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Winternotprogramm: Zu wenig Schlafplätze für Obdachlose

Hamburgs Notunterkünfte sind überlastet: Immer mehr Flüchtlinge und Obdachlose brauchen einen Schlafplatz. Das Winternotprogramm ist das größte aller Zeiten.

Ab Samstag soll in Hamburg niemand mehr auf der Straße schlafen müssen. Vorerst, jedenfalls. Denn dann eröffnet die Stadt ihr jährliches Winternotprogramm, den Erfrierungsschutz für Obdachlose. Knapp 500 Betten werden in früheren Klassenräumen ehemaliger Schulen aufgestellt, etwa 100 Schlafplätze stellen Kirchengemeinden zur Verfügung. Bis Weihnachten sollen noch einmal 250 Plätze in Wohncontainern an der Amsinckstraße folgen. Jeder, der ein Bett sucht, soll im Hamburger Winter eins bekommen. In die Kälte muss er erst wieder morgens um 9 Uhr - dann schließt das Winternotprogramm.

Bundesweit legt Hamburg damit wohl das größte Engagement an den Tag, um Obdachlosen wenigstens im Winter ein Dach über dem Kopf zu bieten. Manche Großstädte öffnen im Winter nachts lediglich U-Bahnstationen für die Schutzsuchenden, oft müssen sich die Obdachlosen mit einer Isomatte als Unterlage zufriedengeben. Gerade kleine Kommunen haben meistens gar keinen Erfrierungsschutz im Angebot.

Dabei sind sie eigentlich gesetzlich verpflichtet, die "körperliche Unversehrtheit" der Menschen zu schützen - gerade wenn sie durch den Kältetod bedroht ist. Seit 1991 sind in Deutschland mindestens 278 Obdachlose erfroren, hat die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe gezählt.

Viele Unterkunftsbewohner hätten Anrecht auf eine Wohnung

Mit insgesamt 850 Plätzen ist das Hamburger Winternotprogramm das größte, das es je gab. 2007 waren es noch 201 Plätze, seitdem wurden es kontinuierlich mehr. Das ist auch notwendig, denn es gibt immer mehr Obdachlose in der Hansestadt. Davon gehen jedenfalls Experten aus: Bei der letzten offiziellen Zählung 2009 waren es 1.029 Menschen, die auf Hamburgs Straßen lebten. Inzwischen könnten es über 2.000 sein. Bundesweit gehen Sozialverbände von mehr als 284.000 Menschen aus, die auf der Straße leben. Tendenz steigend: Die explodierenden Mietpreise in den Großstädten werden für immer mehr Menschen zum existenziellen Problem.

Eigentlich wäre es die Aufgabe der Stadt, diese Menschen mit Wohnraum zu versorgen. Und das ist auch ihr Anspruch: "Wir verknüpfen das Winternotprogramm mit einem Beratungsangebot, das die Alternativen zur Obdachlosigkeit aufzeigen und obdachlosen Menschen den Zugang zum Hilfesystem weisen soll", sagte Hamburgs Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) zur Eröffnung des jährlichen Programms. Aber kann er wirklich helfen?

Wer sich in Hamburg an die Behörden wendet, um einen Platz in einer Gemeinschaftsunterkunft für Wohnungslose zu erhalten, wird häufig vertröstet. Das System der öffentlichen Unterbringung für Wohnungslose und Flüchtlinge ist völlig überlastet. Das Hamburger Straßenmagazin Hinz&Kunzt hat das aktuell recherchiert (unter Beteiligung des Autors dieses Textes): Fast 40 Prozent der 12.809 Unterkunftsbewohner hätten eigentlich ein Anrecht auf eine eigene Wohnung und könnten Platz für andere Bedürftige machen. Allein: Sie finden keine, die sie sich leisten können. In den Unterkünften herrscht deswegen Stau.

"Wir finden keine Unterkunftsplätze für Obdachlose", sagt Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer in der Multimedia-Reportage. "Von einer Wohnung will ich gar nicht sprechen." Die Situation sei "so schlimm, wie noch nie". Angespannt war die Lage bereits, bevor die Asylbewerberzahlen wieder anstiegen. Jetzt, wo monatlich mehr als 500 Schutzsuchende nach Hamburg kommen, ist sie dramatisch. Denn auch diese Menschen brauchen dringend eine Unterkunft.

Sozialsenator Scheele räumt die schwierige Situation ein. "Wir stehen mit dem Rücken an der Wand", sagte er schon im Frühjahr der Süddeutschen Zeitung. "Alles, was wir zurzeit an Unterbringungskapazitäten schaffen, schaffen wir, um Flüchtlingen Obdach zu geben", sagte er nun uns in die Kamera. "Wohnungslose bleiben ein bisschen auf der Strecke." Die Stadt schafft es einfach nicht, allen zu helfen. Für Dirk Hauer, Fachbereichsleiter Armut und Migration bei der Diakonie, ist das "ein ganz falsches Signal". Er sagt: "Obdachlose und Flüchtlinge haben die gleichen Rechte." Die Sozialbehörde bestätigte das auf unsere Nachfrage auch.

Die Anstrengungen der Behörden sind groß, um neue Unterkunftsplätze zu schaffen. Seit September setzen sie das sogenannte Polizeirecht bei der Errichtung neuer Unterkünfte ein. Damit umgehen sie langwierige Genehmigungsverfahren. Doch solange die Bewohner der bestehenden Einrichtungen nicht in den normalen Wohnungsmarkt integriert werden können, wird sich die Situation nicht entspannen.

Der Trend geht in eine andere Richtung: 2010 übernahmen Vermieter noch 1.858 Menschen aus den öffentlichen Unterkünften in ihre Wohnungen – 2013 waren es nur noch 1.518. Im Sommer hat der Sozialsenator das städtische Wohnungsbauunternehmen Saga/GWG gebeten, 300 wohnungslose Familien in reguläre Wohnungen zu übernehmen. Bislang hat das Unternehmen ihnen nur 24 Wohnungen angeboten.

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