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Ein kleiner Bus für gerade einmal neun Personen fährt vom S-Bahnhof Gößnitz nach Schmölln im Altenburger Land. Alles andere lohne sich nicht, erklärt die Fahrerin. Nur zwei Menschen wollen an diesem Mittag nach Schmölln, einer Kleinstadt mit etwas mehr als 11.000 Einwohnerinnen und Einwohnern.
Zwar zogen hier im vergangenen Jahr wieder mehr Menschen hin als weg, jedoch waren es nur knapp zwei Prozent. Fast genauso viele sind im Jahr davor weggezogen. Wolfgang Götze ist geblieben: "Ich bin in Schmölln geboren, ging in Schmölln zur Schule, hab in Schmölln gearbeitet bis zur Rente und irgendwann wird man mich hier von dannen tragen. Also ich bin so gepolt, dass man in der Heimat bleibt."
Götze ist Vorsitzender des Turn- und Sportvereins Schmölln. Noch kämen genug Jüngere zum Leichtathletik oder in den Zumba-Kurs. Aber so wie Götze denken in Schmölln nicht alle Menschen. Bis 2035, schätzt das Landesamt für Statistik Thüringen, werden über 20.000 Menschen aus dem Altenburger Land abwandern.
Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung hat in einer Langzeitstudie einen Zusammenhang festgestellt zwischen dem Wegzug und dem Gefühl der Menschen, benachteiligt zu sein. Damit gehe dann unter Umständen eine verstärkte Fremdenfeindlichkeit einher, sagt Studienleiterin Katja Salomo. Menschen, die sich benachteiligt fühlen, falle es schwerer, Zuwanderer zu akzeptieren und ihnen offen gegenüberzustehen.
Das ist im ersten Moment irritierend, weil Zuwanderung genau das ist, was diese Gebiete brauchen. Aber in einer Situation, die einfach schon so verunsichernd wirkt, wirkt diese Zuwanderung als Bedrohung.
Katja Salomo, StudienleiterinBei der Bundestagswahl 2017 haben im zugehörigen Wahlkreis Gera - Greiz - Altenburger Land fast 27 Prozent die AfD gewählt. Die Soziologin spricht von einer zunehmenden "demografischen Homogenität" im ländlichen Raum. Also eine Bevölkerung, die im schlimmsten Fall stark altert und mit einem Wegzug der Jüngeren zu kämpfen hat. Auch der Wegzug von Frauen führt laut Katja Salomo dazu, dass diese Entwicklung erst einmal nicht aufgehalten werden kann.
Denn ohne Frauen, keine Kinder: "Und das ist auch schon wieder im Wandel, aber die Frauen in dieser Zeit haben einfach bessere Chancen auf dem westdeutschen Arbeitsmarkt und schlechtere auf dem ostdeutschen, weil der ostdeutsche Arbeitsmarkt weniger dienstleistungsserviceorientiert ist als der westdeutsche. Und Frauen, wie wir wissen, traditionell, diese Jobs eher ergreifen," erklärt Salomo.
Auf dem herausgeputzten Marktplatz von Schmölln warten an diesem Nachmittag ein paar vereinzelte, meist ältere Damen auf den Bus. Vor dem Supermarkt steht die 18-Jährige Johanna und raucht. Die Auszubildende kommt eigentlich aus Gößnitz, hat sich aber bewusst für Schmölln entschieden: "Ich war auch schon in Chemnitz in einer Großstadt arbeiten, aber das war mir zu hektisch, da bin ich lieber in meinen ländlichen Gebieten, das find ich ruhiger." Trotzdem sei hier auf dem Marktplatz immer was los, auch wegen des Supermarkts, der lange abends geöffnet ist. Dann muss Johanna zur Arbeit. Aus dem gerade eintreffenden Bus steigt Marika mit ihrer Enkeltochter.
