Es wird so viel gebaut wie seit 20 Jahren nicht, doch die Kaufpreise steigen weiter. Sollte man sich Sorgen um den Wohnungsmarkt machen?
Wer vor ein paar Jahren eine Immobilie in einer Großstadt gekauft hat, hat ein gutes Geschäft gemacht: Seit 2010 steigen die Preise in den Ballungsgebieten kräftig - auch im vergangenen Jahr "ungemindert", wie das Beratungsunternehmen Empirica berichtet. Der Boom birgt Gefahren. Entsteht in Deutschland gerade eine Immobilienblase?
Empirica zufolge wurden Eigentumswohnungen Ende 2016 im bundesweiten Schnitt zu 8,5 Prozent höheren Preisen angeboten als ein Jahr zuvor. Neubau-Wohnungen haben sich etwa in Hamburg und Düsseldorf um elf Prozent verteuert. Und die Preise für Ein- und Zweifamilienhäuser sind im Schnitt um 7,4 Prozent gestiegen.
Auch in Berlin geb es ein überdurchschnittliches Plus, allerdings gehört die Hauptstadt immer noch nicht zu den teuersten Städten Deutschlands. Die Marktforscher haben mehr als zwei Millionen Immobilien-Inserate im Internet und in Zeitungen ausgewertet.
Die Auftragsbücher
vieler Baufirmen sind voll
Es sind vor allem die niedrigen Zinsen, die Baukredite günstig und
Immobilien als Geldanlage attraktiv machen. Zudem sind in den vergangenen
Jahren mehr Menschen in die Städte gezogen, als erwartet wurde. Entsprechend
zuversichtlich blickt die Baubranche auf 2017: Sie erwartet im laufenden Jahr
den höchsten Umsatz seit 20 Jahren. Die Auftragsbücher vieler Baufirmen sind
voll.
Der Boom auf den Baustellen stärkt das Wachstum der gesamten Wirtschaft. Doch lehrt die Vergangenheit, dass eine zu große Euphorie auf dem Immobilienmarkt zu großen Krisen führen kann. In den USA etwa vergaben die Banken nach der Jahrtausendwende immer mehr Kredite an Hausbauer. Viele Familien kauften in der Hoffnung, dass die Preise weiter steigen würden.
Doch als die ersten Hausbesitzer ihre Kredite nicht mehr bedienen konnten und viele Häuser zwangsversteigert werden mussten, brachen die Preise ein - die vielen Kredite waren plötzlich nichts mehr wert. Das war der Auslöser der Finanzkrise nach 2007.
Finanzaufsicht soll
im Ernstfall durchgreifen
Entsprechend aufmerksam beobachtet der Staat den Immobilienmarkt. Kurz vor
Weihnachten hat das Bundeskabinett beschlossen, dass die Finanzaufsicht den
Banken künftig Obergrenzen für die Vergabe von Baukrediten vorschreiben kann.
Die Bafin soll die strengeren Regeln aber erst beschließen, wenn wirklich eine
Spekulationsblase droht. Doch: Wann ist das der Fall?
Der Vergleich mit geplatzten Blasen in Spanien oder den USA zeigt: Kaufpreise müssen sehr schnell steigen, Banken müssen viele Kredite vergeben, und es muss sehr viel gebaut werden. Tatsächlich gehen alle Zahlen in Deutschland kräftig nach oben. Empirica zufolge werden Ein- und Zweifamilienhäuser heute 31 Prozent teurer angeboten als noch 2011. Bei Eigentumswohnungen beträgt der Preisanstieg 43 Prozent, weil sie auch für internationale Anleger interessant sind.
Manch Preisaufschlag
ist rational nicht zu begründen
Wer heute in den Ballungsräumen eine Immobilie kaufen will, muss sich
schneller entscheiden als früher. Manche Käufer hätten Angst, nicht mehr zum
Zug zu kommen, beobachtet Claus Michelsen vom Deutschen Institut für
Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. "Weil das Angebot immer dünner wird,
sind einige Käufer bereit, einen Aufschlag zu zahlen, der rational nicht mehr
zu begründen ist."
