Birk Grüling

Wissenschaft für kleine und große Leser:innen, Buchholz

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Wie riecht die Vergangenheit? Archäologen rekonstruieren Geruchskulisse

Wussten Sie schon, wie die Vergangenheit riecht?

Wie roch es in der Antike? Dieser Frage gehen Archäologen mithilfe von historischen Schriftquellen, antiken Funden und moderner Technik nach und eröffnen damit einen neuen Blick auf vergangene Hochkulturen.

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Pompeij war bis zum Ausbruch des Vesuvs eine wohlhabende Stadt nahe dem Mittelmeer. Waren aus den nahen Seehäfen wurden hier gehandelt, Gewürze, Papyrus und Keramik kamen aus Griechenland, Spanien, Nordafrika oder dem Nahen Osten. Wein, Getreide und die Fischsoße Garum waren beliebte Exportgüter. Trotz des Reichtums und vieler prachtvoller Villen wohnten die meisten Menschen in eher beengten Verhältnissen, in Ein- oder Zweizimmerwohnungen ohne Küche, Toilette oder fließend Wasser. Essen holten sich die Einwohnerinnen und Einwohner Pompeijs an den zahlreichen Straßenimbissen, für die Körperpflege nutzten sie die Thermen, ihr großes und kleines Geschäft verrichteten sie in den öffentlichen Toiletten. „Diese Alltagsgerüche aus Suppen und stark gewürztem Essen, Müll und Exkrementen haben den Geruch der Stadt vermutlich stark geprägt", sagt Johannes Eber. In seiner Doktorarbeit hat sich der Archäologe noch mit ganz anderen Gerüchen beschäftigt, nämlich den Räucherharzen und den Kräutern, die bei täglichen Gebeten im Haus, zusammen mit Tieropfern in den großen Tempeln oder bei Beerdigungen, verbrannt wurden. Auch sie prägten den Geruch Pompeijs. „Gerade Weihrauch war ein Massenprodukt und wurde großzügig und von jedermann verbrannt. Das Beten und Räuchern am Hausaltar gehörten zum Alltag. Vermutlich kam dort die gesamte Familia zusammen, zu der im alten Rom auch die Sklaven gehörten", sagt Eber. Mit dem Weihrauchnebel mischten sich in den Villen der Oberschicht aber noch viele andere Düfte.

Gerade Parfüme oder Öle galten bei den Römern als Symbol für Luxus und Reichtum. Antike Dichter berichten - nicht ganz ohne Spott - über Feste und Orgien, bei denen nicht nur das Essen und sogar das Lampenöl großzügig beduftet wurde, sondern eben auch die Gäste selbst. „Vermutlich wäre diese spezielle Mischung aus Alltagsgerüchen, starkem Parfüm, kultischen Kräutern und verbrannten Tieropfern für unsere modernen Nasen nur schwer erträglich gewesen. Wie die Geruchskulisse auf die Menschen damals wirkte, lässt sich aber nur schwer sagen", sagt Eber. Auch die gesamte, olfaktorische Gemengelage der Stadt lässt sich nur in Teilen rekonstruieren. Bei einzelnen Gerüchen ist das durchaus möglich, nicht nur anhand von historischen Schriftquellen, sondern auch dank moderner Labortechnik.

Vermutlich wäre diese spezielle Mischung aus Alltagsgerüchen, starkem Parfüm, kultischen Kräutern und verbrannten Tieropfern für unsere modernen Nasen nur schwer erträglich gewesen.

Johannes Eber

Archäologe

Antike Gerüche aus dem Labor

Eine ausgewiesene Spezialistin auf dem Gebiet der Geruchsrekonstruktion ist Barbara Huber vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte. „An archäologischen Funden wie Tongefäßen finden wir inzwischen selbst kleinste Reste von organischen Substanzen. So lassen sich auch Aromen von Essen oder molekulare Reste von Weihrauch oder Parfümen nachweisen", erklärt die Archäologin. Viele Jahrhunderte überdauerten diese Reste in der porösen Oberfläche von Tongefäßen, Parfümflakons oder Tiegeln für Salben. Die ältesten von Huber untersuchten Reste stammen aus der Bronzezeit. Entscheidender als das Alter ist der Erhaltungszustand der Gefäße. Im Labor gehen Huber und ihre Kolleginnen mit den Forschungsobjekten äußerst vorsichtig um. Mit winzigen Bohrungen oder etwas Kratzen an der Oberfläche sichern sie das nötige Material für die genaue Untersuchung mittels Gas- und Flüssigkeitschromatographie und Massenspektrometrie. Extrahiert von Gefäßresten lässt sich aus den Biomolekülen eine Art chemischer Fingerabdruck ermitteln. Dieser lässt genau Rückschlüsse darüber zu, welche Duftstoffe verwendet wurden.

