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Die Junggesellin, die über Bagdad herrscht

Thikra Alwasch ist die erste Frau, die es ins Bürgermeisteramt der irakischen Hauptstadt geschafft hat. „Aber ich werde nicht die letzte sein“, sagt sie. Trotz IS und Terror könnte sie recht behalten.


Sie wirkt verloren in dem weitläufigen Büro mit der massiven Holzvertäfelung, den tiefen Ledersesseln und dem schweren Teppich. Thikra Alwasch schleicht so leise durch den Raum, dass man meinen könnte, sie wolle um keinen Preis auffallen. Dabei ist die 46-Jährige eine Sensation in der Region. Seit vier Wochen regiert Alwasch über Bagdad, keine Frau vor ihr führte je die Geschicke einer Hauptstadt in der arabischen Welt.

„Ich bin vielleicht die erste Frau auf diesem Posten, aber ich werde ganz sicher nicht die letzte sein“, sagt sie selbstbewusst und bestellt über die Sprechanlage Tee für den Gast. Der Eindruck, dass sich hier jemand verstecken will, verflüchtigt sich schnell. Die 1,64 Meter große Frau hat ein pinkfarbenes Tuch um den Kopf geschlungen. Sie mag leuchtende Farben, und unter all den Männern fällt sie ohnehin auf, weshalb sich also in gedeckte Farben flüchten?

Iraks Premierminister Haider al-Abadi hatte sie Ende Februar ins Amt berufen, nachdem ihr Vorgänger sich in unzählige Korruptionsvorwürfe verstrickt hatte. „Ich bringe euch eine unabhängige Kandidatin für Bagdad“, versprach der Premier den Hauptstädtern. Während die Gouverneure der 18 irakischen Provinzen gewählt werden, sind die Bürgermeister der Millionenstädte stets ernannt worden. In der Hauptstadt übt der jeweilige Regierungschef dieses Privileg aus. Er werde die Rolle der Frauen im Irak stärken, hatte der Premier in seiner Antrittsrede im vergangenen September versprochen. Mit der Ernennung Alwaschs ließ er seinen Worten nun Taten folgen.

„Ich will den direkten Kontakt mit den Menschen suchen“, beschreibt Alwasch ihre nächsten Schritte. „Die Leute müssen wieder Vertrauen in ihre Stadt und die Verwaltung gewinnen“, sagt sie. Für ihren Vorgänger hatten die Bürger irgendwann nur noch Spott übrig. Trotz der Skandale erklärte er das siechende Bagdad zur schönsten Stadt der Welt – schöner noch als New York und Dubai.

Mächtige Schiiten wollten keine Frau im Spitzenamt

Alwasch steht vor einer Herkulesaufgabe. Fast täglich schrecken Bombenanschläge die Einwohner von Bagdad. Die Korruption im Land grassiert, auf der Liste von Transparency International rangiert der Irak auf Platz 170 – von insgesamt 174 Staaten. Gleichzeitig steht der Stadtkasse noch weniger Geld zur Verfügung, um daran etwas zu ändern: Jüngst wurde das Budget wegen sinkender Einnahmen aus dem Ölverkauf gekürzt.

Trotzdem werten viele in Bagdad Alwaschs Berufung als ein Zeichen der Hoffnung. „Die Zeit war reif für eine Frau oder einen Christen“, heißt es aus Parlamentskreisen. Die Bagdader seien die ewigen Querelen zwischen den politischen, ethnischen und religiösen Gruppen leid. Alwasch selbst gehört keiner Partei an, die Bauingenieurin war zuvor als Generaldirektorin im Hochschulministerium angestellt und hat sich dort einen Ruf als kompetente Macherin erarbeitet. Dort hat sie gelernt, Machtkämpfe zu überstehen. Die religiösen schiitischen Parteien, die bis dato den Chefposten in Bagdad mit ihren Anhängern bekleideten, wollten das Terrain nicht widerstandslos aufgeben und machten Stimmung gegen sie als Frau und unabhängige Akademikerin. „Ich werde ihnen schon zeigen, dass eine Frau diesen Job machen kann“, sagt Alwasch entschlossen.

Der Irak gehörte einst zu den fortschrittlichsten Ländern der Region, was Frauenrechte anbelangt. Doch unter Saddam Hussein wurden die Freiheiten langsam zurückgenommen, nach seinem Sturz sorgten der Bürgerkrieg und das Erstarken religiöser Parteien für weitere Einschränkungen. Es waren schließlich die US-Besatzer, die den irakischen Frauen den Weg zurück in die Öffentlichkeit ebneten. Auf Bagdads Straßen flanieren sie auch nach dem Abzug der Amerikaner unbehelligt – mit und ohne Schleier. In Büros, Redaktionsräumen und Kanzleien ist die Anwesenheit von Frauen kein ungewöhnlicher Anblick mehr. Inzwischen sind einige von ihnen sogar in den Chefetagen angekommen. Der größte private Medienkonzern al-Mada wird zum Beispiel von Ghada al-Amely geführt. Die Politik hinkt diesem Fortschritt noch deutlich hinterher. Nur zwei von 29 irakische Ministerien werden von Frauen geführt, die Provinzgouverneure sind ausnahmslos Männer.

