Birk Grüling

Wissenschaft für kleine und große Leser:innen, Buchholz

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Roboter für die Pflege: Von Ersatz war nie die Rede

In Zukunft könnte der Arbeitsalltag auf Krankenstationen und in Pflegeeinrichtungen noch ein bisschen technischer werden. Denn eine Vielzahl von neuen Systemen soll den Pflegekräften ihren Arbeitsalltag erleichtern, ihnen schwere und lästige Arbeiten abnehmen und wieder mehr Zeit für kranke und alte Menschen verschaffen. An Ideen, wie das gelingen könnte, mangelt es nicht. Smarte Krankenbetten behalten alle Vitalwerte im Blick und melden sich rechtzeitig, bevor Patientinnen und Patienten wundliegen. Kräftige Robosysteme helfen Pflegekräften dabei, Seniorinnen und Senioren aus dem Bett in den Rollstuhl zu heben. Automatische Duschsysteme unterstützen bei der täglichen Körperpflege.

Den endgültigen Sprung in die Praxis hat noch keine dieser Ideen geschafft, viele sind aber kurz davor. Am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA wurde zum Beispiel unlängst der Dekonbot vorgestellt. Der Desinfektionsroboter kann mit seinem Arm Türgriffe, Lichtschalter oder Aufzugknöpfe reinigen und sich dabei sicher unter Menschen bewegen. In Krankenhäusern könnte er zusammen mit bereits produktreifen Wischrobotern im Wartebereich und auf den Fluren Keime bekämpfen.

Durch das Klinikum Dessau fährt ein Transportroboter namens Matze selbstständig Proben und Medikamente. In anderen Häusern wird Essen oder frische Wäsche inzwischen vollautomatisch auf die Stationen gebracht. Kleine Roboter geleiten Patienten in Rehaeinrichtungen zu Therapieanwendungen oder bieten im Aufenthaltsraum des Seniorenheims Getränke an. Allesamt Modellversuche. „Bei aktuellen Entwicklungen steht die Unterstützung des Personals bei patientenfernen Tätigkeiten im Fokus. Transport und Hygiene sind dabei die ersten Bereiche, in denen bereits serienreife Produkte angeboten werden, weitere werden in den kommenden Jahren folgen", sagt Dr. Birgit Graf, Robotikexpertin vom Fraunhofer IPA. Eine direkte pflegerische Unterstützung der Patientinnen und Patienten durch die Roboter sei dabei weder das Ziel noch in naher Zukunft technisch möglich.

Die Entlastung der Pflegekräfte ist dringend nötig

Dabei könnte die tatkräftige Unterstützung durch Maschinen in der Pflege in den nächsten Jahren immer wichtiger werden. Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen hat sich in den letzten 20 Jahren auf knapp vier Millionen verdoppelt. Tendenz steigend. Gleichzeitig herrscht in der Pflege ein gewaltiger Fachkräftemangel. Schon heute bräuchte es laut Deutschem Pflegerat allein in den Krankenhäusern 40.000 bis 80.000 zusätzliche Pflegende. Bis zum Jahr 2035 fehlen laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft im gesamten Pflegebereich knapp 500.000 Fachkräfte.

Körperliche und emotionale Belastungen sind in der Pflege hoch

Das Problem: Pflege ist im Moment kein attraktiver Beruf. Viele der knapp 1,8 Millionen Beschäftigten sind sehr unzufrieden. Die emotionalen und körperlichen Belastungen sind hoch, die Arbeitszeiten lang, dazu kommen wenig Gehalt und wenig gesellschaftliche Wertschätzung. Die durchschnittliche Verweildauer im Beruf beträgt nur knapp acht Jahre in der Altenpflege und 14 Jahre in der Krankenpflege, die Teilzeitquote liegt bei knapp 50 Prozent. Doch selbst wenn sich Politik und Arbeitgeber zu einer deutlichen Aufwertung des Berufes durchringen könnten, wäre das nur ein Teil der Lösung. Gleiches gilt auch für die Akquise von Fachkräften aus dem Ausland.

Technische Systeme haben Potenziale, den Arbeitsalltag der Pflegekräfte zu entlasten.

Jan Zöllick vom Institut für Medizinische Soziologie der Berliner Charité

Technische Unterstützung und eine bessere Organisation der Arbeit tragen ebenfalls dazu bei, die Pflege zu stärken. Davon ist auch Jan Zöllick vom Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft der Berliner Charité überzeugt. „Technische Systeme haben Potenziale, den Arbeitsalltag der Pflegekräfte zu entlasten, durch die Übernahme von lästigen Aufgaben, durch die Unterstützung bei schweren körperlichen Arbeiten", erklärt er. Das schone die Gesundheit der Fachkräfte und verschaffe ihnen mehr Zeit für die eigentliche Arbeit am Menschen. Die sei schließlich die Hauptmotivation der meisten Pflegenden.

Schon die Zimmertür ist eine teure Hürde

Doch bis zur tatkräftigen Unterstützung ist es noch ein langer Weg. So ist der Alltag auf einer Station deutlich komplexer als die Arbeit von Industrierobotern an einer Produktionsstraße. Es ist hektisch, Patientinnen und Patienten sowie Pflegekräfte laufen umher, oft sind die Wege zugestellt. Um hier selbstständig und sicher zu agieren, sind viele Sensoren nötig, und um Türen zu öffnen oder Materialfächer aufzufüllen, braucht es bewegliche Arme. Beides ist ein Kostenfaktor. Deshalb machen die meisten Transportsysteme im Praxistest immer noch vor dem Materialschrank oder dem Patientenzimmer Halt und überlassen dem Pflegepersonal den letzten Schritt. Das ist schneller, zuverlässiger und günstiger.

