Bettina Hagen

Freie Journalistin, Texterin

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Freischwinger von Thonet: Streit um den Bauhaus-Klassiker

Der Freischwinger ist das Möbel, das man unzertrennlich mit dem Bauhaus verbindet. Doch wer hat ihn erfunden?

Das Konzept war ebenso revolutionär wie einfach: Im Zuge einer funktionalen Formensprache klaute man einem Stuhl einfach die beiden Hinterbeine und liess die Sitzfläche optisch in der Luft schweben. "Warum vier Beine nehmen, wenn zwei ausreichen?", fragte der Dadaist Kurt Schwitters damals.

Es war die Geburtsstunde des sogenannten Freischwingers, eines der erfolgreichsten Stuhldesigns des 20. Jahrhunderts. Doch wer hat es eigentlich erfunden? Dies ist eine Frage, die für Streitereien und Gerichtsprozesse sorgte, in denen es neben den Urheberrechten vor allem um die Produktionsrechte und damit um viel Geld ging.

Gegenentwurf in technischem Look

Fest steht, dass die Gestalter Mart Stam, Marcel Breuer und Ludwig Mies van der Rohe mit Stahlrohr experimentierten. Dessen sauberer, technischer Look war der überzeugende Gegen­entwurf zu den damals beliebten Biedermeiermöbeln. Klar ist ausserdem, dass der niederländische Designer Stam 1926 mit dem Stahlrohrstuhl "S 34" den ersten Kragstuhl der Möbelgeschichte entwarf.

Dessen Sitzfläche federte allerdings noch nicht. Nur ein Jahr später folgte der Deutsche Architekt und spätere Bauhaus-Direktor Mies van der Rohe mit seinem eleganten "S 533". Bei ihm wurde das Gestell gerundet, und die Sitzfläche wippte, was den Komfort verbesserte. 1929 entwarf der ungarischstämmige Architekt Breuer den künftigen Stahlrohrklassiker "S 32" und "S 64" - doch schon 1925 hatte er bei einem Stahlrohrhocker das Prinzip des Freischwingers genutzt.

Streit im Schwingerklub

Ein erbitterter, lebenslanger Streit entflammte zwischen Stam und Breuer - und landete gar beim Bundesgerichtshof, der Stam 1932 die künstlerische Urheberschaft am Freischwinger bestätigte.

Anfang der dreissiger Jahre sicherte sich die Firma Thonet die Rechte für alle Stahlrohr-Entwürfe von Breuer, Stam und Mies van der Rohe und begann mit der serienmässigen Produktion. Heute geht es bei den Klagen um die Bauhaus-Freischwinger vor allem um Plagiatsvorwürfe.

https://bellevue.nzz.ch/design-wohnen/freischwinger-von-thonet-streit-um-den-bauhaus-klassiker-ld.1467189
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