So lässt sich nicht nur nachweisen, ob in einem Gefäß Weihrauch verbrannt oder Fischsoße gelagert wurde, sondern der Geruch lässt sich auch künstlich nachbauen. Dadurch entsteht eine spannende neue Perspektive für die Forschung, glaubt Huber. „Düfte sind ein wunderbarer Spiegel ihrer Zeit und damit auch eine interessante Quelle für die historische Forschung. Zugang zu speziellen Aromastoffen war schon in frühen Epochen ein Statussymbol und gibt uns Hinweise über soziale Hierarchien. Düfte geben uns aber auch Einblicke in Handelsrouten mit Kräutern und Salben und Wissenschaftsaustausch, in religiöse und kultische Praktiken oder bei Salben sogar in medizinisches Wissen", erklärt sie. Auch für die Wissensvermittlung ist die Wiederbelebung alter Düfte sehr spannend. So experimentieren bereits erste Museen mit historischen Düften als neue olfaktorische Ebene für ihre Ausstellungen. Doch die Sache hat einen Haken, gibt Huber zu. „Wir können nicht durch die Nasen der Menschen damals riechen. Gerüche sind eng mit Emotionen verbunden, die durch unsere Prägung und Erinnerungen entsteht. Wir können zwar Gerüche nachbauen, aber nur erahnen, welche Bedeutung sie für die Menschen ihrer Zeit hatten", sagt die Archäologin.

Opulent zu riechen war also ein Privileg und Statussymbol.

Dora Goldsmith, Ägyptologin

Das Chaos stinkt, Ordnung ist dufte

Eine antike Hochkultur, in der die Bedeutung von Gerüchen besonders intensiv erforscht wird, ist das alte Ägypten. Dora Goldsmith von der Freien Universität Berlin ist als Ägyptologin auf Gerüche spezialisiert und hat für ihre Doktorarbeit über 1000 Texte übersetzt - von der ersten Dynastie bis zum Ende des Weltreichs. Das Thema Gerüche zieht sich wie ein roter Faden durch die Jahrhunderte. „Die große Zahl der Texte zeigt, wie intensiv sich die Ägypter mit Gerüchen beschäftigten und durch sie kommunizierten. So kannten sie sehr viele Ausdrücke für Düfte und Gestank. Selbst in ihren Namen findet sich ein Bezug zu Düften. Auch in der Sprache nutzten sie viele Duftmetaphern, zum Beispiel in der Liebespoesie. Überliefert sind außerdem zahlreiche Rezepte für medizinische Salben und Parfüme", erklärt die Ägyptologin. Ein wichtiger Grund für diese exponierte Bedeutung der Gerüche liegt in der Religion. Im Alten Ägypten glaubten die Menschen, dass die Welt stinkt - jedenfalls wenn die Herrschenden nicht für Ma'at, also Ordnung und Gerechtigkeit in der Welt, sorgen. Eng mit dieser Ordnung verknüpft waren Städte und gute Gerüche. In der Welt des Chaos, Isfet, lebten die Menschen dagegen ohne Ordnung, in Sümpfen und im Muff.

Duft und Gestank standen im gleichen Dualismus wie Gut und Böse. Diesem Glauben folgend gingen die Ägypterinnen und Ägypter äußerst großzügig mit Düften um. Ähnlich wie in Pompeij wurden Massen von Weihrauch, Myrrhe und Harzen in den Tempeln verbrannt, zusammen mit großzügigen Opfergaben wie Tieren, Wein, Blumen oder Brot. Mit diesem Duftgemisch wollte man die Götter, aber auch die Menschen selbst in den Tempel locken. Immer der Nase nach wäre vermutlich eine gute Wegbeschreibung zur nächsten Kultstätte gewesen. Goldsmith sieht noch eine Parallele zwischen den Hochkulturen. „Parfüm und Öle waren teuer, viele der Zutaten mussten aus anderen Ländern importiert werden. Opulent zu riechen war also ein Privileg und Statussymbol", sagt sie. Die reichen Ägypter trugen Düfte üppig auf, tränkten ihre Kleidung in Lotusöl. Selbst Speisen wurden beduftet. Mit diesem opulenten Geruch grenzten sich die Reichen von der hart arbeitenden Unterschicht ab, diese rochen nach Schweiß und Arbeitsmitteln wie Gerbstoffe. Doch auch die Arbeiterinnen und Arbeiter gaben vermutlich einiges Geld für Salben und Düfte aus. Ihre Zutaten waren allerdings nicht so hochwertig und durchschlagend.

Die hohe Bedeutung von Düften hielt bis ins Jenseits. Ägyptische Mumien wurden großzügig mit Salben, Ölen und Essenzen behandelt. Bis heute gehören die einbalsamierten Leichname von Menschen und Tieren zu den geruchsintensivsten Überbleibseln der antiken Hochkultur.

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