Am weiblichen Vormarsch zweifeln trotzdem die wenigsten. „Die Frauen im Irak sind nicht mehr aufzuhalten“, sagt Wassan Khalid Ibrahim, Koordinatorin für Frauenprojekte der Nichtregierungsorganisation International Medical Corps(IMC). Ein Beleg für die wachsende Unabhängigkeit ist ihrer Meinung nach die steigende Scheidungsrate. In einigen Bezirken Bagdads, so eine Studie des IMC, wurden in den vergangenen fünf Jahren bereits mehr als die Hälfte der Ehen geschieden. Landesweit liege die Scheidungsrate bei etwa 25 Prozent.


Scheidung als Befreiungsakt

„Es sind immer mehr Frauen, die die Scheidung einreichen – obwohl das erhebliche Schwierigkeiten für sie mit sich bringt“, sagt Ibrahim. Während sich der Mann nach islamischem Recht innerhalb von nur wenigen Stunden scheiden lassen kann, kämpfe eine Frau oft Monate, wenn nicht Jahre vor Gericht um die Trennung. In einer Gesellschaft, in der patriarchalische Strukturen dominieren und Frauen durch eine Scheidung ihre gesellschaftliche Ächtung riskieren, kommt dieser Schritt einer Revolution gleich. „Die Scheidung ist ein Befreiungsschlag“, beschreibt Ibrahim den Mut der Frauen. Und sie macht noch eine weitere interessante Beobachtung: Viele der geschiedenen Frauen heirateten auch nicht wieder, sondern zögen es vor, allein zu leben und zu arbeiten. Andere wiederum heirateten erst gar nicht, um ihre Karriere machen zu können.

„Die irakischen Männer wollen Dienstmädchen und keine Partnerinnen“, sagt Samarkand al-Dschabiri, die als Journalistin im staatlichen Mediennetzwerk arbeitet, 42 Jahre alt ist und noch nie verheiratet war. Auch Bagdads neue Bürgermeisterin ist Junggesellin – ein 14-Stunden-Tag lasse sich eben nicht gut mit einer Familie vereinbaren.

Doch es ist nicht allein die Lust an der Unabhängigkeit, die den Vormarsch der irakischen Frauen befördert. Durch den Terror in den Jahren nach Saddam Hussein, als der Krieg zwischen Sunniten und Schiiten im Land tobte, wurde die alte Elite aus Ärzten, Juristen, Professoren und Geschäftsleuten verfolgt, entführt oder ins Exil getrieben. Weil diese Männer heute fehlen, haben nun Frauen die Chance auf interessante Posten. „Wir sind gut ausgebildet und bereit, die Gelegenheit zu nutzen“, beschreibt es die Medienmanagerin Amely.


Sind Frauen weniger korrupt?

Doch es gibt Entwicklungen, die diesen Vormarsch bedrohen. Die Terroristen des Islamischen Staates etwa, die sich große Teile des Irak einverleibt haben, wollen insbesondere die in ihren Augen viel zu aufmüpfigen Frauen in ihre Schranken verweisen. Bei Schiruk Abajachi haben sie damit keinen Erfolg. „Ich will meine Freiheit behalten“, sagt die Abgeordnete des irakischen Parlaments, die Begleitschutz ablehnt. „Wenn du immer jemanden um dich herum hast, fühlst du dich eingeschränkt.“

Wenigstens auf ein gepanzertes Fahrzeug aber hat sie sich inzwischen eingelassen. Ein Kollege sei kürzlich auf dem Nachhauseweg in seinem Wagen erschossen worden. Die 57 Jahre alte Irakerin ist eine von insgesamt 82 Frauen, die im irakischen Abgeordnetenhaus sitzen. Als einziges Land im Nahen Osten schreibt der Irak dem Parlament eine Frauenquote von 25 Prozent vor.

Wie fast überall ist die Quote auch im Irak hoch umstritten. Frauen wie Abajachi und die Bürgermeisterin von Bagdad müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, sie seien nur wegen ihres Geschlechts auf ihre Posten gekommen. Thikra Alwasch aber lässt sich davon nicht beirren. Sie verlasse sich auf die vernünftigen Menschen in Bagdad, die eine gute von einer schlechten Führung unterscheiden könnten. „Ich werde alles tun, um ihr Vertrauen zu gewinnen“, verspricht sie. Und sie fügt hinzu: „Ich schäme mich nicht dafür, dass ich auch berufen worden bin, weil mir als Frau weniger Korruption zugetraut wird.“ Weshalb solle es nicht auch einmal einen Vorteil bedeuten, kein Mann zu sein? Sie lächelt bei diesen Worten und geleitet den Gast mit sicheren, festen Schritten zu Tür. Die Arbeit rufe, es sei keine Zeit mehr, weiterzuplaudern.


von Birgit Svensson