Ein Beispiel für die komplexe Herausforderung: Will ein Roboter Mittagessen zu den Patientinnen und Patienten bringen, bräuchte er einen Arm, um die Zimmertür zu öffnen und ein Tablett fürs Essen. Im Zimmer müsste er Bett und Tisch lokalisieren und eine geeignete Position in der Nähe errechnen, zu welcher er im Folgenden fährt. Am Bett müsste er erkennen, ob der Tisch frei oder vollgestellt ist. Ebenfalls müsste er erfassen, ob der Patient oder die Patientin auch wirklich im Bett ist, wach ist oder sogar schläft und bei Bedarf das Tablett sicher in der Nähe abstellen. Alles andere als trivial, wie Graf berichtet. Außerdem sind Mahlzeiten im Krankenhaus oft mit der Medikamenteneinnahme verbunden. Sie muss von den Pflegekräften überwacht werden. Die Zusammenstellung der Arzneimittel kann dagegen eine vollautomatische Krankenhausapotheke durchaus leisten.

Unsichere Finanzierung der Roboter in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen

Dazu kommt eine bisher unsichere Finanzierung der Roboter in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. „Nachdem die Roboter nicht patientenbezogen angeschafft werden, gibt es keine Förderung durch Krankenkassen. Auch auf den Personalschlüssel können die Systeme nicht angerechnet werden. Die Krankenhäuser müssten die Roboter auf eigene Kosten einkaufen oder sich leihen", erklärt Graf. Diese unsichere Finanzierung schreckt viele Roboterhersteller ab, in Vorleistung zu gehen und neue Produkte für die Pflege zu entwickeln.

Der Wunsch nach Unterstützung ist groß

Trotz dieser Hindernisse glaubt Graf an einen baldigen Durchbruch - vor allem für Transport, Krankenhauslogistik und Reinigung. „Diese Systeme bringen erwiesenermaßen zeitliche und körperliche Entlastung und werden deshalb auch zeitnah Einzug in den Klinikalltag halten", sagt sie. Die Rechnung ist einfach: Füllt ein smarter Assistent täglich die Materialschränke der Station mit neuen Spritzen, Verbänden und Pflastern, haben die Pflegekräfte eine halbe Stunde mehr Zeit für die Arbeit am Menschen. Entsprechend hoch wäre auch die Akzeptanz für diese Unterstützung seitens des medizinischen Personals.

Die Pflegerobotik wird auf absehbare Zeit keine Menschen ersetzen.

Jan Zöllick vom Institut für Medizinische Soziologie der Berliner Charité

Studien zeigen, dass vor allem Entlastung bei Tätigkeiten gewünscht wird, die mit der direkten Pflege am Patienten oder an der Patientin wenig zu tun haben oder körperlich sehr belastend sind wie beim Umlagern oder dem Bett-Rollstuhl-Transfer. Denkbar wären dabei zum Beispiel leichte und durch das Pflegepersonal schnell anlegbare Exoskelette, die beim Heben unterstützen und den Rücken des Personals entlasten. Deutlich geringer wird die Akzeptanz, wenn es um die Übernahme von „echter" Pflege oder der sozialen Interaktion geht. „Die Pflegerobotik wird auf absehbare Zeit keine Menschen ersetzen, sondern ihnen viel mehr den Rücken freihalten und ihnen Zeit für diese Teile der Arbeit geben", bestätigt Zöllick.

Der Pflegeroboter ist (bisher) kein Ziel

Ganz ähnlich sieht es übrigens auch der Deutsche Ethikrat, der sich unlängst mit dem Thema Pflege und Robotik beschäftigte. In seiner Stellungnahme heißt es unter anderem, Roboter dürften zwischenmenschliche Beziehungen keinesfalls ersetzen und die sozialen und emotionalen Bedürfnisse könnten nicht überwiegend im Umgang mit Begleitrobotern gestillt werden. Es dürften auch Personalengpässe nicht durch Roboter ausgeglichen oder durch die Anschaffung von Robotern an anderen Stellen Geld eingespart werden.

Ein viel zitiertes Beispiel für einen Roboter für die Pflege ist die flauschige Kuschelrobbe Paro. Seit 1993 ist sie auf dem Markt und wird auch in vielen deutschen Pflegeeinrichtungen vor allem auf Demenzstationen eingesetzt. Paro bewegt sich wie ein Robbenbaby und soll laut Studien beruhigend oder sogar schmerzlindernd wirken. Ähnliche positive Auswirkungen haben auch Therapietiere. Mit einem Vorteil für die Roborobbe: Sie kann den ganzen Tag eingesetzt werden und haart weniger als ein Hund. Allerdings ist der Preis von 5.000 Euro durchaus stolz. Denn Zeit, Geld oder menschliche Interaktion spart Paro nicht ein.

Gleiches gilt auch für kleine Interaktionsroboter, die kurzweilige Unterhaltungen mit Senioren oder den kleinen Patienten auf der Kinderstation führen, mit ihnen Spiele machen oder singen und über ein Tablet bei den Angehörigen anrufen können. Sie entlasten oder ersetzen keine Pflegenden, aber heitern den Tag der Patientinnen und Patienten oder Heimbewohnerinnen und -bewohner ein wenig auf. Doch manchmal liegt auch in so kleinen Momenten bereits ein großer Wert.

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