Sie wohnt in der Neubausiedlung, dort gibt es keinen Supermarkt mehr. Sie muss zum Einkaufen in die Stadt. Ihre Tochter hat in Schmölln keine Arbeit bekommen, wohnt deshalb in Gera. "Ich bin jetzt zurzeit in der Innova unten und da sind so viele jüngere Arbeitslose, die kriegen auch nichts." Die Innova ist eine Bildungseinrichtung, die arbeitslosen Menschen wieder auf die Füße helfen möchte.
Über 1700 Frauen sind im vergangenen Jahr aus dem Altenburger Land in ein anderes Bundesland oder ins Ausland gezogen. Auch der Sportvereinsvorsitzende und CDU-Mitglied Wolfgang Götze kennt das. Seine Tochter arbeitete eine Zeit lang als Physiotherapeutin in Dortmund, unter anderem auch für die Handballmannschaft des BVB:
"Und da zog unsere Tochter in den Westen, so einfach ist das. Und da hat unsere Tochter mehr verdient, als ich jemals als Trainer verdient hätte." Seit drei Jahren lebt seine Tochter mit ihren zwei Kindern wieder in Schmölln. Wolfgang Götze freut das, trotzdem sieht er ein, dass sich seine Heimat mit dem Wegzug verändert - und eben auch mit dem Zuzug anderer Menschen.
"Es gibt einen Spruch, wenn Sie nach Schmölln reinfahren: "Willkommen in der Knopfstadt Schmölln". Und da hat es Leute gegeben, die haben das überschrieben mit: "Willkommen in der Dönerstadt Schmölln". Und das soll aussagen, dass wir hier mehr Döner und solche gastronomischen Einrichtungen haben, die nicht schlecht sind, aber die hier in der Region unbekannt waren."
Mehmet Ali Baki lebt seit über zehn Jahren in Schmölln. Vor zwei Jahren hat er eine größere Filiale aufgemacht. Seitdem bietet er nicht nur Döner, sondern auch Pizza an. In Städten wie Leipzig würde er kein Geschäft aufmachen - zu viel Konkurrenz, sagt er. Als fremdenfeindlich nehme er die Menschen in Schmölln nicht wahr:
Bis jetzt hab ich keine Probleme gehabt - auch keine kleinen. Die sind alle nett. Es ist eine schöne Stadt. Und die haben mich schön aufgenommen.
Mehmet Ali BakiDass die Jüngeren wegziehen, davon ist er mittlerweile genauso betroffen, wie alle anderen. "Die jüngeren Leute wollen wirklich nicht hierbleiben. Auch wegen der Arbeit. Zum Beispiel mein Sohn. Der ist auch weggezogen. Weil hier gibt es nicht viele Möglichkeiten. Aber irgendwann kommen sie wieder zurück. Irgendwann."
Immerhin: Seit fünf Jahren lebt sein Neffe in Deutschland und hilft ihm. Und auf seine Stammkundschaft ist Mehmet Ali Baki stolz. Ein etablierter Sportverein, eine Bus- und Bahnverbindung und ein belebter Marktplatz: Die Stadt Schmölln hat etwas dafür getan, dass die Menschen bleiben. Das müssten, so Studienmacherin Katja Salomo, noch viel mehr Kleinstädte in Thüringen schaffen. Schließlich sei nicht die Demografie das Problem, sondern die Konsequenzen für die Lebensqualität vor Ort.
"Das Wegbrechen von Strukturen, von Institutionen, von Kaufmöglichkeiten, Freizeitmöglichkeiten. Und da kann man ja eigentlich gegensteuern. Schon allein die Investition in bessere Infrastruktur auf dem Land würde viel bringen. Wenn man nichts davon macht, glaube ich nicht, dass sich das in den nächsten zehn, 20 Jahren entspannt." Die Stadt Schmölln hat verstanden, dass sie sich nicht auf den Lorbeeren ausruhen kann: Für alle Willigen soll es deshalb kommenden Februar eine Rückkehrer-Messe geben.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 12. August 2019 | 11:00 Uhr
Zuletzt aktualisiert: 14. September 2019, 05:00 Uhr