Längst steigen die Kaufpreise schneller als die durchschnittlichen Einkommen und Mieten. Das ist ungewöhnlich; schließlich bestimmt das Mietniveau, wie viel Geld man mit einer Immobilie verdienen kann. Michelsen beobachtet diese Entkopplung vor allem in den Ballungsgebieten. "Wenn das so weitergeht, entfernen sich die Kaufpreise weiter vom substanziellen Wert der Immobilien."
"Für deutsche Verhältnisse
wächst der Markt zurzeit relativ stark"
Noch lässt sich diese Entkopplung mit den niedrigen Zinsen erklären:
"Dank ihnen können viele Käufer zurzeit die hohen Preise stemmen",
sagt Michelsen. Doch sind die Zinsen immer nur für zehn, 15 oder 20 Jahre
festgeschrieben. Kein Schuldner weiß, wie hoch sie sein werden, wenn die
Zinsbindung ausläuft. "Wer seine Finanzierung richtig auf Kante genäht
hat, könnte dann Probleme bekommen", sagt der Ökonom.
Das gilt auch für die Banken in Deutschland. Baukredite sind der größte Posten in ihren Bilanzen: Mehr als eine Billion Euro haben sie an Immobilienkäufer verliehen - knapp vier Prozent mehr als vor einem Jahr. "Für deutsche Verhältnisse wächst der Markt zurzeit relativ stark", sagt Peter Barkow, Chef der Düsseldorfer Beratungsfirma Barkow Consulting.
Niemand weiß genau,
wie viele Käufer knapp kalkuliert haben
Allerdings sei die Kreditvergabe etwa einst in Spanien oder in den USA viel
ausufernder gewesen, sagt Barkow. "Hierzulande tilgen die Menschen ihre
Schulden schneller und vereinbaren relativ lange Laufzeiten." Auswertungen
von Kreditvermittlern zeigen zudem, dass Schuldner im Schnitt gut 20 Prozent
des Kaufpreises als Eigenkapital mitbringen. Der durchschnittliche Kunde
finanziert also vernünftig.
Doch weiß niemand genau, wie viele Käufer knapp kalkuliert haben. Anders als in anderen Ländern gibt es in Deutschland bislang kein Register aller Baufinanzierungen. Entsprechende Pläne der Bundesregierung wurden vorerst vertragt; die Banken warnen vor zu viel Bürokratie. "Der Markt ist statistisch nicht richtig erfasst", kritisiert Barkow. Das macht es für die Bafin schwieriger, zu entscheiden, wann ein Eingriff nötig ist.
Gebaut wird immer
noch weniger, als nachgefragt ist
Zumal eine hohe Kreditvergabe der Bauwirtschaft nützt. Von Januar bis
Oktober 2016 wurden 23 Prozent mehr neue Wohnungen genehmigt als im
Vorjahreszeitraum, wie das Statistische Bundesamt meldet. Demnach entstehen vor
allem neue Mehrfamilienhäuser in den Ballungsgebieten. Anders als etwa vor der
Krise in Spanien findet der Boom also zur richtigen Zeit am richtigen Ort
statt.
Die Verbände der Bauwirtschaft erwarten, dass dieses Jahr bundesweit bis zu 320.000 neue Wohnungen fertiggestellt werden. Das wäre zwar mehr als in den vergangenen Jahren, deutet aber noch lange nicht auf einen spekulativen Bau hin. Die Bundesregierung schätzt, dass jährlich etwa 350.000 Wohnungen gebaut werden müssten, um die hohe Nachfrage zu decken.
Rückschlagpotenzial
von 27 Prozent
Deshalb gibt auch DIW-Forscher Michelsen Entwarnung: "Wir sehen
zurzeit keine Spekulationsblase im gesamten Markt." Zumal die Häuserpreise
in vielen ländlichen Regionen überhaupt nicht steigen. In den größten Städten
dagegen könnten die Preise deutlich nachgeben, sobald die Zinsen wieder
steigen, prognostiziert Empirica-Chef Reiner Braun. Er sieht inzwischen ein
Rückschlagpotenzial von 27 Prozent.
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