Birk Grüling

Wissenschaft für kleine und große Leser:innen, Buchholz

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Auch für Kinder geeignet: Klassische Musik regt die Kreativität an

Ein Konzert mit Symphonieorchester oder ein Opernbesuch - bei den meisten von uns sorgt diese Aussicht nicht gerade für Begeisterungsstürme. Obwohl ich selbst an einer Musikhochschule studiert habe, geht es mir ganz ähnlich. Klassik, diese sicher wunderbare und vielfältige Musikform, hat für mich noch immer einen etwas zu staubigen, etwas zu bildungsbürgerlichen Touch. Und wenn mir schon die Leidenschaft für Klavier und Geige fehlt, wie soll mein Kind daran Gefallen finden?

Doch mein Sohn hat mich selbst überrascht. Richtig aufbereitet und vermittelt kann die älteste aller Musikformen richtig Spaß machen. Alles begann bei uns mit einem Kinderbuch über Orchester aus der Bücherei. Darin wurden Violinen, Hörner, Oboen, Pauken und allerlei andere faszinierende Instrumente vorgestellt. Rein optisch zwar, aber die Neugier meines Sohnes war geweckt. In den nächsten Tagen hörten wir uns dank der Unterstützung des hauseigenen Smart Speakers durch die Klangwelt eines Symphonieorchesters. Erst einzelne Instrumente, dann ganze Stücke.

Viele Klassikwerke sind kindergeeignet

Hierbei folgten wir passend zum aktuellen Beethoven-Jahr - der Komponist feiert posthum seinen 250. Geburtstag - der Empfehlung von Stargeiger Daniel Hope. Er hat gerade für die beliebte Tonie-Box ein Hörbuch mit Musik zum Leben des Komponisten eingesprochen. Besonders ein Teil seines Werkes hält er für sehr kindertauglich. "Beethovens Pastorale ist für sie sehr geeignet, vor allem wenn man ihnen erklärt, welche Eindrücke hinter den Tönen und Klängen stehen", erklärt er im Gespräch.

Zur Erklärung: Beethoven ließ sich beim Komponieren von der Natur der Wiener Vororte inspirieren. Das Rauschen der Bäche, zischende Blitze und Vogelgesänge sind in der Musik geradezu greifbar. Natürlich gibt noch viele andere bewährte, kindertaugliche Stücke. "Peter und der Wolf" zum Beispiel, den "Karneval der Tiere", die "Vier Jahreszeiten" von Vivaldi oder die "Zauberflöte". Auch wenn man hier nicht wie bei einem "Gorilla mit der Sonnenbrille" oder "Lieder über dich" sofort laut mitsingen kann, lässt sich doch wenigstens schief mitsummen oder etwas durch die Wohnung tanzen.

Viele Orchester bieten Konzerte für Kleinkinder

Das Hören ist nur ein möglicher Zugang zur klassischen Musik. "Ausprobieren und Erleben schaffen einen besonderen Eindruck von der Musik. Viele Orchester, Opernhäuser und Musikschulen bieten deshalb inzwischen Kinderkonzerte an", erklärt Andrea Welte, Professorin für Musikpädagogik an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover.

Die gute Nachricht: Stillsitzen und sich schick anziehen muss dabei niemand, auch langatmige Werkeinführungen gibt es nicht. Ganz im Gegenteil: Die Kinder können zur Musik tanzen oder sogar selbst auf die Bühne klettern. Geigen und Oboen können sie dabei nicht nur hören und genau betrachten, sondern eben auch mal anfassen. Oft werden die klassischen Stücke noch mit kindgerechten Geschichten verknüpft. Manche Musiker besuchen auch Kindergärten, stellen dort ihre Instrumente und Lieblingsstücke vor.

Ähnliche Angebote gibt es sogar schon für Babys. Auch an der Musikhochschule in Hannover hat man bereits Erfahrungen mit krabbelnden Konzertbesuchern gemacht. "Wir haben uns voll auf das ungewöhnliche Publikum eingestellt. Es gab einen atmosphärisch dichten Raum mit vielen Kissen, leisere Musik, kürzere, abwechslungsreiche Musikstücke und direkte Begegnung zwischen Musikern und Babys", berichtet Welte. Das Ziel des Angebots ist übrigens weniger die musikalische Frühförderung als die Schaffung von Musikerfahrungen und das Kennenlernen von neuen Klangwelten.

