Birk Grüling

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Dinosaurier: dem Flussmonster auf der Spur

Schon vor rund 100 Millionen Jahren war die Sahara ein eher ungemütlicher Ort. Statt Wüstensand lag hier ein großes Flusssystem. Die meisten Überreste seiner Bewohner werden derzeit im Kem-Kem-Delta im Südosten Marokkos ausgegraben. In den vergangenen Jahren entwickelte sich die Region zu einem Hotspot der Dinosaurierforschung. Auch der Paläontologe Nizar Ibrahim von der amerikanischen University of Detroit Mercy reist regelmäßig für Grabungen in die Sahara. „Wir stoßen hier auf eine unglaubliche Vielzahl von unterschiedlichen Fossilien. Besonders die große Zahl von Raubtieren gibt uns Rätsel auf", sagt er. Tatsächlich wurden an kaum einem Ort der Welt so viele beängstigende Fleischfresser auf einem Haufen gefunden wie hier. Der spektakulärste ist sicher der Spinosaurus. Mit knapp 15 Metern Länge war er größer als ein Tyrannosaurus Rex und machte im Wasser Jagd auf große Fische. In der Luft kreisten Flugsaurier, an Land jagte der knapp 13 Meter lange Carcharodontosaurus.

Das Gelände im Kem-Kem-Delta ist unwegsam, das Arbeiten sind mehr als beschwerlich. Die Temperaturen steigen nicht selten über 40 Grad. Auch die Infrastruktur sei kaum vergleichbar mit Ausgrabungen in Europa oder den USA, berichtet Ibrahim im Videointerview. Dazu kommt die politisch instabile Lage in weiten Teilen der Sahara. Von diesen Bedingungen abschrecken lässt sich der Paläontologe mit deutsch-marokkanischen Wurzeln kaum. Zu groß ist seine Leidenschaft für den Spinosaurus.

Auf Fossiliensuche: die Paläontologen Dave Martill and Nizar Ibrahim (rechts) in der Sahara. © Quelle: Robert Loveridge

Der studierte Geowissenschaftler hat eine Doktorarbeit über den Lebensraum und die „Mitbewohner" des Spinosaurus in Nordafrika geschrieben. Dafür besuchte er Sammlungen auf der ganzen Welt, grub selbst in der Wüste und baute sich ein Netzwerk aus lokalen Fossilienjägern auf. Normalerweise verkaufen sie ihre Funde aus dem Kem-Kem-Delta an private Sammler und Museen. Knapp 50 000 Menschen leben vom illegalen Fossilienhandel, schätzt Ibrahim. Als Gefahr für seine Arbeit sieht er sie nur bedingt. Dass er marokkanische Wurzeln hat und die Landessprache spricht, öffnet ihm viele Türen. Inzwischen bewahren die Fossilienjäger besondere Stücke für die Forscher auf und geben ihnen wertvolle Tipps zu neuen Fundstellen. Durch ihre Hilfe kam Nazir Ibrahim auch an die versteinerten Überreste eines Spinosaurus - eine Sensation.

Die ersten Überreste des Raubsauriers wurden kurz vor dem Ersten Weltkrieg von Richard Markgraf gefunden, der in Ägypten Fossilien für den deutschen Paläontologen Ernst Freiherr Stromer von Reichenbach ausgrub. Besonders die fast zwei Meter hohen Dornfortsätze an den Rückenwirbeln - ein Hinweis auf ein großes Rückensegel - sorgten damals für Aufsehen. Stromer brachte die versteinerten Überreste ins Paläontologische Museum der Bayerischen Staatssammlung. 1944 zerstörte eine Fliegerbombe das Münchner Museum und sämtliche Knochen.

Lange blieben einige wenige Zeichnungen, zwei Fotos und wissenschaftliche Beschreibungen die einzigen Überbleibsel des Spinosaurus. Erst Jahrzehnte später wurden wieder Knochenfragmente und Zähne des Sauriers und seiner Verwandten gefunden - nicht nur in Afrika, sondern auch in Asien und Europa. Fast geriet der Spinosaurus selbst jedoch in Vergessenheit, zu skurril und rätselhaft erschienen sein Aussehen und die mögliche Lebensweise im Wasser.

Der Spinosaurus war ein gut angepasster Flussjäger

Zurück in den Fokus der Wissenschaftscommunity brachten den Spinosaurus erst die neuen Funde aus Marokko. Ibrahim und seine Kollegen fanden einen fast vollständig erhaltenen Schwanz. Zusammen mit anderen Funden und den Aufzeichnungen von Stromer gelang die Rekonstruktion des Sauriers. Die größte Überraschung: Statt eines langen, schmalen Schwanzes hatte er eine Art riesiges Knochenpaddel. Die Forscher vermuten, dass sich der neun Tonnen schwere Dinosaurier damit ähnlich durchs Wasser bewegen konnte wie heutige Krokodile. Nicht die einzige Gemeinsamkeit: Auch seine Schnauze war lang, und die Nasenlöcher lagen weit hinten und oben auf dem Schädel. So konnte der Saurier vermutlich noch atmen, wenn große Teile seines Kopfes unter Wasser waren. Der Spinosaurus war also ein gut angepasster Flussjäger, der einen Großteil seiner Zeit im Wasser verbrachte.

„Die Funde aus dem Kem-Kem-Delta zeigen uns eindrücklich, dass wir doch viel weniger über Dinosaurier wissen, als wir gern annehmen", sagt Ibrahim. Bisher sah man die Dinos eher als Landtiere. Vermutlich konnten aber einige von ihnen ziemlich gut schwimmen, vielleicht lebten manche Arten sogar wie heutige Flusspferde. Diese Erkenntnisse hält Ibrahim für ähnlich wichtig wie die über gefiederte Saurier, da sie das Gesamtbild dieser Gruppe grundlegend ändern.

Die Fossilien bleiben in Afrika

Wie viele Überraschungen die afrikanische Saurierwelt für die Paläontologie noch bereithält, darüber kann man nur spekulieren. Auch Ibrahim bleibt vage: „Wir haben noch einige wirklich besondere Funde im Kem-Kem-Delta gemacht. Ihre wissenschaftliche Analyse ist noch nicht ganz abgeschlossen, aber wir können schon sagen, dass sie eine ähnliche Bedeutung haben könnten wie die Rekonstruktion des Spinosaurusschwanzes." Auch mit der Analyse der wiederentdeckten Knochen des Spinosaurus sind die Paläontologen noch lange nicht am Ende. Aktuell arbeiten Forscher an weiteren Veröffentlichungen.

Anders als zu Stromers Zeiten bleiben die Fossilien aus dem Kem-Kem-Delta in Afrika - in der Université Hassan II in Casablanca. Sie sollen einmal die Grundlage für Marokkos erstes Naturkundemuseum bilden. Auch hier engagieren sich Ibrahim und seine Kollegen. „Über den Lebensraum der Saurier in Afrika wissen wir viel zu wenig. Und das wird sich wohl erst ändern, wenn die Paläontologie vor Ort weiterwächst. Als Fachwelt tun wir gut daran, die nötigen Infrastrukturen für die Lagerung und Ausstellung der Fossilien zu schaffen und die Forschung vor Ort zu stärken", erklärt er. Gelingt das, wird der Spinosaurus wohl nicht die einzige Dinosensation aus Afrika bleiben.

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