Birk Grüling

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Paläopathologie: Unter welchen Krankheiten litten die Dinosaurier?

Paläopathologie: Unter welchen Krankheiten litten die Dinosaurier?

Schon die Dinosaurier hatten mit zahlreichen Zipperlein zu kämpfen. Paläopathologen versuchen, anhand von versteinerten Knochen diesen frühen Krankheiten auf die Schliche zu kommen - und nachzuvollziehen, wie sich Knochen über Jahrmillionen entwickelt haben.

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Entenschnabelsaurier waren so etwas wie die Kühe der Kreidezeit. Vor knapp 80 Millionen Jahren zogen sie stetig Grünzeug kauend in großen Herden durch die Lande. Für Paläontologinnen und Paläontologen ist ihr häufiges Vorkommen bis heute ein Segen. Von kaum einer Sauriergruppe wurden so viele Fossilien gefunden und so viele einzelne Arten genauer untersucht.

Die Forschenden wissen inzwischen, dass sie auf zwei oder vier Beinen laufen konnten, in sozialen Gruppen lebten und sich vermutlich intensiv um ihren Nachwuchs kümmerten. Doch ihre versteinerten Knochen verraten noch mehr, und zwar unter welchen Krankheiten schon kreidezeitliche Kühe litten.

Saurier mit einer Knochenkrankheit

2020 entdeckte ein internationales Forschungsteam an Schwanzwirbeln eines Entenschnabelsauriers verdächtige Löcher. Im Computertomografen stellte sich heraus, dass es sich dabei keineswegs um Bissspuren eines Raubsauriers handeln konnte. Im Vergleich mit menschlichen Knochen erhärtete sich ein anderer Verdacht - Langerhans-Zell-Histiozytose, kurz LCH.

Bei dieser seltenen Erkrankung treten tumorartige Wucherung im Knochen auf, ausgelöst von fehlgeleiteten Zellen des Immunsystems. Am häufigsten tritt sie bei Kindern auf. Ob wie bei Menschen auch das Weichteilgewebe des Sauriers von Tumoren betroffen war und ob das Tier an dieser Krankheit starb, lässt sich posthum nicht mehr feststellen.

Dass wir Menschen nicht die ersten Lebewesen sind, die mit angeborenen Fehlbildungen oder Krankheiten wie Krebs zu kämpfen haben, ist für Yara Haridy, Paläontologin und Expertin für Knochen-Evolution an der University in Chicago, allerdings keine Überraschung. „Krebserkrankungen oder auch Genmutationen reichen weit zurück in der evolutionären Geschichte der Wirbeltiere. Tumore zum Beispiel entstehen durch unkontrollierte Vermehrung von Zellen, bedingt durch Schäden am Erbgut oder Fehler beim Ablesen der Erbinformation", sagt sie. Moderne Lebensgewohnheiten wie Alkoholkonsum, Bewegungsmangel oder Rauchen erhöhen allerdings ihre Chance.

Diagnose nach 240 Millionen Jahren

Trotzdem sind Spuren von urzeitlichen Tumoren eher die Ausnahmen. Sie treten schließlich viel häufiger in Weichgewebe auf als in Knochen. Doch auch an versteinerten Knochen finden sich einige Spuren von Krankheiten und Verletzungen. Durch den technologischen Fortschritt in der Forschung rückten diese Funde in den vergangenen Jahren immer stärker in den Fokus und bereiteten einer neuen Disziplin den Weg: der Paläopathologie. Anders als in der Gerichtsmedizin sind Skalpell oder Knochensäge allerdings tabu. Stattdessen werden die wertvollen Ausstellungsstücke mit hochauflösenden CT-Scannern durchleuchtet.

So gelang auch der frühste Nachweis von Knochenkrebs bei einer 240 Millionen Jahre alten panzerlosen Schildkröte. Bei der CT-Untersuchung des in Baden-Württemberg gefunden Fossils entdeckten Haridy und ihre Kollegen eine verdächtige Wucherung am Hinterbein. Um auf Nummer sicher zu gehen, zeigten die Forschenden ihre Aufnahmen Onkologinnen und Onkologen der Berliner Charité. Am Ende stand die Diagnose fest: Es ist mit großer Wahrscheinlichkeit ein Osteosarkom, also Knochenkrebs.

„Wir können nicht genau sagen, ob die Urschildkröte dieselben krebserzeugenden Gene besessen hat wie heute der Mensch, oder ob die Erkrankung tödlich für das Tier war", sagt Haridy. Bei Menschen kann sich der aggressive und meist bösartige Knochenkrebs bis zur Lunge ausbreiten. Bei einem ähnlichen Verlauf wäre für die Schildkröte die Bewegung oder das Fressen stark beeinträchtigt gewesen.

