Luxusleben in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Familienlunch, Shoppen und süßes Nichtstun - MERIAN blickt in den Alltag der Männer von Abu Dhabi, die am liebsten unter sich bleiben.
Mister Nasser lädt ein, wir sollten ihn nicht warten lassen. Kutti, sein indischer Fahrer, gibt jedenfalls Gas. Er steuert die grüne Limousine mit quietschenden Reifen über die staubigen Straßen von Abu Dhabi. Es ist Freitag, arabisches Wochenende, der Verkehr hält sich zum Glück in Grenzen.
Am Fenster fliegen weißgekalkte Villen-Fassaden vorbei und Kutti erzählt. Immer freitags, sagt er, nach dem Moschee-Besuch, lädt Mr. Nasser die Familie zum Lunch. Die Brüder, die Cousins, all die Neffen und Enkel. "Mr. Nasser sagt, das stärkt die Familienbande", erklärt Kutti. Mehr als 40 Personen werden heute erwartet. Die Frauen nicht mitgerechnet, sie speisen extra. Sogar der Imam sei unter den Gästen, sagt er, eine besondere Ehre. Kutti schwitzt. Schon zehn Minuten über der Zeit. Endlich biegen wir in eine Toreinfahrt. Vor dem Mamorportal steht ein weißer Bentley. "Kommen Sie zum Lunch", hatte Nasser al-Nowais gesagt und charmant gelächelt. Er saß hinter dem Schreibtisch seines Büros im zehnten Stock. Neben seinem Schreibtisch standen Fotos, die ihn zusammen mit Scheich Zayed zeigen, dem legendären Staatsgründer, mit Kofi Annan und mit George Bush - allerdings dem Älteren. "Also bis Freitag", sagte Nasser.
Familienlunch im Hause al-Nowais ist eine Gelegenheit, einen Blick hinter die hohen Mauern zu werfen, die gewöhnlich die arabischen Familien schützen, eine abgesonderte Gesellschaft im eigenen Land. Man lebt in eigenen Stadtvierteln, heiratet untereinander. Bürger der Emirate wird man nicht, das ist man - durch Geburt. Die stolzen Stammbäume der Nowais, Quassimi oder Qubeissi reichen weit zurück. Die Dynastien sind es, die die Geschicke des Landes lenken.
Nasser al-Nowais gehört zur Gründergeneration seines Landes. Aufgewachsen vor dem Ölboom, war er unter den ersten, die in den sechziger Jahren zum Studieren nach New York geschickt wurden. Damals war Abu Dhabi nicht mehr als ein Dorf aus Lehmhütten. Nasser studierte Ökonomie an der New York University und jobbte als Portier. Die Jahre in Amerika, sagt er, hätten ihn Geduld und Toleranz gelehrt. In Abu Dhabi ging es derweil dank des Erdöls bergauf. Nach seiner Rückkehr wurde der junge Mann sofort Chef eines Entwicklungshilfefonds und Staatssekretär - gleichzeitig. Gut ausgebildete Leute waren in den Emiraten selten. Heute ist Nasser al-Nowais ein mächtiger Mann. Er führt eine der größten Hotelketten des Nahen Ostens. Aber das Wochenende gehört der Familie.
"Hallo, my friends!", ruft Nasser al-Nowais. Er steht mit ausgebreiteten Armen in seinem Wohnzimmer, das so groß ist wie eine Hotel-Lobby. Von der Decke hängen riesige Kronleuchter, die Wände sind mit Seidentapeten und grellen Ölgemälden geschmückt. Auf einem langen Tisch in der Mitte stehen Berge von süßem Gebäck. Weiß livrierte Diener servieren Tee aus einer Thermoskanne im Aladin- Design. Auf einer roten Samtbank an der Wand sitzen 30 Männer. Alle tragen sie das blütenweiße Gewand, die Dischdascha, und auf dem Kopf die Ghutra, das traditionelle Tuch der Beduinen. So muss es beim Casting von "Lawrence von Arabien" ausgesehen haben. Nur der Imam trägt einen schwarzen Turban. Seine Augen sind mit Kajal gerändert.
Nasser bittet zum Lunch ins Zimmer nebenan. Das Menü habe der Hausherr selbst zusammengestellt, erklärt Abdullah, ein Cousin. Traditionelle Beduinen-Gerichte: viel Lamm, gekocht, gegrillt, in Soße. Dazu Berge von Reis. Manche Männer lassen das Besteck beiseite und formen mit der rechten Hand einen Reisball, tunken ihn in die Soße und führen ihn dann zum Mund. Man redet über die Familie. Abdullah klagt, er müsse nach dem Essen mit seinen drei Kindern ins Tierheim. Er habe ihnen einen Hund versprochen. Nasser warnt: "Abdullah, du musst aufpassen, was du ihnen versprichst. Erst wollen sie einen Hund, dann ein Fahrrad, später ein Auto." Alle lachen. Dann gibt es Kaffee mit Kardamom in kleinen Tassen, und der Imam singt ein Gebet. Es ist Nachmittag geworden. Man geht auseinander. Bei diesen Treffen werden Familienangelegenheiten geregelt,Verträge und Allianzen geschlossen. So haben es die Beduinen immer getan. Und die Gesetze des Familienverbands gelten auch im dritten Jahrtausend.
