Bettina Hagen

Freie Journalistin, Texterin

1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Floriade Expo in Holland: Wie sieht die Stadt der Zukunft aus?


Die Stadt Almere stand bisher nicht bei vielen Hollandbesuchern auf dem Reiseplan. Grachten und Giebelhäuser sucht man vergebens, dabei liegt die Stadt nur 30 Kilometer vom touristischen Hotspot Amsterdam entfernt. Mit gerade einmal 50 Jahren ist Almere die jüngste Stadt der Niederlande. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Region noch Teil der Meeresbucht Zuiderzee und lag komplett unter Wasser. Mitte des 20. Jahrhunderts begann man, über ein ausgeklügeltes System der Trockenlegung, dem Meer die heutige Provinz Flevoland abzuringen. Auf dem neuen Land, fünf Meter unterhalb des Meeresspiegels, entstand die Stadt Almere.


Buchstäblich aus dem Nichts geschaffen, sollte sie Wohnraum bieten für die schnell wachsende Bevölkerung Amsterdams. Namhafte Architekten wie Rem Koolhaas, David Chipperfield oder die Zürcher Gigon und Guyer setzten architektonische Akzente, die das Gesicht der Stadt prägen. Mittlerweile leben in Almere, umgeben von Wasser und grüner Polderlandschaft, rund 200 000 Menschen.


Ein Stadtteil entsteht

Vom kleinen City-Strand aus blickt man über einen See auf die Silhouette der Floriade Expo. Dominant ragt der Turm eines neuen Wohnkomplexes heraus. Er gehört, neben einer Fachhochschule, einem Seniorenheim und Restaurant, zu den ersten Gebäuden, die auf dem 60 Hektaren grossen Expo-Gelände errichtet wurden. Und sie werden bleiben. Nach der Schau soll dort ein gänzlich neuer Stadtteil entstehen, mit den grossflächigen, für die Floriade angelegten Blumen- und Parkanlagen als grünem Herz. Das Areal würde damit selbst zur gelungenen Umsetzung des Mottos "Growing green cities".


Baumaterialien der Zukunft

Doch wie kann sie aussehen, die Stadt der Zukunft? In 40 Länderpavillons versucht man Antworten zu finden. Mit nachhaltigem und umweltschonendem Bauen befasst sich der niederländische "Natural Pavillon". Aus über 100 biobasierten Materialien wurde er gefertigt; Kork, Algen oder Pilze dienten als Baustoffe, die der Natur wieder zurückgeführt werden können. Mit Pflanzen begrünte Innenwände sorgen als organische Klimaanlage für frische Raumluft. Nur einige hundert Meter entfernt steht ein begehbares Strandhäuschen, unscheinbar, aber ein kleines Wunderwerk. Als Baumaterial wurden fünf Millionen Plastikbeutel verwendet, die von dem niederländischen Unternehmen "Save Plastic" rezykliert und aufbereitet wurden. "Save Plastic" ist auf die Wiederverwertung von Plastikmüll spezialisiert und produziert daraus Brückenteile, Laternenmasten, Bänke oder Picknicktische.


Ein eleganter Hingucker ist die 15 Meter lange "Smart Circular Bridge". Sie wurde jedoch nicht aus Plastik, sondern komplett aus Flachs hergestellt und verhilft damit der alten Kulturpflanze zu einem vielversprechenden Comeback. Bisher hat man Flachs eher in Form von Kleidungsstücken oder robusten Säcken gekannt, in Zeiten von Klimawandel und schwindenden Rohstoffen soll die schnell wachsende Pflanze in Kombination mit Bio-Harz zu einem Baustoff der Zukunft werden. Es ist ein EU-gefördertes Pilotprojekt, nächste Bauvorhaben sind bereits in Planung.


Lederaccessoires aus Laubblättern


Wasserverschmutzung, Ressourcenverschwendung und CO2-Emissionen gehören zu den Umweltsünden der Modeindustrie. Zu den dreckigsten der Branche zählt die industrielle Lederproduktion. Das britische Unternehmen Biophilica mit seiner Marke Treekind zeigt, wie es anders gehen kann. Es stellt aus Laub und Ästen ein Material mit den Eigenschaften und der Haptik von Leder her, doch ohne Giftstoffe und Plastik. Der Wasserverbrauch liegt, nach Unternehmensangaben, bei weniger als einem Prozent, verglichen mit der industriellen Massenproduktion. Obwohl noch in der Crowdfunding-Phase, landete Treekind mit seinem innovativen Ansatz bereits auf Platz eins der "Manufacturing Futures 2021" und in der Endrunde beim "Drapers Sustainable Fashion Award 2021".


Obst und Gemüse aus der Stadt


Dass die Produktion von Lebensmitteln längst nicht mehr nur im ländlichen Raum stattfindet, zeigt der deutsche Pavillon mit seinen begrünten Aussenseiten. 3000 Stauden und Gräser wurden im Garten gepflanzt und beherbergen ein Bienenvolk für die Honigproduktion. Obst, Gemüse und Kräuter wachsen auf dem Dach des zweistöckigen Baus. Es ist eines von vielen Beispielen, die vorführen, wie man im engen städtischen Raum Platz für kleine Nutzgärten schafft.


Eine Reise durch die Welt des Gartenbaus gibt es im Gewächshauskomplex: Unter Einsatz von High-Tech-Robotern, Drohnen und Sensoren werden dort Erdbeeren, Paprika und Gerbera gewässert und geerntet. Vom Samen über den Steckling bis hin zum fertigen Produkt ist der gesamte Wachstumsprozess zu erleben. Und es kann direkt probiert werden. An einem der vielen Stände oder im angeschlossenen Gewächshaus-Restaurant.

Zum Original