Author: Bernd Thomas
Published at: 5-12-2023
Wir bewegen uns, nehmen wahr, fühlen, denken, kommunizieren, erinnern, planen und lernen. Die Schaltzentrale dafür ist unser Gehirn. Je gesünder es ist, desto effektiver und schneller sind wir. Aber was hält es gesund, was macht unser Gehirn krank und was können wir tun? Eine Menge, meinen Wissenschaftlerinnen und Ärzte. Bis zu 40 Prozent können wir uns selbst vor dem schützen, was alle fürchten: eine Demenz. Die Forschung zu Ursachen, Therapie und Prävention ist eines der spannendsten Wissenschaftsfelder der Medizin.
2020 veröffentlichte die Lancet-Kommission die Livingston-Studie zur Prävention und Behandlung von Demenz. Rund 40 Prozent lässt sich das Risiko für eine Demenz senken, wenn diese Faktoren vermieden werden:
Die komplex miteinander verbundenen Nervenzellen machen unser Gehirn zu einem extrem leistungsfähigen Organ.
Das Gehirn ist unser komplexestes Organ. Es verbraucht rund ein Fünftel der Energie, die wir täglich aufnehmen und besteht, kaum vorstellbar, aus rund 100 Milliarden Nervenzellen. Entscheidend für die Gesundheit sind neben seiner Versorgung Aktivität und Vernetzung. Forscher bezeichnen das als Plastizität. Ein aktives Gehirn, so Gerd Kempermann vom DZNE-Standort Dresden, ist besser vernetzt und hat eine Anpassungsfähigkeit, die ein Leben lang erhalten bleibt. Je größer sie ist, desto mehr und besser kann es mit den Widernissen des Alterns umgehen und desto besser auch eine Resilienz gegenüber neurodegenerativen Erkrankungen und Demenz aufbauen.
Damit unser Gehirn gut funktioniert, muss es optimal durchblutet werden. Sport und Bewegung tragen dazu bei. Zu den konkreten Wirkungen forscht Prof. André Fischer am DZNE-Standort Göttingen. Ein Ergebnis: Nach Sport bilden sich neue Blutgefäße, die Sauerstoffversorgung verbessert sich. Daneben gibt es aber weitere wichtige Faktoren, die positiv auf das Gehirn wirken. Aus den Muskeln werden Stoffe freigesetzt und ins Gehirn transportiert. Sie führen dazu, dass Nervenzellen nicht absterben, besser funktionieren und sich unter Umständen sogar neue Zellen bilden. Teilnehmer einer Studie machten dreimal pro Woche 30 Minuten ein spezielles Sportprogramm. Das Ergebnis nach drei Monaten waren verbesserte kognitive Fähigkeiten vor allem des Langzeit- und des Arbeitsgedächtnisses. Erste Ergebnisse einer Studie aus Aachen zeigen außerdem positive Auswirkungen auch für Patienten, die schon erste Anzeichen einer Demenzerkrankung aufweisen. Neben der körperlichen Fitness verbesserte sich im Laufe der Studie deren Arbeitsgedächtnis. Veränderungen waren auch in der Bildgebung zu sehen.
Alzheimer: Außerhalb der Zellen lagern sich Plaques an, durch veränderte Proteine in den Zellen sterben die Zellen und Verbindungen ab.
Hauptrisikofaktor für eine Alzheimererkrankung ist das Alter. In so gut wie allen Gehirnen lagern sich außerhalb der Zellen zunehmend Amyloid Plaques ab, verklumpte Proteine. Immunzellen des Gehirns, die Mikrogliazellen, bekämpfen sie zwar, schaffen aber nicht, die Plaques auf Dauer abzuräumen. In den Zellen verändern sich außerdem Tauproteine zu sogenannten Tangles. Als Folge davon gehen die Zellen und ihre Verbindungen zugrunde. Noch ist nicht abschließend geklärt, welche Rolle die einzelnen Prozesse jeweils spielen. Doch ist die Krankheit fortgeschritten, lässt sich der Prozess der Zerstörung nicht mehr aufhalten. Prof. Christian Haass vom DZNE-Standort München sieht die Krankheit als Kaskade, ausgelöst durch das Protein Amyloid und die Plaquesbildung. Dafür spricht seiner Meinung nach der natürliche Schutz vor Alzheimer einer isländischen Familie. Eines ihrer Gene weist eine Mutation auf. Es verringert die Amyloidproduktion um 40 Prozent. Die Folge: Selbst im hohen Alter bilden sich keine Plaques, die Familie ist vor Alzheimer geschützt. Ein weiterer Hinweis sind die Erkrankungen von Menschen mit Downsyndrom, der Trisomie 21. Auf dem Chromosom 21 sitzt das Gen, das die Amyloidproduktion steuert. Oft ist bei ihnen genau dieser Teil des Chromosoms mehrfach vorhanden. Es kommt zu einer vermehrten Produktion von Amyloid. Viele Menschen mit Downsyndrom haben deshalb ein erhöhtes Risiko, an Alzheimer zu erkranken.
Damit Patienten von kommenden Therapien profitieren können, müssen Diagnosen möglichst früh gestellt werden. Mehrere Gruppen forschen aktuell zu Frühtests mit neuen Biomarkern. Sie sollen Veränderungen anzeigen, bevor Zellen zugrunde gehen und erste klinische Symptomen auftreten. Prof. André Fischer in Göttingen ist dem Ziel schon sehr nahe. Er und sein Team nutzen dazu drei spezielle microRNAs. Sie steuern wichtige Prozesse im Gehirn: den Energiestoffwechsel, die Synapsenfunktion und Entzündungsprozesse. Alle stehen in direktem Zusammenhang mit kognitiven Leistungen. Außerdem lassen sie sich im Blut nachweisen. Der Test, der in Zukunft angewendet werden könnte wie ein einfacher Corona-Test, funktioniert in Studien bereits und gibt einen Hinweis auf das Demenzrisiko. Studienteilnehmer mit erhöhten Werten entwickelten in den nächsten zwei bis drei Jahren tatsächlich eine Demenz. Mit solchen Tests könnte in Zukunft jeder sein individuelles Demenzrisiko leicht selbst ermitteln, um sich dann gezielt untersuchen und behandeln zu lassen. Dabei helfen wird zukünftig auch KI, Künstliche Intelligenz. Pro einzelner Zelle können heute hunderte bis mehrere tausend Parameter bestimmt werden. KI ist in der Lage, aus riesigen Datenmengen vieler Patienten mögliche, charakteristische Muster zu erkennen, die auf eine Demenz hinweisen. Außerdem kann künstliche Intelligenz helfen herauszufinden, welche Therapien welchen Patienten auch wirklich nutzen können.