Fossilien sind mehr als nur versteinerte Knochen. In ihnen sind oft hochinteressante chemische Spuren enthalten. Mit diesen beschäftigt sich Molekular-Paläobiologin Jasmina Wiemann am California Institute of Technology. Unter anderem fand sie spannende Dinge über die Farbe von Dino-Eiern heraus.
Bei den meisten Paläontolog*innen beginnt die Dino-Begeisterung schon in der Kindheit. Wie war das bei dir?
Ich gehöre zur Generation Jurassic Park. Meine eigentliche Dino-Liebe begann aber schon etwas früher. Mit drei Jahren entdeckte ich – so erzählt es meine Mutter – im Buchladen ein Dino-Buch: Mir gefiel das Cover mit dem Kampf zwischen T-Rex und Triceratops so gut, dass das Dino-Buch gekauft werde musste. Es wurde meine Gute-Nacht-Lektüre für die nächsten Jahre. Meine Mutter fand es vermutlich langweilig, ich konnte aber bald jeden Text mitsprechen. Später hatte ich auch meine eigene Kolonie von Urzeitkrebsen aus einem Experimentierkasten für Kinder – das nächste prähistorische Klischee. Diese Faszination für prähistorische Lebensformen hat mich durch meine Karriere hindurch nicht losgelassen und ich beschloss, in sehr jungem Alter Paläontologin zu werden, ohne genau zu wissen, wie man das wird und wie der Berufsalltag in der modernen Paläontologie eigentlich genau aussieht.
Oft verschwindet die Leidenschaft für Dinos im Laufe der Jugend. Wie war das bei dir?
Bei mir blieb die Begeisterung für lebende und ausgestorbene Tiere, Evolution und Artenvielfalt, aber es kam ein wachsendes Interesse für die anderen Naturwissenschaften dazu. Besonders Chemie interessierte mich bald brennend. Das war alles so wunderbar logisch. Weil meine Noten in der Schule so gut waren, schlugen mir meine Lehrer*innen vor, doch Chemie-Kurse an der TU Dortmund zu besuchen. Für mich war es wie eine neue Welt. Ich konnte eigene Themen und Kurse auswählen, meinen Interessen stärker nachgehen. Spätestens jetzt stand für mich fest, dass ich Forscherin werden möchte.
Dein heutiges Forschungsgebiet nennt sich Molekular-Paläobiologie. Bevor wir darüber sprechen, was das genau ist, würde mich interessieren, wie du dahin gekommen bist.
Ich habe nach einem Weg gesucht, mein Interesse für Dinosaurier und meine Leidenschaft für Moleküle zusammenzubringen. In dieser Zeit wiesen Mary Schweitzer, Jakob Vinther und Derek Briggs unabhängig voneinander Biomoleküle und Proteine an Fossilien nach und stellten die Theorien zu ihrem Erhalt über Millionen von Jahren auf. Plötzlich wurden immer mehr Spuren von Weichteil-Gewebe entdeckt, es gab so beispielsweise erste Rückschlüsse zu Farben der befiederten Dinosaurier. Und damit hatte ich mein künftiges Forschungsgebiet gefunden. Es war die perfekte Mischung aus Chemie und Paläontologie. Also begann ich, Geowissenschaften an der Uni Bonn zu studieren.
Ok, nun aber die wichtigste Frage: Was erforscht die Molekular-Paläobiologie genau?
Die klassische Paläontologie beschäftigt sich vor allem mit versteinerten Hartgeweben, also Saurierknochen, Muscheln, Zähnen oder auch Eierschalen. Diese bleiben als Fossilien problemlos über Millionen Jahre bestehen. Die meisten Weichteile, wie Haut, Muskeln oder Organe werden viel schneller zersetzt und bleiben nicht erhalten. Jedenfalls dachte man das lange. Heute wissen wir, dass auch Weichteile basierend auf organischen Molekülbestandteilen große Zeiträume überdauern können und quasi in fast jedem Fossil nachweisbar sind. Ihre Untersuchung liefert viele fundamental neue Erkenntnisse über das Leben der Dinosaurier. Das reicht von der Farbgebung der Saurier und ihrer Eier, über deren Verwandtschaftsverhältnisse, bis hin zu der Frage, welche Saurier Warmblüter und welche Kaltblüter waren.
Du hast deine Bachelorarbeit über die Farbe von Dinosaurier-Eiern geschrieben. Wie kam es dazu und was hast du herausgefunden?