Ali saß die ganz Zeit am Rand der Tafel und spielte mit seinem Handy. Er ist Anfang 20, und jeden Freitag lässt er dieses Familienbankett bei seinem Onkel über sich ergehen. Er könnte längst mit seinen Freunden beim Shopping sein oder im Kino. Aber Ali sagt: "Es ist gut für die Familie, wenn ich hier bin. Es ist wichtig, den Alten zuzuhören, um zu lernen." Dann zeigt er Fotos vom Jet-Ski-Fahren auf dem Tegernsee. Er hat sie auf dem Handy gespeichert. Ali erzählt von seinem Studium. Informatik im zweiten Semester. Eigentlich habe er Marketing studieren wollen, wie es gerade alle tun. Aber sein Vater war für Informatik. "Er hatte recht", sagt er.
Ali geht hinaus. Steigt in den cremefarbenen Mini, der innen mit Wurzelholz verziert ist. Sein erstes Auto, sagt Ali, lässt den Motor aufheulen und steigt wieder aus. Der Motor müsse erst warmlaufen. Warmlaufen? Bei 25 Grad Außentemperatur? Ali nickt. Das Auto soll ja eine Weile halten. Erst wenn er mal im Computerbusiness erfolgreich sei, könne er sich ein größeres leisten. Dann gibt er Gas. Junge Männer wie Ali trifft man in den Einkaufszentren. In strahlendweißen Dischdaschas stolzieren sie an den Gucci-Boutiquen vorbei, die rot karierten Tücher um den Kopf geschlungen, das Handy am Ohr und die Nase weit oben. Das karge Leben im Beduinenzelt kennt diese Generation nur aus den Erzählungen ihrer Eltern.
Die Kinder sind im scheinbar grenzenlosen Reichtum groß geworden, sie mussten sich nie anstrengen. Auf ihren Visitenkarten steht irgendwas von "Sales and Marketing", aber ob sie jemals wirklich arbeiten müssen, ist offen. Denn das Öl sprudelt noch, und die Herrscher sorgen für ihr Volk. Auch ohne Arbeit reicht die Staatsrente für eine Villa, ein bisschen Land und den klimatisierten Geländewagen. Die Frührentner treffen sich im British Club, einer Ferienanlage mit Tennisplätzen und Billardsaal mitten im Industriegebiet. An den Tischen sitzen Araber. In den Sitzecken lümmeln ein paar Engländer und schauen Premier League. Es riecht nach Bier. Der Mann mit dem wettergegerbten Gesicht heißt Raschid. Er isst von einem Teller Pommes Frites. "Raschid ist ein guter Kerl", sagen die Jüngeren mit Respekt und bestellen noch ein Bier. Nicht nur, weil er sie immer noch schlägt beim Dartspiel. Nein, Raschid ist einer vom alten Schlag. Er hat nie lesen und schreiben gelernt, aber er weiß, wie man einen Falken für die Jagd ausbildet. "Du musst sie wild fangen", sagt Raschid. "Die aus dem Brutkasten taugen nichts."
Den größten Teil seines Lebens war Raschid hauptberuflich "Gefolge". Er reiste mit der Herrscherfamilie durch die Welt. Auch in Köln und Berlin ist er gewesen. "Nice places", sagt Raschid in stockendem Englisch, auch wenn er meist nicht mehr als Hotels und Flughäfen gesehen hat. Der Scheich ist tot, jetzt sitzt Raschid jeden Tag im Club, spielt Dart und erinnert sich an die Zeit vor dem Öl. Damals, als er mit seinem Vater nach Perlen tauchte. "Wenn ich heute in die Stadt fahre, kenne ich mich gar nicht mehr aus", sagt Raschid. Im Hintergrund flimmern die aktuellen Börsenkurse von Bloomberg TV über den Plasmabildschirm. Mohammed ist an den Tisch gekommen und pflichtet bei: "Wir können uns heute alles kaufen, aber wir haben unsere Seele verloren." Der Satz kommt an in der Runde. Dabei scheint Mohammed ganz gut zurechtzukommen. Er ist um die 50, trägt eine elegante cremefarbene Dischdascha, Krokodillederslipper, eine große Uhr am Handgelenk.
Mohammed erzählt, er sei Presseattaché an der Botschaft in Moskau gewesen: "Ich kam mit Jelzin und ging mit Jelzin." Jetzt ist er im Ruhestand. Mohammed lacht: "Ich genieße das süße Nichtstun." Eine Aufgabe, die er ernst nimmt. Mohammed hat ein Apartment gemietet, weit weg von seinem Haus und seiner Ehefrau. Dort feiert er sich mit Freunden durch die Nächte. "Das einzige, was ich noch tun kann", sagt er. Dann trinkt er aus. Er muss gehen. Im Apartment warten Freunde und seine russische Freundin. Seine Frau daheim wartet schon lange nicht mehr. Auch Raschid bezahlt. Morgen müsse er verreisen. Jemand aus der Herrscherfamilie macht Urlaub auf Martinique, Raschid soll ihn begleiten. Der Scheich wünscht Gefolge.
Artikel erschienen: Juli 2009
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