Birk Grüling

Wissenschaft für kleine und große Leser:innen, Buchholz

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Leihmutterschaft: Der turbulente Weg zweier Väter zum gemeinsamen Kind

Ich wollte schon immer Kinder haben. Mein Mann Christian war dagegen eher zurückhaltend. Doch irgendwann nach fast zehn Jahren Beziehungen änderte sich seine Meinung. Wir waren gerade nach vielen Jahren Fernbeziehung und dem Pendeln zwischen zwei Wohnungen nach Frankfurt gezogen. Nachwuchs passt nun irgendwie in unser Leben. Also begab ich mich in jeder freien Minute auf die Suche nach „Möglichkeiten" zur Familiengründung. Die waren damals noch überschaubarer als heute. Eine Adoption durch ein schwules Pärchen war damals in Deutschland kaum möglich. Vor einer Pflegeelternschaft hatten wir einfach großen Respekt. Vor allem die Vorstellung, das Kind plötzlich wieder abgeben zu müssen, machte mir Angst.

Inzwischen weiß ich, dass ein solches Szenario eher unrealistisch ist, damals verwarf ich die Option aber schnell wieder. Dazu kam, dass ich mir eigentlich auch leibliche Kinder wünschte. Also begann ich zum Thema „Leihmutterschaft" zu recherchieren. Eine andere Frau sollte also unser Baby austragen. In Deutschland ist das nicht erlaubt. Unser erster Anlaufpunkt waren deshalb die Vereinigten Staaten, dort ist die Leihmutterschaft in einigen Bundesstaaten erlaubt. Und das Land erschien uns der wohl unkomplizierteste Weg zu sein. Allerdings hätte eine Eizellspende samt Leihmutterschaft dort zwischen 120.000 Und 150.000 US-Dollar gekostet. Das hätten wir nicht stemmen können. Auf der Suche nach Alternativen sprach ich mit unzähligen Beratungsstellen und anderen Regenbogenpaaren, die diesen Weg bereits beschritten hatten. So kamen wir dann auch auf Russland und eine passende Vermittlungsagentur vor Ort.

Schwangerschaft aus der Ferne

Aus heutiger Sicht war der Schritt schon etwas wahnsinnig. Wir standen wochenlang nur per Mail mit der Agentur in Kontakt. Am Ende einigten wir uns auf eine russische Eizellspenderin und eine Leihmutter, die unser Baby austragen würde. Die Eizellspenderin lernten wir nie persönlich kennen, sondern bekamen nur Bilder und Informationen von ihr. Sie sollte bereits Kinder haben und auch mitten im Leben stehen. Als Paar sind wir nur der Agentur gegenüber aufgetreten, allen anderen auf der Reise allerdings nicht. Russland ist ja nicht gerade als tolerantes Land bekannt, ein Outing erschien uns einfach zu gefährlich. Das war kein großes Problem, viel komischer war das Gefühl, die Schwangerschaft nur aus der Ferne zu erleben. In vielen Tausend Kilometer Entfernung wuchsen unsere Zwillinge im Bauch einer Fremden. Wir bekamen regelmäßig Bilder, vom Ultraschall oder vom Bauch. Das war ganz unwirklich.

In Deutschland kümmerten wir uns derweil um ein schönes Kinderzimmer, stellten ein Zwillingsbett auf und lasen Elternratgeber. Dinge, die alle werdenden Eltern so erledigen. Außerdem mussten wir die ganzen Papiere mit den Behörden klären. Ich war ja offiziell Vater der beiden, musste diese Vaterschaft anerkennen und die Leihmutter gleichzeitig auf ihre „Mutterschaft verzichten". Wir mussten ein Visum für uns, die Ausreisepapiere und eine deutsche Staatsbürgerschaft für unsere beiden Kinder beantragen.

Heute würden wir einen anderen Weg gehen

Vor der Geburt reisten wir wieder nach Russland und hielten drei Wochen später unsere Kinder auf dem Arm. Das Gefühl war unbeschreiblich, all die Anstrengungen der letzten Jahre, alle Bedenken waren plötzlich vergessen. Sechs Wochen später sind wir wieder abgereist, diesmal als Familie. Nach unserer Rückkehr nach Deutschland ging ich in Elternzeit. Außerdem zogen wir noch mal um, aufs Land, näher zu den Großeltern. Mit ihrer Unterstützung klappte der Start ins Familienleben ziemlich gut.

Inzwischen sind unsere Zwillinge schon fast sechs Jahre und kommen nächstes Jahr in die Schule. Bereut haben wir die Entscheidung nie, auch wenn wir uns wahrscheinlich nicht noch mal für eine russische Agentur entscheiden und es auch anderen Paaren nicht empfehlen würden. Wer das nötige Geld für eine Leihmutterschaft hat, sollte sich eher für die USA entscheiden. Dort sind die Rahmenbedingungen einfacher, es gibt weniger Ärger mit den Behörden. Natürlich haben wir etwas weniger Geld bezahlt als in den USA, dafür war der Weg umso anstrengender. Heute ist es dank der Ehe für alle auch in Deutschland leichter geworden, als gleichgeschlechtliches Paar ein Kind zu adoptieren. Vielleicht würden wir deshalb heute auch den Weg der Adoption oder Pflegschaft gehen. Aber das ist nun kein Thema mehr. Mit unseren beiden wilden Jungs ist die Familienplanung abgeschlossen - gerade für meinen Mann Christian.

Die Wurzeln verleugnen wir nicht

Abgesehen von dem Weg zu den Kindern ist unser heutiges Familienleben ziemlich normal und unspektakulär. Wir engagieren uns im Elternbeirat der Kita, sind aktiver Teil der Gemeinde. Ich habe zum Beispiel als Gesamtelternbeirat der sieben öffentlichen Kindertagesstätten eine Spendenaktion für die Kindergärten der Region ins Leben gerufen und kaufe ihnen von dem Geld Kinderbücher, die ein vielfältiges und buntes (Familien-)Leben widerspiegeln. Das Projekt hat es bis in den Bundestag geschafft. Schon kleinen Kindern Toleranz und Vielfalt zu vermitteln ist für mich persönlich ein ganz wichtiges Anliegen. Mein Traum wäre eine bundesweite Kampagne für mehr Vielfalt - auch weil wir privat immer wieder erleben, wie großartig Toleranz und Weltoffenheit funktionieren kann. Wir sind sehr glücklich, in einer so offenen Gemeinde wie Kaufungen bei Kassel zu leben und Teil davon zu sein.

Kritik oder Anfeindungen gab es hier auf dem Land nicht. Ganz im Gegenteil, wir wurden eher mit offenen Armen empfangen. Natürlich wurden unsere Söhne im Kindergarten schon öfter gefragt, warum sie immer von ihren beiden Papas abgeholt werden und nicht von der Mama. Ihre Antwort lautet dann: Wir haben eine Mutter, aber die lebt in Russland. Die Kinder in der Kita geben sich mit dieser Antwort zufrieden. Wir waren von Anfang an offen und ehrlich zu unseren Söhnen - auch wenn wir über die Mütter nicht viel erzählen können. Kontakt haben wir bis heute nicht. Aber sie haben Bilder beider Mütter in ihrem Zimmer. Ab und zu versuchen wir, ihre zweite Heimat auch zu thematisieren, zum Beispiel schauen auf der Weltkarte, wo Russland liegt, sprechen über das Leben dort oder essen gelegentlich auch ein russisches Gericht wie Pelmeni. So bleibt auch dieser Teil ihrer Herkunft präsent.

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