In meinem ersten eigenen Forschungsprojekt wollte ich mich eigentlich mit der Entstehung von Fossilien beschäftigen und nun stand ich vor einem Kasten mit Dino-Eiern. Anfangs war ich nicht sehr begeistert. Doch dann stellte ich fest, dass es viele offene Fragen rund um die Dino-Eier gab – zum Beispiel zu ihrer Farbe. Lange glaubte man, dass farbige Eier eine evolutionäre Erfindung der modernen Vögel seien. Ich konnte auch in versteinerten Eiern Spuren von Farbpigmenten nachweisen, die noch heute für die Farben von Vogeleiern verantwortlich sind. Vor allem die den Vögeln nahen Saurierarten wie der Oviraptor legten solche farbenfrohen Eier: Blau-Grün mit brauen Sprenkeln. Die Eierfarben verraten, dass diese Dinosaurier ihre Eier in offene Nester legten und nicht im Sand vergruben und nutzten die Farben zur besseren Tarnung und dem Schutz vor Eierräubern. Andere Pflanzenfresser vergruben ihre Eier, welche deshalb keine Tarnfärbung brauchten. Viele Eier dieser frühen Dinosaurier waren nicht nur farblos, sondern hatten auch eine Schale so weich wie heute bei Schildkröten-Arten. Für meine Forschungsergebnisse bekam ich viel Aufmerksamkeit, sie wurden sogar in „Nature“ publiziert. Das war eine große Ehre und eine schöne Bestätigung für meine Entscheidung, Chemie und Paläontologie zu verknüpfen. Ich habe also weiter geschaut, welche Spuren von Weichteilgewebe noch an Fossilien zu finden sind und kam zurück zu meiner ursprünglichen Frage: Wie fossilieren Weichteile und ihre Molekül-Bausteine?
Du hast schon die weichen und harten Eierschalen erwähnt. Das war eine weitere spannende Erkenntnis aus deiner Forschung?
Genau. Lange gingen Paläontolog*innen davon aus, dass Saurier ausschließlich Eier mit harter Schale legten. Allerdings wurden solche Eierschalen nur aus der Kreidezeit gefunden, und nicht aus dem frühen Jura oder der Trias – Erdzeitalter, welche die Blütezeit der Dinosaurier im Fossilbericht dokumentieren. Stattdessen fand man merkwürdige Fossilien, die sich Paläontolog*innen lange nicht erklären konnten – zum Beispiel 75 Millionen Jahre alte Protoceratops Embryonen, die zusammengerollt waren wie im Ei, umgeben von einem weißen „Schleier“, aber eben ohne eine echte, harte Eierschale. Diese Fossilien haben wir untersucht und dort chemische Überreste von weichen Schalen entdeckt. Ähnliche Entdeckungen gibt es auch für ein 215 Millionen Jahre altes Gelege des pflanzenfressenden Mussaurus. Frühe Dinosaurier legten weiße, lederartige Eier, vergruben sie und überließen sie vermutlich ihrem Schicksal, so wie wir es auch bei heutigen Schildkröten beobachten können. Raubsaurier aus der Kreidezeit zeigen dagegen große Parallelen zu heutigen Vögeln: Durch Federn, durch den Körperbau, aber eben auch durch farbige Eier mit harter Schale, offene Nester und ihr Brustverhalten. Diese Erkenntnisse sind immens spannend für das Verständnis der Evolution von Dinosauriern, und verraten uns mehr darüber, warum unsere heutigen Vögel die einzigen Dinosaurier sind, die nicht nur das Aussterbeereignis am Ende der Kreidezeit, sondern bis heute überlebt haben.
Du verbringst viel Zeit am Schreibtisch, viel Zeit im Labor. Reizen dich Ausgrabungen gar nicht? Immerhin prägen sie das öffentliche Bild von Paläontologie am meisten.
Ich habe während meines Studiums und auch während meiner Doktorarbeit an einigen Ausgrabungen teilgenommen. Das macht schon viel Spaß, aber natürlich ist es nur ein kleiner Teil unserer Arbeit. Die meisten Forschungsfragen beantworten moderne Paläontolog*innen am Computer oder eben im Labor. Und bei mir ist auch im Labor kein Tag wie der andere, es gibt so viel zu entdecken. Das liegt auch daran, dass wir die chemischen Fossilisationsprodukte ursprünglicher Biomoleküle wie Zucker, Eiweißstoffe und Fette fast in allen Fossilien finden, nicht nur in jenen, die frisch von Ausgrabungen kommen, sondern eben auch in Fossilien aus den historischen Sammlungen im Museum. Mit Fossilien aus Museumssammlungen können wir richtig große und spannende Fragen beantworten und sind nicht nur an die wenigen Fossilien gebunden, die man in der Geländesaison ausgraben kann. Vielleicht liegt meine Begeisterung für das Labor auch an der Inspiration aus Jurassic Park: Ohne Gentechnik und Laborarbeit wären die prähistorischen Dinos auch nie zurückgekommen – zumindest auf der Leinwand.
