Birk Grüling

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Auswilderung von Luchsen und anderen Tieren: Hilft das gegen das Artensterben?

Biologe: „Auswilderung ist die absolute Königsdisziplin"

Auswilderungen sollen bedrohte Tierarten vor dem Aussterben bewahren. Doch dieses Unterfangen ist schwierig. Welche Fallstricke es gibt und warum sich Auswilderungen dennoch lohnen, erklärt Experte Volker Homes.

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Die Rote Liste bedrohter Arten wird immer länger. Laut Schätzungen von Umwelt­schutz­organisationen sterben pro Tag etwa 150 Tier- und Pflanzen­arten aus. Dieses Artensterben gilt es zu stoppen, daran besteht kein Zweifel. Doch wie? Antworten gibt es einige: große Arten­schutz­programme vor Ort zum Beispiel, die Bekämpfung von Wilderei oder illegalem Tierhandel oder den besseren Schutz von schwindenden Lebensräumen.

Erfolg der Projekte ist nicht garantiert

Wisente im Kaukasus

Ein WWF-Projekt will es besser machen, nachdem die Auswilderung von Wisenten im Kreis Siegen-Wittgenstein wenig erfolgreich war. Derzeit wird eine kleine Herde im Kaukasus ausgewildert, zum Teil stammen die Wisente aus dem Tierpark Berlin. Für die Rindviecher ist es eine Rückkehr in den natürlichen Lebensraum. Dort wurde 1927 der letzte Wisent geschossen. Heute stehen diese Tiere auch in Aserbaidschan unter strengem Schutz. Zeitweise gab es nur 20 überlebende Tiere, dank Tierparks wurden sie vor dem Verschwinden bewahrt. Inzwischen leben weltweit wieder mehr als 6200 Wisente - in Tierparks und zunehmend auch wieder in Freiheit.

Bei der Suche nach Lösungen fällt auch immer wieder der Begriff „Auswilderung" - gemeint ist damit die Wieder­ansiedlung von schon verschwundenen Arten oder die Erhaltung schwindender Bestände durch Tiere aus Gefangenschaft oder anderen, deutlich stabileren Populationen. Volker Homes vom Verband der Zoologischen Gärten sagt: „Auswilderung ist die absolute Königsdisziplin und eher der letzte Ausweg als eine universelle Lösung gegen das Artensterben. Es ist aufwendig, kostspielig, und die Erfolgs­chancen sind abhängig von der Art und dem Lebensraum."

Die 71 Tierparks und Zoos seines Verbandes wildern pro Jahr etwa 3000 Tiere aus. Darunter sind vor allem einheimische Arten, etwa Feldhamster oder die Europäische Sumpf­schild­kröte. Vereinzelt sind auch größere Auswilderungs­vorhaben dabei, wie von Luchsen, Steinböcken und Bartgeiern in den Alpen oder Philippinische Krokodile.

„Zoologische Gärten bemühen sich redlich, die schwindenden Populationen einzelner Arten durch aufwendige Zucht­programme zu erhalten", sagt der Biologe. Insgesamt gebe es knapp 1000 solcher Programme auf der Welt. Ein paar Tierarten wie das Europäische Wisent, das Przewalski-Pferd oder das Goldkopf-Löwen­äffchen konnten mit diesem Zoo­genpool schon vor dem Aussterben gerettet werden.

Skepsis gegenüber Raubtieren

Doch auch bei guten Voraussetzungen ist der Weg vom gesunden Genpool mit Tieren in Gefangen­schaft zurück zu einer stabilen Population in der freien Natur lang. Ein Beispiel dafür sind die Luchse. Im Harz starteten vor 20 Jahren die ersten Programme, heute leben dort wieder 90 Raubkatzen. In Rheinland-Pfalz wurden schon 20 Tiere freigelassen, in Thüringen und Baden-Württemberg stehen die Auswilderungen noch am Anfang.

Hinter den Kulissen werde aber schon viel länger gearbeitet, berichtet Wild­tier­experte Moritz Klose von der beteiligten Natur­schutz­organisation WWF. „In Rheinland-Pfalz haben wir vor 15 Jahren mit unserer Aufklärungsarbeit angefangen. Für den Projekterfolg ist es wichtig, alle Akteure mit ins Boot zu holen, Landwirte, Jäger und natürlich die Bürger." Skepsis gegenüber zurück­kehrenden Raubtieren gibt es genug.

Intensive Begleitung der Programme ist wichtig

Ein wichtiger Faktor ist auch die Auswahl der Tiere. Es können keine Tiere ausgewildert werden, die an den Umgang mit Menschen gewöhnt sind. Aus diesem Grund versuchen immer mehr Zoos und Tierparks, den menschlichen Eingriff so gering wie möglich zu halten - selbst auf die Gefahr hin, dass ein verstoßenes Jungtier ohne Flaschen­auf­zucht stirbt. Ein zweiter Faktor bei der Auswahl ist der Genpool. In Deutschland soll es sich möglichst um reinrassige Eurasische Karparten­luchse handeln, die genetisch nicht eng verwandt sind. Sind die richtigen Raubkatzen gefunden, werden sie meistens „behutsam" ausgewildert.

Bei dem „Softrelease" dürfen sich die Luchse in speziellen Gehegen erst mal an die neue Heimat gewöhnen. „Wir hatten auch schon den Fall, dass ein Luchs nach seiner Freilassung knapp 300 Kilometer weit zurück in Richtung seiner Heimat gewandert ist. Zum Glück konnte er dort in freier Wildbahn bleiben", berichtet Klose. Die Wanderungen der Luchse werden mit GPS-Sendern aufgezeichnet, die Population steht unter ständiger Beobachtung.

Auch Studien zu Auswirkungen auf die Ökosysteme laufen. Eine Hoffnung der Biologinnen und Biologen: Raubtiere wie Luchse könnten sich mittelfristig regulierend auf den Wildbestand auswirken und somit zu einem gesünderen Wald beitragen, in dem weniger Rehe und Hirsche die jungen Bäume anfressen. Allerdings sind dafür noch deutlich mehr Tiere nötig. Ein Luchs reißt etwa 50 Rehe, pro Jahr wohlgemerkt. Selbst die deutlich größere Anzahl an Wölfen hat bisher kaum Auswirkungen auf den historisch hohen Wildbestand.

Ursprüngliche Bio­diversität wieder­herstellen

Von der ursprünglichen Stellung an der Spitze der Nahrungs­kette sind die etwa 150 wilden Luchse in Deutschland noch weit entfernt. Das liegt auch daran, dass es hier kaum noch passenden Lebens­raum gibt, also große natur­belassene, verkehrsarme und miteinander verbundene Regionen. Im Harz wächst die Population der Luchse zwar immer noch.

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Gleichzeitig ist die geplante Ausbreitung in benachbarte Gebiete aber ins Stocken geraten: Die Raubkatzen schrecken vor Wanderungen durch offene Agrarflächen zurück, auch der Straßen­verkehr ist ein Problem. Ohne weite Wanderungen droht allerdings Inzucht unter den Tieren. Deshalb will man nun die Luchs­population durch die neuen Auswilderungs­programme in Kontakt bringen und so langfristig stabil halten. Wie gut das funktioniert, wird sich zeigen.

Klose glaubt trotzdem an die Sinnhaftigkeit der aufwendigen Projekte. „Wir sind dafür verantwortlich, dass die Arten einst aus unserem Ökosystem verschwunden sind. Nun haben wir die Chance, diesen Fehler zu korrigieren und die ursprüngliche Biodiversität hierzulande wieder­her­zu­stellen - wenigstens ein bisschen."

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