Benedict Witzenberger

Datenjournalist, M.A. Politik, Unterföhring

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Hände sprechen Bände

Daniel Rose aus Feldkirchen ist Gebärdensprachdolmetscher

Lokalberichterstattung für den Münchner Merkur - Landkreis München


Feldkirchen - Daniel Rose (35) aus Feldkirchen arbeitet mit Händen, Kopf und Körper. Allerdings baut er nichts mit ihnen, er schreibt nichts, sondern er zeichnet in die Luft. Verschiedene Bewegungen, verschiedene Gesten, auch bekannt als Gebärden. Gehörlose Menschen sind in vielen Situationen auf Menschen wie ihn angewiesen.

Daniel Rose ist einer von rund 350 Gebärdensprachdolmetschern in Deutschland. Er sieht sich als neutraler Vermittler in einem Gespräch zwischen einem Gehörlosen und einem Menschen, der keine Gebärdensprache versteht. „Gehörlose Menschen können alles, außer hören", sagt Daniel Rose. Es gebe inzwischen gehörlose Professoren, Anwälte und Psychologen, „vor 15 Jahren undenkbar".


Sprachrohr


Rund 80 000 Menschen in Deutschland nutzen die Sprache, mit Hörgeschädigten und Hörenden insgesamt etwa 200 000. Einsatzgebiete für Dolmetscher gibt es viele: Daniel Rose arbeitet beispielsweise für große Firmen, wenn Schulungen anstehen für neue Computerprogramme oder veränderte Abläufe am Fließband. Rose steht dann neben dem Fortbildungsleiter und übersetzt simultan für die Gehörlosen, die neben ihren Kollegen im Raum sitzen. Ab eineinhalb Stunden Dauer wechseln sich zwei Dolmetscher ab, denn der Job ist körperlich und geistig anstrengend, sagt Rose: „Irgendwann kommt sonst Kauderwelsch raus."

Auch bei Gericht, Vorstellungsgesprächen oder Beerdigungen kommen die Dolmetscher zum Einsatz. „Ich habe nicht jeden Tag den gleichen Arbeitsweg, lerne neue Leute kennen und verschiedene Thematiken", freut sich Rose. Bei komplizierteren Themen, wie etwa einem Staatsexamen in Medizin wird es auch für den Dolmetscher schwieriger. „Anhaltspunkt ist dann immer die gehörlose Person", sagt Rose. Mit ihr spricht er wichtige Vokabeln und deren Gebärden ab.

Die Gebärdensprache ist in Deutschland als eigene Sprache anerkannt. Sie wird im Behinderten-Gleichstellungsgesetz von 2002 offiziell erwähnt.


Knappe Gelder


Zusammen mit dem Sozialgesetzbuch leitet sich für Gehörlose daraus auch der Anspruch ab, bei vielen Möglichkeiten einen Dolmetscher bezahlt zu bekommen. In der Realität kann das aber schwierig werden: In Bayern werden die Dolmetscher für Beerdigungen oder Vorstellungsgespräche beispielsweise aus einer Stiftung bezahlt, deren Gelder gegen Jahresmitte regelmäßig ausgeschöpft sind. Dann springt das Integrationsamt ein, das allerdings engere Maßstäbe anlegt. In anderen Bundesländern gibt es etwa das „Gehörlosengeld", einen monatlichen Fixbetrag für solche Ausgaben.

Die Gebärdensprache funktioniert wie das Deutsche auch, sie hat verschiedene Dialekte: Etwa Kölsch, Berlinerisch oder Bairisch. Dort gibt es eine Gebärde für „Schmarrn", oder „ist mir Wurst", bei dem in einer Bewegung mit den Fingern eine Wurst angedeutet wird.

Daniel Rose ist nur durch einen Zufall Gebärdendolmetscher geworden, dabei nennt er die Sprache selbst seine „Muttersprache". Denn er ist einer der sogenannten CODAs - die Kinder von gehörlosen Erwachsenen (englisch für „Children Of Deaf Adults"). Seine Eltern waren beide gehörlos, nur durch seine Großeltern lernte er erst spät gesprochenes Deutsch. Viele CODAs im Alter von Daniel Rose mussten zuhause viel für ihre Eltern übersetzen, als es noch keine Dolmetscher gab. Nur wenige von ihnen machten es später zum Beruf.

Für Daniel Rose allerdings war das die Chance nicht in den Krieg ziehen zu müssen. Er war 2001 bei der Bundeswehr und konnte dank des Gebärdendolmetschens eine Ausbildung nachweisen, die die Truppe nicht anbietet. Damit wurde er entlassen, studierte berufsbegleitend in Frankfurt und arbeitete währenddessen schon als Dolmetscher. Seit sieben Jahren wohnt er mit seiner Frau in Feldkirchen, durch Zufall, denn die Wohnung war die letzte auf ihrer Besichtigungsliste. Inzwischen hat das Paar eine einjährige Tochter. Gerade in München gibt es nur sehr wenige Gebärdendolmetscher, die Lebenshaltungskosten sind zu hoch.


Staatliche Prüfung


Den ersten Gebärdenkurs in Deutschland gab es übrigens schon 1976, wirkliche Dolmetscherprüfungen aber erst seit Anfang der 1990er Jahre. In Deutschland läuft die Ausbildung hauptsächlich über Studiengänge, danach folgt eine staatliche Prüfung. Auch beim Fußball braucht es Gebärdendolmetscher, zeigt ein Beispiel: Beim Fernsehsender Sky hat Daniel Rose neulich für einen tauben Lippenleser übersetzt. Zwar können selbst Taube nur 30 Prozent des Gesagten von Lippen ablesen, aber je enger das Thema, umso einfacher. Im Bundesligaspiel FC Bayern gegen Borussia Dortmund konnte der Lippenleser ein „Feuer frei auf Subotic" von Pep Guardiola ablesen, das führte letztlich zum Tor für Bayern.


Benedict Witzenberger

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