Halsschmerzen bei Langhalssauriern

Nicht nur Krebs gab es zur Zeit der Saurier schon. Amerikanische Forschende wollen herausgefunden haben, dass auch die riesigen Langhalssaurier schon mit Fieber, Schnupfen und Husten zu kämpfen hatten. An einem rund 150 Millionen Jahre alten Fossil aus Montana entdeckten sie Spuren einer Luftsackentzündung. Die Luftsäcke saßen bei den Langsauriern in der Wirbelsäule und sorgten für konstante Sauerstoffzufuhr in alle Regionen des gewaltigen Körpers. Außerdem reduzierte das Luftsacksystem ihr Gewicht deutlich.

Die Entzündung dieser Luftsäcke ist bei Vögeln eine weit verbreitete Atemwegserkrankung, die durch Bakterien oder auch Pilze ausgelöst werden kann und zu Atemnot und Schwäche führt. Die US-Forschenden vermuten, dass auch die Langhalssaurier unter Gewichtsverlust, Fieber, Husten und Nasenausfluss litten. Raubsaurier wie den Tyrannosaurus Rex quälten dagegen eher Knochen- und Zahnschmerzen. Für Forschende sind das interessante Spuren eines umtriebigen Lebenswandels. So diskutierte die Fachwelt lange darüber, ob der Tyrannosaurus Rex wirklich ein gefährlicher Jäger war oder doch nur ein schnöder Aasfresser.

Etwas Licht ins Dunkel dieser Fachdiskussion brachten der Wirbelknochen eines Entenschnabelsauriers. In ihm steckte nämlich das Stück eines T-Rex-Zahns. Das sind eindeutige Spuren eines aktiven Angriffs des Raubsauriers. Die Bissspuren waren offensichtlich wieder verheilt und nicht posthum zugefügt worden. „Dank solcher Funde wissen wir, dass der T-Rex mindestens einen Teil seiner Beute jagte. Die versteinerten Knochen großer Raubsaurier zeugen ohnehin einem gefährlichen Leben", sagt Florian Witzmann, Paläopathologe vom Berliner Museum für Naturkunde.

Zahnschmerzen beim T-Rex

Das gilt auch für das Berliner T-Rex-Skelett Tristan Otto. Mit bloßen Augen erkennt man die Verdickungen an seinen Rippen. Ein klares Indiz für verheilte Knochenbrüche, entstanden durch Kämpfe mit großen und wehrhaften Pflanzenfressern wie dem Triceratops oder Auseinandersetzungen mit Rivalen. Doch nicht nur die Knochen schmerzten den T-Rex. Auch einen Zahnarztbesuch hätte Tristan Otto dringend nötig gehabt.

Die Berliner Paläopathologinnen und Paläopathologen fanden einige Hinweise krankhafter Veränderungen in seinem Maul. Im Unterkiefer hatte der gigantische Raubsaurier eine große Schwellung, vielleicht durch eine Entzündung oder einen Tumor. Im Oberkiefer zeigten sich Spuren von Entzündungen und Verschleiß an den Zahnkronen. Kurzum: Der T-Rex hatte vermutlich ordentlich Schmerzen beim Zubeißen. Vermutlich waren aber die großen Fleischfresser durchaus hart im Nehmen und fanden Wege, mit solchen Krankheiten und Verletzungen umzugehen.

Ein Hinweis darauf liefern Fußspuren, die in Spanien entdeckt wurden. Sie stammen von einem großen Raubsaurier mit einem verletzten oder verkrüppelten Fuß. Untersuchungen von spanischen Forschenden ergaben, dass der Dino seinen Gang an den verletzten Fuß angepasst hat. Seine Trittspuren waren weiter voneinander entfernt, die Abdrücke des linken Fußes deutlich schwächer als auf der rechten Seite. Trotz der Schonhaltung scheint der Raubsaurier noch auf die Jagd gegangen zu sein.

Die Evolution der Knochen

„Mit genauen Diagnosen nach vielen Millionen Jahren müssen wir natürlich vorsichtig sein. Trotzdem kann die Paläopathologie zeigen, wie es um die Gesundheit der Dinosaurier stand, unter welchen Krankheiten sie schon litten und manchmal auch, wie sie mit Verletzungen umgingen", sagt Witzmann. Die frühsten Kampfspuren sind mit fast 400 Jahren noch viel älter als die Saurier. So fand man im Außenskelett der Panzerfische Löcher, die vermutlich von den Angriffen großer Seeskorpione stammen.

Viel interessanter als die Streitigkeiten in prähistorischen Ozeanen ist allerdings der Heilungsprozess. Die Panzerfische besaßen harte Knochenschuppen, deren Oberfläche zusätzlich mit Dentin und einer zahnschmelzähnlichen Substanz belegt war. Das Dentin half auch dabei, Wunden schnell wieder zu verschließen.

Für Forschende liefert dieser Fund einen spannenden Einblick in die Evolution der Knochen. Weil sich ein Außenskelett für Wirbeltiere nicht gerade zum Erfolgsmodell entwickelte, verschwand dieser Heilungstrick schnell wieder. Deshalb haben Menschen (leider) kein Dentin und keinen Zahnschmelz auf ihren Knochen.

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