Der eine bekämpfte den Islam, der andere lebt danach. Und jetzt machen sie zusammen Politik?
Da, wo sich neulich noch ein Abgrund auftat, gibt es heute Streuselkuchen im Pappschälchen. Haluk Yildiz, dem manche eine etwas zu große Nähe zum Islamismus nachsagen, sitzt mit seinen beiden neuen Fraktionskollegen, denen manche eine etwas zu große Nähe zum Rechtspopulismus nachsagen, in Raum 133 des Frankfurter Römers. Es ist Mittwochnachmittag, der Tag vor ihrem ersten gemeinsamen Auftritt im Stadtrat. Sie sprechen über eine Anfrage, die sie stellen wollen: Was plant die Stadtregierung, um den Ponyhof im Stadtteil Ginnheim zu retten? "Immerhin nutzen ihn 70 Kinder und Jugendliche aus der Umgebung", sagt Mathias Mund, der Fraktionsvorsitzende der Kleinpartei BFF - Bürger für Frankfurt. Yildiz ist Gründer der noch kleineren BIG - Bündnis Innovation und Gerechtigkeit. Ein Brückenbauer, so sieht er sich, so war er in Talkshows zu sehen. Er kann sprudeln und gestikulieren, wenn es um die Frage geht, welche Rolle der Islam in Deutschland spielt. Jetzt sitzt er ganz ruhig da, faltet die Hände und nickt. Manchmal führt der Weg in die friedliche Zukunft des Abendlandes eben vorbei an Ponyhöfen.
Am 14. März wurde in Frankfurt ein neues Stadtparlament gewählt. Der große Gewinner waren die Grünen. Wirklich aufsehenerregend aber ist etwas, das im Anschluss passierte. Es geht um zwei Splitterparteien, die nur deshalb in den Römer eingezogen sind, weil in Frankfurt keine Fünfprozenthürde existiert: einerseits Yildiz' BIG-Partei, die sich für ein Ausländerwahlrecht einsetzt und dafür, dass Menschen mit Migrationshintergrund ihre kulturelle Identität behalten. Andererseits die erzkonservativen, manche sagen eben: rechtspopulistischen, "Bürger für Frankfurt", deren Chef Mathias Mund als Islamkritiker bekannt wurde. Ausgerechnet diese beiden arbeiten jetzt zusammen.
Neun Wochen nach der Wahl, ein Gewerbegebiet in der Wiesbadener Peripherie. In Nachbarschaft zu einem Halal-Supermarkt und einer Fleischfabrik steht ein graues Bürogebäude. Auf den Briefkästen gelistet sind Unternehmensberater oder Speditionsunternehmen - fast übersieht man den kleinen Aufkleber mit dem Schriftzug "BIG Partei". Hier ist die Bundeszentrale der einzigen Migrantenpartei Deutschlands.
"Salam alaikum!", ruft Haluk Yildiz, als er die Bürotür öffnet. Dann schreitet er in Richtung Konferenzraum, schenkt Wasser ein und setzt sich. An der Wand der Schriftzug "Think Big". "Hier entsteht gerade etwas Historisches", sagt Yildiz. Es sei eine Verbindung, die es in der Geschichte des Landes noch nie gegeben habe, mit ihm als Baumeister.
Für einen Brückenbauer hält sich Yildiz seit dem 11. September 2001: Damals schrieb er gerade seine Promotion (Das Modell eines alternativen Wirtschaftssystems auf Grundlage des auch im Islam gültigen Zinsverbotes), als er im Fernsehen sah, wie die beiden Flugzeuge in die Twin Towers stürzten. Am nächsten Tag fragte ihn eine Nachbarin im Hausflur: "Bist du Islamist? Du gehst doch freitags immer in die Moschee." Sie habe das nicht rassistisch gemeint, bloß keine Ahnung gehabt, sagt Yildiz. "Da wurde mir klar: Ich muss vermitteln." Er brach seine Promotion ab und gründete den Rat der Muslime in Bonn, später die BIG Partei. Der Mehrheitsgesellschaft erklären, wie Einwanderer denken - muslimisch oder nicht: Das sei seine Mission, sagt Yildiz. Viele halten ihn trotzdem für einen Apologeten der Scharia.
Wie passen die Bürger für Frankfurt da hinein?
Natürlich hat das alles erst einmal praktische Gründe. Nur eine Fraktion hat im Frankfurter Rathaus das Recht, Anträge zu stellen oder die Stadtregierung zu befragen. Und dafür braucht es mindestens drei Abgeordnete. Die Bürger für Frankfurt sind mit Mathias Mund und Ingeborg Leineweber zu zweit, erst mit Yildiz macht das also eine Fraktion - und bis zu 200.000 Euro jährlich. So viel kriegt der rechts-islamische Zweckbund von der Stadt für die Gehälter der Angestellten, Büro- und Marketingausgaben. Medien mutmaßten, es sei beiden Parteien nur um das Geld gegangen. Ist es wirklich so einfach?
Yildiz erzählt es anders. Zwei Wochen sind seit der Wahl vergangen, als eines Sonntagabends ein befreundeter SPD-Politiker bei ihm anruft. Sein Freund Seyed Shahram Iranbomy sei gerade bei ihm, sie hätten sich Spaghetti gekocht - ob er den Hörer weitergeben dürfe? Yildiz stimmt zu. Dieser Iranbomy, der jetzt am Telefon spricht, ist selbst jemand, der zwischen den Stühlen sitzt: Mitglied bei den Bürgern für Frankfurt; doch als Anwalt erstritt er 2018 das Recht einer Afghanin, bei der Arbeit Kopftuch zu tragen. Eine halbe Stunde sprechen die beiden Männer. Iranbomy fragt Yildiz, ob er seinen Parteichef Mathias Mund treffen möchte. Die Bürger für Frankfurt seien an einer Zusammenarbeit interessiert.
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