Birk Grüling

Wissenschaft für kleine und große Leser:innen, Buchholz

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Zwischen Mitleid und Geburtsgeschichten [1]

Wie gehen Unternehmen mit dem vermeintlichen Problem um, dass Frauen schwanger werden? Diese Frage bringt das Fass zum Überlaufen. Schon länger hadert Maria Yoshida mit ihrem Wirtschaftsstudium, vor allem soziale Aspekte kommen ihr zu kurz. „Ich will etwas Sinnvolles für die Frauen in der Gesellschaft tun. Mit meinem Studium war dieser Anspruch nicht vereinbar", sagt die 24-Jährige. Bei der Suche nach Alternativen stößt sie auf den Beruf der Hebamme. Sie macht ein Vorpraktikum im Kreißsaal. Die Arbeit mit den werdenden Müttern, die Euphorie über das eigene Kind, das Zusammenwachsen von jungen Familien fasziniert sie - am Ende dieser prägenden Zeit steht ihr Berufswunsch fest. Inzwischen ist sie Hebamme im zweiten Lehrjahr am Hamburger Bildungszentrum für Gesundheitsberufe. Ihre Praxiseinsätze absolviert die Hamburgerin auf der Geburtenstation eines kleinen Krankenhauses am Stadtrand.

Beruf aus vollster Überzeugung

30 Geburtshelferinnen pro Jahrgang bildet Hamburgs einzige Hebammenschule aus. Die Zahl der Plätze soll im nächsten Jahr auf 42 steigen. Außerdem arbeitet man in der Hansestadt an einem Studiengang für Geburtshilfe. Das Interesse ist nach wie vor groß. „Jedes Jahr bewerben sich etwa 800 Frauen zwischen 18 und 50 Jahren. Wer am Ende einen Ausbildungsplatz bekommt, will diesen Beruf aus vollster Überzeugung machen", erklärt Schulleiterin Carmen Hild-Schober. Lange war sie selbst Hebamme in Kliniken und auch freiberuflich. Sie weiß um die wichtige Rolle der Geburtshelferinnen. Hebammen begleiten nicht nur Geburten und kümmern sich um die Nachsorge. Sie sind für die werdenden Mütter eine wichtige Stütze, nehmen Ängste, schenken Vertrauen und helfen beim Start ins Familienleben.

„Kinder auf die Welt zu bringen ist etwas Wunderbares", „Die Arbeit mit den Müttern gibt einem viel zurück" - auch im Gespräch mit den Schülerinnen überwiegt Leidenschaft für den zukünftigen Beruf. Gerade üben die 30 Frauen die Nachgeburt, mal aktiv, mal passiv. Die Stimmung ist entspannt. Die Frühlingssonne hat den Demo-Raum inzwischen auf Kreißsaaltemperatur aufgeheizt. Yoshida steht neben dem runden Entbindungsbett, in ihrer Hand ruht das Köpfchen eines Plastikbabys. Eine Mitschülerin gibt die werdende Mutter: „Ein letztes Mal mit den Wehen atmen, dann ist das Kind auf der Welt", sagt sie mit ruhiger Stimme. Schon gleitet das Neugeborene aus der Bauchattrappe mit dem wunderbaren Namen „Mama Natalie". Während die frischgebackenen Eltern bereits die ersten Momente mit dem Plastiknachwuchs genießen, streicht die angehende Hebamme mit der Hand über die Stoffplazenta. Alles vollständig, es war eine reibungslose (Nach-)Geburt.

Schlechte Rahmenbedingungen

Doch es gibt auch eine andere Seite. In den letzten Monaten haben die Negativschlagzeilen rund um die Geburtshilfe zugenommen: Hebammen sind überlastet, trotz steigender Geburtenzahlen schließen Kreißsäle - aus Personalmangel oder fehlender Wirtschaftlichkeit. Ähnlich sieht das Bild bei der Nachsorge aus. In Großstädten beginnt die Hebammensuche direkt nach dem positiven Schwangerschaftstest. Für Hild-Schober kommt der Mangel nicht von ungefähr. „Die Arbeitsbedingungen müssen sich verbessern, genau wie die Honorierung. Junge Hebammen sind nicht mehr bereit, ihr Leben Zwölf-Stunden-Schichten zu jeder Tages- und Nachtzeit unterzuordnen", erklärt die Schulleiterin. Kein Wunder also, dass die Mehrheit der 24 000 Hebammen in Deutschland in Teilzeit arbeitet. Andere geben den Beruf ganz auf. Laut Hebammenverband arbeiten viele Frauen nicht länger als sieben Jahre im Beruf.

Auch bei den Schülerinnen sind die schlechten Rahmenbedingungen ein häufiges Gesprächsthema. „Ich denke, bei uns überwiegt die Euphorie. Aber natürlich drückt das gesellschaftliche Bild unseres Berufes auf die Stimmung", sagt Friederike Ruof. Sie entschied sich nach dem Freiwilligendienst in einem Krankenhaus in Tansania für die Hebammenausbildung. Grundsätzlich hält sie die mediale Aufmerksamkeit für die Lage der Hebammen für wichtig. Dass sich dadurch mehr Menschen für den Hebammenberuf einsetzen, glaubt sie dagegen nicht. „Es herrscht ein typisch deutscher Pessimismus. Wenn ich von meinem Berufswunsch erzähle, bekomme ich entweder Geburtsgeschichten zu hören oder ich ernte nur mitleidige Blicke", sagt die 24-Jährige. Anerkennung über die tolle Berufswahl sei dagegen selten.

Die Ausbildung zur Hebamme Von Birk Grüling
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