Der Prozess um den rechtsterroristischen Anschlag in Halle ist zu Ende. Der Attentäter wurde wegen Mordes in zwei Fällen und versuchten Mordes in 66 Fällen zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Vor Gericht kamen auch die 43 Nebenklägerinnen und -kläger zu Wort. Mit dem Urteil sind sie nicht zufrieden.
Christina Feist, Überlebende des Anschlags von Halle:
"Ich meine, einerseits hat der Täter jetzt natürlich eine lebenslange Freiheitsstrafe bekommen, das war ja in gewisser Form auch schon abzusehen und zu erwarten. Das ist auch gut so. Das ist richtig so. Gleichzeitig wird meine Erleichterung und meine Freude ganz einfach überschattet, weil ich mir tatsächlich gewünscht habe, sowie die betroffenen Nebenkläger auch, dass İsmet Tekin und Aftax Ibrahim auch als Betroffene eines versuchten Mordes anerkannt werden. Und diese Anerkennung fehlt und das bricht mir das Herz, das verletzt mich, das tut weh und somit kann und will ich mich auch nicht über dieses Urteil freuen."
Nach dem Anschlag auf die Synagoge hatte der Attentäter unter anderem versucht, İsmet Tekin und Aftax Ibrahim zu töten. Die Nebenkläger hatten gefordert, den Versuch als rassistisch motivierte, versuchte Morde zu werten. Dieser Forderung kam das Gericht nicht nach - für viele eine verpasste Chance.
Christina Feist, Überlebende des Anschlags von Halle:
"Ich kann es nur aus meiner Perspektive sagen. Wir haben sowohl Ismet als auch Aftax in diesen Gerichtssaal gehört. Wir haben die Zeugenaussagen der beiden gehört. Wir haben auch gehört, wie ihr Leben nach wie vor von diesen traumatischen Erlebnissen beeinflusst und vor allem auch beeinträchtigt ist. Und was mir dabei einfach wehtut, ist, dass das anscheinend nicht ausreichend ins Gewicht zu fallen scheint und dass anscheinend auch die juristischen Grundlagen zumindest aus Sicht des Senats dann nicht ausreichen, um diesen beiden Menschen auch die Anerkennung ihres Traumas, ihres Schmerzes und vor allem auch ihres Engagements zu gönnen und zu geben."
"Es haben dann auch die Auftritte der geladenen Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen sowie der Zeugen und Zeugenden des BKA, das für die Ermittlungen des Attentats im Nachhinein zuständig war, dafür gesorgt, dass ich ... also ich weiß gar nicht mehr ... Nicht vorhandenes Vertrauen kann man dann auch schon nicht mehr enttäuschen und auch nicht mehr verlieren. Aber das war nochmal Salz in die Wunde und es hat es nochmal schlimmer gemacht für mich, weil diese Menschen da angekommen sind im Gerichtssaal und es war anhand der Körpersprache schon abzulesen, dass die keine Lust haben, da zu sein, nicht mit uns sprechen wollen, keinen Kooperationswillen haben."
"Es ging um das größere Ganze, weil ja der Täter auch kein sogenannter Einzeltäter ist. Er ist Teil eines Netzwerks und Symptom eines tief sitzenden Problems, das in die Öffentlichkeit getragen wurde. Und somit ging es in diesen Prozess auch von der ersten Sekunde an immer schon um das größere Ganze. Und das größere Ganze ist ein tief verankerter Antisemitismus, Rassismus und demokratiegefährdende rechte Ideologien, die in der deutschen Gesellschaft so tief drinsitzen. Und aus irgendeinem Grund spricht niemand darüber. Die meisten Menschen wollen und können das nicht wahrhaben."
"Ich bin immer noch entsetzt davon, dass Zivilcourage in Deutschland ein Fremdwort zu sein scheint. Ich bin immer noch entsetzt davon, dass es nach wie vor Menschen gibt, die danebenstehen, wenn andere Menschen angegriffen werden, körperlich oder auch verbal beschimpft werden, die nicht eingreifen und die nichts tun. Mir ist nicht klar, woran es scheitert. Und wenn es um Solidarität geht, dann ist das etwas, was wir alle brauchen. Das ist keine Bitte von sogenannten Minderheiten an die Gesamtgesellschaft, sondern Solidarität braucht jeder Mensch. Und wenn wir als offene Gesellschaft und als Demokratie stehenbleiben wollen und diese Demokratie auch nicht gefährden wollen, dann müssen wir solidarisch werden mit allen anderen. Wir können nicht immer nur für uns selbst einstehen. Wir müssen uns mit anderen verbünden. Wir müssen mit den Menschen reden und nicht über sie. Und wir dürfen einander nicht mehr alleine lassen."