vermitteln.

Regelmäßig gibt es Sondereditionen mit paralympischen Sportlerinnen oder Akteurinnen der internationalen Frauenbewegung. Von diesem Angebot ist im Spielzeuggeschäft der Vorstadt nichts zu sehen. Nkechi Madubuko, Autorin des Buches " Erziehung zur Vielfalt", überrascht diese Beobachtung wenig. "Spielzeug, aber auch Medien und Bücher für Kinder vermitteln immer noch einen sehr einseitigen Blick auf die Welt. Die meisten Akteure sind weiß, jung und haben keine Behinderung. Eltern arbeiten in gut bezahlten Jobs, Familien bestehen vor allem aus Mutter-Vater-Kind und wohnen im eigenen Haus. Die vielfältige Lebensrealität bildet das nicht ab", sagt die Soziologin. Kinder mit Behinderung seien genauso unterrepräsentiert wie jene mit einer anderen Hautfarbe oder einer Migrationsgeschichte.

Vorurteile durch Spielzeug?

Dabei bietet Spielzeug genauso wie Bücher oder Serien enorme Identifikationsmöglichkeiten für Kinder. Entsprechend wichtig ist es, dass sie sich mit ihrer Lebensrealität auch wiederfinden und repräsentiert fühlen. Zusätzlich eröffnet Vielfalt in Büchern und Spielzeug auch die Chance für den berühmten Blick über den Tellerrand. Kinder erfahren von Dingen außerhalb der eigenen Lebensrealität, bekommen die Möglichkeit andere Perspektiven einzunehmen und erleben, dass es vielfältige Entfaltungsmöglichkeiten innerhalb unserer Gesellschaft gibt. Geschieht genau das nicht, habe das schwierige Folgen, sagt Madubuko. Kinder mit einer Behinderung oder einer anderen Hautfarbe fühlen sich eben nicht gesehen. Schnell kann so ein Gefühl entstehen, weniger wert oder gar fehl am Platz zu sein. Und alle anderen Kinder erleben im schlimmsten Fall jede Form von Vielfalt als komisch oder minderwertig und sich selbst in einer dominanten Machtposition. "Ohne gelebte Vielfalt festigen wir nur Vorurteile und Rassismen auch für kommende Generationen. Und daran haben eben Spielzeuge genauso wie Kinderbücher auch einen nicht zu unterschätzenden Anteil", erklärt die Diversitätsexpertin.

Erste Schritte in die richtige Richtung

Doch es gibt auch Positives zu berichten. Das Bewusstsein für Vielfalt wachse bei Kinderbuchverlagen genauso wie in der Spielzeugbranche, weiß Janina Vernal Schmidt vom Institut für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Hildesheim. "Ein schönes Beispiel dafür sind die Onlineshops und Geschäfte für diversitätsbewusstes Spielzeug und Bücher. Einer von ihnen ist Tebalou aus Berlin, dort gibt es Puppen mit verschiedenen Hautfarben oder Brettspiele frei von Genderklischees", sagt die Sprachwissenschaftlerin. Auch große Marken wie Playmobil, Lego oder eben Mattel sind bemüht, ihre Sets vielfältiger zu gestalten. Rollstuhlfahrer fahren im Skaterpark, Frauen fliegen ins Weltall oder leiten die Feuerwehrstation. Auch People of Colour sind in den Sets präsenter geworden. Auf die antiquierte Darstellung von Ureinwohnern wird weitestgehend verzichtet. Studien zu dem Erfolg dieser Bemühungen seien aber rar, weiß Vernal-Schmidtund stellt fest: "Der Blick in große Spielzeugkataloge zeigt sicher positive Ansätze, gleichzeitig ist noch viel Luft nach oben. Es wird immer noch stark zwischen Mädchen und Jungs unterschieden, überholte Stereotypen werden bedient." Von einem nachhaltigen Erfolg möchte die Sprachwissenschaftlerin deshalb auch erst reden, wenn vielfältiges Spielzeug eben nicht mehr bewusst gesucht werden muss, sondern in jedem Regal zu Verfügung steht. Solange sich vor allem gut informierte Eltern um vielfältiges Spielzeug oder Kinderbücher sorgen, sei das nicht mehr als ein Anfang.

Hautfarbenstifte ändern nicht die Welt

Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Vielfalt geht jeden einzelnen von uns etwas an. Deshalb sind ein breites Bewusstsein und ein breites Angebot wichtig. Nicht nur aus dem eigenen Kinderzimmer müssen Bücher und Spielzeuge mit antiquierten oder gar rassistischen Rollenbildern verschwinden, sondern auch aus Kitas und Schulen. Gleiches gilt natürlich auch für Großeltern und andere Verwandtschaft, die oft noch geschlechterstereotypes Spielzeug kaufen oder unbedingt Winnetou vorlesen möchten. Denn bei den Klischees und Vorurteilen hilft am Ende nur eins: Konsequent ausmisten, und das beginnt im Kopf. "Rassismus verschwindet nicht dadurch, dass wir uns vielfältige Hautfarbenstifte oder Puppen kaufen. Viel wichtiger ist es darüber nachzudenken, welche Vorurteile wir selbst haben und vielleicht auch offen zeigen", sagt Nkechi Madubuko.

Genau diese Erkenntnis bleibt für mich am Ende dieser Recherche deutlich eindrücklicher als positive Tendenzen aus der Spielzeugbranche. Denn ob ein Kind zu einem toleranten, respektvollen und weltoffenen Menschen heranwächst, liegt damit in unserer Hand. Wir Großen sollten einen respektvollen Umgang miteinander vorleben, offen auf Menschen zugehen und nicht abwertend über andere sprechen. Zu dieser Vorbildfunktion gehört aber eben auch mein bewusster Griff ins Regal des Spielzeughändlers.

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