Gemeinsames Musikhören macht wahnsinnig Spaß

"Ich halte nichts davon, verschiedene Stilrichtungen von Musik gegeneinander auszuspielen. Wir sollten unseren Kindern lieber ermöglichen, ein breites Spektrum kennenzulernen und daraus eigene Vorlieben zu entwickeln", so die Musikprofessorin. Dabei kann zum Beispiel gemeinsames Musikhören helfen. Kinder zeigen im Gegensatz zu uns Erwachsenen offen und spontan, was ihnen gefällt und was sie doof finden. Das bietet Raum, um mit ihnen über das Gehörte zu sprechen: Magst du das? Wie fühlt sich die Musik an? Welche Klänge hörst du? Dafür sollten Groß und Klein den Blick über den musikalischen Tellerrand wagen. Metal, Hip-Hop, Pop, Jazz oder eben Klassik - in all diesen Genres gibt es inzwischen tolle Angebote für Kinder.

Natürlich macht auch gemeinsames Musizieren oder Tanzen Spaß. Die gute Nachricht für alle Eltern, denen im Musikunterricht eingeredet wurde, sie wären unmusikalisch: Man braucht weder Taktgefühl noch ein Auge für Noten. Gerade kleinen Kindern ist es egal, ob Mama schief singt und Papa schlecht tanzt. Mein Tipp als "Neuklassikhörer": Zu den ungarischen Tänzen von Johannes Brahms lässt es sich prima durchs Wohnzimmer toben, nicht umsonst wurden sie schon bei "Bugs Bunny" als Filmmusik genutzt.

Musikalische Frühförderung: Klassik macht nicht intelligenter

Am Ende möchte ich noch mit einem hartnäckigem "Gerücht" aufräumen. Musik - auch Klassik - macht unheimlich glücklich und weckt eine große Bandbreite an Emotionen, macht uns aber leider nicht klüger. Zu diesem Urteil kommt die aktuelle neurowissenschaftliche Forschung. Seinem Baby Mozart im Mutterleib vorzuspielen oder mit ihm ein Babykonzert zu besuchen ist schön, führt aber nicht zu mehr Intelligenz. Gleiches gilt übrigens auch für das Erlernen eines Instruments. Auch hier zeigten sich keine Effekte auf Fähigkeiten in Fächern wie Mathematik, Lesen oder Schreiben. Auch eine Steigerung von verbalen oder nonverbalen Fähigkeiten konnte nicht gezeigt werden.

Zum Glück: Damit wird Eltern, die ihre Kinder mit musikalischer Frühförderung zu akademischen Höchstleistungen bringen wollen, hoffentlich der Wind aus den Segeln genommen. Und die Musik bleibt damit einfach nur schön - nicht mehr und nicht weniger. Bitte nicht falsch verstehen: Natürlich spricht nichts dagegen, das aufkommende Interesse des Kindes für ein Instrument zu fördern. Geige oder Klavier spielen ist ein wunderbares Hobby für Heranwachsende, solange das Interesse vom Kind ausgeht.

Daniel Hope, Geiger aus Großbritannien, steht bei einer Pressekonferenz vor der Prager Stadtkulisse. © Quelle: Michaela Øíhová/CTK/dpa

Geiger Daniel Hope: Wutanfall bei der Geigenlehrerin

Zum Abschluss passt vielleicht eine kleine Anekdote zu Beethoven-Geiger Daniel Hope. In einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk erzählte er von seiner ersten Begegnung mit klassischer Musik bei den Konzerten des Zürcher Kammerorchesters. Seine Mutter arbeitete für ein Festival in der Schweiz und nahm ihn mit zu den Proben.

Vor allem die Geigen zogen den kleinen Jungen in ihren Bann. Die Eltern nervte er so lange mit dem Wunsch, selbst Geige zu spielen, bis sie ihm eine Lehrerin suchten. Doch diese riet dem Vater, noch ein bisschen zu warten. Mit gerade einmal vier Jahren sei der kleine Daniel noch zu klein. Wie es sich für einen Vierjährigen, der sich etwas in den Kopf gesetzt hat, gehört, bekam Hope an Ort und Stelle einen gewaltigen Wutanfall. Wohl um Geschrei und Tränen zu stoppen, drückte ihm die Lehrerin doch eine ihrer Geigen in die Hand.

Der Rest ist Geschichte: Schon in jungen Jahren nahm ihn Stargeiger Yehudi Menuhin, dessen Sekretärin und Managerin seine Mutter bald wurde, unter die Fittiche. Heute ist Hope selbst einer der bekanntesten Musiker seines Fachs. Die ersten Schritte auf dem Weg nach oben sind aber keineswegs überambitionierten Eltern zu verdanken, sondern dem Dickkopf und der Leidenschaft eines Kleinkindes.

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