Birk Grüling

Wissenschaft für kleine und große Leser:innen, Buchholz

Keine Abos und 16 Abonnenten
Artikel

Stressbewältigung: So klappt's mit dem Abschluss

Andreas Mojzisch forscht als Professor für Sozialpsychologie an der Uni Hildesheim unter anderem zur Entstehung von Stress. „Leistungsdruck entsteht in der Abschlussphase vor allem durch fehlende Kontrolle und die Bewertung von außen", sagt er. Gerade Prüfungen seien für die Studierenden schwer kontrollierbar, und die Angst vor der Ungewissheit sei entsprechend groß. Dazu kommen noch andere Stressfaktoren wie überzogene Erwartungen an sich selbst, fehlendes Selbstvertrauen oder eine Überschätzung der Bedeutung von Noten. Zum Glück beschäftigt sich die Psychologie nicht nur mit der Entstehung von Stress, sondern auch mit seiner Bewältigung.

Ausreichend Schlaf

Die meisten Ratschläge sind dabei leicht umsetzbar. So fördert ausreichend Schlaf die Merkfähigkeit und hilft beim Lernen. Das Setzen von Prioritäten ist ebenfalls wichtig: In welchen Fächern genügt eine Drei in der Klausur? Brauche ich wirklich zusätzliche Kurse in Wirtschaftsspanisch? Kann ich im Nebenjob kürzertreten? Vor allem auf der Zielgeraden des Studiums sollte unnötiger Ballast über Bord geworfen werden.

Mojzisch hat in seiner Arbeit noch zwei andere Mittel gegen Stress ausgemacht. „Lerngruppen sind ein guter Stresspuffer. Menschen sind soziale Lebewesen und sehnen sich nach dem Wir-Gefühl in der Gruppe. Das entsteht zum Beispiel durch gemeinsame Lernerfolge", sagt er. Einzige Voraussetzung: Die Gruppe sollte auf einem ähnlichen Wissensniveau sein. Gibt es zu viele Überflieger, steigt der Druck auf die eigene Leistung.

Freunde und Ablenkung

Der zweite Anti-Stress-Faktor ist die Ablenkung. „Nach einem stressigen Tag in der Bibliothek ist die geistige Erholung sehr wichtig", rät der Psychologe. Man müsse den Kopf freikriegen und sich gedanklich von der Uni lösen. Wie man diese Erholungsphase gestaltet, ist dabei fast egal. Hauptsache, die Gedanken kreisen nicht ständig um Klausuren oder die Abschlussarbeit. Manche lesen ein Buch, andere starten lieber einen Serienmarathon oder powern sich beim Sport aus. Auch ein Treffen mit Freunden kann die nötige Ablenkung bringen. Vorausgesetzt, diese klagen nicht selbst über ihren Lernstress.

Herausforderung Abschlussarbeit

Die Abschlussarbeit - mit dieser Herausforderung am Ende der Studienzeit beschäftigt sich Harald Rau, Professor für Kommunikationsmanagement an der Ostfalia Hochschule. Der gelernte Journalist betreut nicht nur unzählige Studierende, sondern hat auch ein Buch mit dem Titel „Der Writing Code" geschrieben. „Die allermeisten Studierenden erleben beim Schreiben der Abschlussarbeit Krisen. Plötzlich erscheint alles nicht mehr gut und relevant genug", erklärt Rau. Problematisch sei das erst, wenn aus kleinen Schreibkrisen ein permanentes Gefühl der Überforderung entsteht.

Um das zu verhindern, lädt der Experte dazu ein, sich eine neue „Arbeitsroutine" anzueignen. Zur Abschlussarbeit gehören neben dem Schreiben eben auch das Recherchieren, das Lesen und das Zusammenfassen von Erkenntnissen. „Es geht darum, stets eine Aufgabe zu haben, zu der ich gerade Lust habe. Statt zu schreiben, lese ich an einem Tag vielleicht mehr oder arbeite an der Gliederung", sagt er. So kann jeder Tag produktiv genutzt werden, selbst wenn man nur zwei, drei Stunden am Schreibtisch sitzt. Diese Produktivität erzeugt ein gutes Gefühl, verhindert Schreibblockaden und motiviert zum täglichen Weitermachen.

Dynamische Gliederung

Das Wichtigste beim Projekt Abschlussarbeit ist die Gliederung. Sie gibt von Anfang an Struktur, gliedert das Denken und ist nach Schreibpausen ein wichtiger Helfer, um einen Wiedereinstieg zu finden. Sie ist dabei keinesfalls fix, sondern wächst, verändert sich und schrumpft auch mal. Genauso dynamisch ist auch der Rest der Arbeit. Wichtig ist, dass alles direkt in ein einziges, gegliedertes Arbeitsdokument geschrieben wird, und zwar von Anfang an - egal, ob gerade gelesene Zitate, eigene Ideen oder erste Recherche-Ergebnisse. Einzige Bedingung: Diese Textschnipsel sollten schon im richtigen Kapitel der Gliederung landen, auch die Quellen müssen sofort erfasst werden. So entsteht schnell eine wohlstrukturierte Stoffsammlung, die ein gutes Gerüst für den endgültigen Text bietet. Auch für das abschließende „Schönschreiben" hat Rau einen wichtigen Hinweis: „Nie Seite für Seite, von vorne nach hinten. Eine gute Arbeit schreibt sich von innen nach außen. Man beginnt auf der untersten Gliederungsebene, später folgt das große Ganze."

Positiv denken

Wir lieben das Drama. Wer freudestrahlend und entspannt von der Abschlussarbeit oder den Klausurvorbereitungen erzählt, erntet bei seinen Kommilitonen schnell irritierte Blicke. Lieber klagt man also über den Abschlussstress. „‚Das wird richtig cool', sagen wir viel zu selten", erklärt Hanna Drechsler, Kulturwissenschaftlerin und systemischer Coach. Die Hamburgerin rät für stressige Zeiten: „Positiv bleiben." Und das kann man trainieren. Eine gute Strategie an Tagen, an denen gar nichts klappen will und sich Panik breitmacht, ist die Besinnung auf eigene Erfolge. Ganz egal, ob gute Hausarbeiten, bestandene Klausuren oder einfach die letzten Lernerfolge. „Sich vor Augen zu führen, was man selbst schon alles geschafft hat, kocht Panikattacken schnell wieder runter und motiviert für den nächsten langen Tag in der Bibliothek", sagt sie.

Wie diese Besinnung auf das Positive gelingt, ist jedem selbst überlassen - ob als Mantra vor dem Einschlafen oder morgens vor dem Spiegeln. Auch Power-Posen können helfen. Die Idee: Man stellt sich für mehrere Minuten wie Wonder-Woman vor den Spiegel, breitbeinig, die Hände in die Hüfte gestemmt. Forscher der Harvard University fanden heraus, dass so der Testosteron-spiegel steigt und der Cortisolwert sinkt. Anders ausgedrückt: Das Selbstvertrauen nimmt zu, der Stress verschwindet. Ein weiterer Ansatz sind positive Visionen. Mit diesen im Hinterkopf lässt sich die trockenste Lektüre ertragen. Und irgendwann ist dann auch endlich der Stress vorbei.

Zum Original