Die Kurator*innen der großen Sammlungen sind naturgemäß eher skeptisch gegenüber neuen Untersuchungsmethoden, vor allem dann, wenn sie das Anbohren, Ankratzen oder Auflösen von Fossilien beinhalten. Wie zerstörungsfrei ist deine Forschung?
Ich bin großer Fan von zerstörungsfreien Analysemethoden. Immerhin ist jedes Fossil einzigartig und soll ja auch noch der nächsten Generation von Forschenden zur Verfügung stehen. Zum Glück halten immer neue, schonende Analysetechniken aus der Chemie oder Physik auch in die Paläontologie Einzug. In der Molekular-Paläobiologie profitieren wir zum Beispiel von zerstörungsfreien Analysetechniken von chemischen Stoffen wie der Raman-Spektroskopie. Ganz einfach erklärt, schauen wir nicht mehr selbst durch das Mikroskop, sondern strahlen mit Lasern verschiedener Wellenlängen auf das Fossil. Die erhaltenen Molekülbestandteile der versteinerten Weichteile zeigen dabei unterschiedliche Reaktionen auf das Licht und lassen sich so genau zuordnen. Das klingt kompliziert, ist aber ziemlich praktisch. Wir müssen nämlich keine Proben mehr auflösen und die Reaktionen analysieren, um die Bestandteile zuzuordnen.
Zum Schluss habe ich noch eine wichtige Frage: Hast du einen Lieblingsdinosaurier?
Ich mag besonders die Raptoren, eine Gruppe von Dinosauriern, die wissenschaftlich Maniraptora genannt wird. Tatsächlich ist auch ein Großteil meiner Forschung auf das Brutverhalten und den Stoffwechsel dieser Dinosaurier, die das evolutionäre Bindeglied zwischen Tyrannosaurus und unseren heutigen Vögeln darstellen, fokussiert. Zu dieser Gruppe gibt es so viele spannende Erkenntnisse, angefangen bei ihrem Federkleid. Außerdem waren sie vermutlich ausgezeichnete Jäger. Manche konnten sogar über kurze Strecken gleiten wie der Microraptor. Andere kümmerten sich um ihre Eier, wie der Oviraptor. Ich leite derzeit auch einige Studien über den Stoffwechsel in diesen Sauriern. Sie waren nämlich heutigen Vögeln auch in diesem Zusammenhang sehr ähnlich. In solchen Momenten spüre ich, welches Glück ich habe, dass ich einige meiner Lieblingsdinos aus meiner Kindheit heute erforschen darf. Das ist ein großes Privileg, eine eigene Forschungseinrichtung aufzubauen, die es vorher noch gar nicht gab, und dann an genau den Themen zu arbeiten, die mich schon immer am meisten interessiert haben!
Über
Dr. Jasmina Wiemann begeisterte sich schon als Kind für Dinosaurier. Auf der Suche nach Saurierfossilien führte sie ihre Forschung in die Vereinigten Staaten. Zuvor studierte die gebürtige Bonnerin Chemie, Geowissenschaften und Evolutionsbiologie in Dortmund und Bonn. Inzwischen hat sie als Stipendiatin erfolgreich ihre Doktorarbeit an der Yale University verteidigt und forscht nun als Molekular-Paläobiologin am California Institute of Technology – und ist damit quasi Kollegin der Titelhelden aus der Serie „Big Bang Theory“.
Der National Geographic-Beitrag von Dr. Jasmina Wiemann und ihren Kolleg*innen mit dem Titel "Reimagining Dinosaurs. Prehistoric icons got a modern reboot" ist online hier verfügbar.
Birk Grüling ist freier Journalist und Papa. Mit seinem Sohn teilt er die Leidenschaft für ausgestorbene Tiere, versunkene Kulturen und verrückte Erfindungen. Zum Glück kann er dieses Interesse als Wissenschaftsjournalist und Kinderbuchautor auch beruflich voll ausleben.
Das Interview mit Dr. Jasmina Wiemann wurde anlässlich der Sonderausstellung "Die Welt der jungen Dinosaurier. Eier & Schlüpfinge", die noch bis zum 13. Februar 2022 im Staatlichen Naturhistorischen Museum zu sehen ist, geführt.