Benedict Weskott

M.A., Freie:r Journalist:in, Berlin

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Radio-Beitrag

Diversität im Film: Die Berliner „BIPOC Film Society“ packt es selbst an

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„Ich habe halt manchmal das Gefühl, dass Deutschland ein bisschen vergisst, dass wir schon längst ein Einwanderungsland sind, und wir halt einfach komplett die Chance verpassen, uns mehrdimensional darzustellen, weil: Ich finde halt auch: Repräsentation in der fiktiven Welt bedeutet soziale Existenz. Und die Abwesenheit von dieser authentischen Repräsentation ist somit irgendwie eine Art von Gewalt an unserer Identität. Deutschland tut sich halt sehr schwer damit, irgendwelche Risiken einzugehen und eben vor allem neue Stimmen zuzulassen, die eben nicht seit Jahren Teil dieser Industrien waren, die halt eben so exklusiv ist.“

Sagt Maissa Lihedheb von der „BIPOC Film Society“. „BIPoC“ wird als Überbegriff verwendet, die Abkürzung steht für „Black, Indigenous und People of Colour“. Die „BIPOC Film Society“ wurde vor zwei Jahren gegründet, um im deutschen Film mehr Repräsentation und Sichtbarkeit für Menschen zu erreichen, die rassistisch diskriminiert werden. Die größte Hürde stellen Maissa Lihedheb zufolge die Filmhochschulen dar, weil sie ganz am Anfang der Karriere stehen und schon hier der Zugang für Menschen erschwert ist, die nicht den Normen der Mehrheitsgesellschaft entsprechen. Ohne Abschluss oder Kontakte sei es unmöglich, in der Filmindustrie Fuß zu fassen. Deshalb funktioniert die „BIPOC Film Society“ als loses Netzwerk, das ohne institutionellen Rahmen dem Austausch und Zusammenschluss von Schwarzen Filmschaffenden und Filmschaffenden of Colour dient. Laut Lamin Leroy Gibba, der letztes Jahr auch Teil der #ActOut-Kampagne queerer Schauspieler:innen war, braucht es dringend Räume,...

„...in denen Filmschaffende oder auch Filmforscher:innen sich austauschen können, Projekte zusammen starten können, zusammen schreiben, Texte teilen und so weiter. Also ich glaube, dass es mehr und mehr solche Räume geben muss sozusagen für uns, in denen wir auch einfach an unserer Kunst arbeiten können und unserer Ästhetik entwickeln und nicht so viel erklären müssen, was unserer Perspektive ist.“

Selbst wenn in einer Serie oder einem Film eine oder mehrere nicht-weiße Charaktere dabei sind, sitzen am Drehbuch, im Regiestuhl oder hinter der Kamera meistens trotzdem weiße Menschen. Der Kurzfilm „Hundefreund“ soll deshalb auch als Beweis dafür gelten, wie viele BIPOC Filmschaffende es in Deutschland tatsächlich gibt. Maissa Lihedheb führte Regie, Lamin Leroy Gibba schrieb das Drehbuch und spielt den Protagonisten Malik. In dessen Wohnung baut der Kurzfilm über knapp 20 Minuten ein sich stetig steigerndes Kammerspiel zwischen dem Schwarzen Malik und seiner Affäre, dem weißen Philipp, auf.

„Ich weiß, dass ich nie empfinden werden kann, was du empfindest... mit deiner... Hautfarbe. Aber ich will dir zuhören.“ – „Vielen, vielen Dank, aber ich hab da gerade gar nichts zu zu sagen.“ – „Ich kann dir auch von meinem Scheiß erzählen, wenn du willst. Ich werd ja auch diskriminiert.“ – „Weil du schwul bist oder was?“ – „Weil ich im Osten geboren bin?!“

Mit dem Dialog der zwei Männer legt „Hundefreund“ den Finger in die Wunde: Je mehr Philipp seine eigenen Erlebnisse mit Maliks Rassismuserfahrungen vergleicht, desto mehr versucht Malik wiederum, das Gespräch endlich zu beenden.

„Ich kann nicht über Rassismus reden, ohne mir dabei zu wünschen, dass die ganze Welt abfackelt, und das ist mega anstrengend. Deshalb will ich gerade nicht drüber reden.“ – „Ich kenn' das, Malik, das ist Trauma.“ – „Philipp, bitte halt' deine Fresse.“ – „Meine Mutter hat uns verlassen als ich fünf Jahre alt war. Einfach so. Bist du eigentlich in Therapie?“

Der Kurzfilm stellt eine Gesprächsdynamik dar, die Schwarze Menschen und People of Colour in Deutschland aus ihrem Alltag kennen. Um eine bestmögliche Darstellung dieser Erfahrungen zu erreichen, konnten alle am Film Beteiligten Ideen und ihre subjektiven Perspektiven einbringen.

„Deswegen war das auch einer der besten Filmsets, an denen ich je gearbeitet habe, weil es eben so divers war, weil mehrheitlich BIPOC, weil es mehrheitlich queer war, und vor allem weil wir alle leidenschaftlich Filme machen und es für uns eigentlich öfter schwer gemacht wird, eben an Sets überhaupt Fuß zu fassen. Und deswegen war das für mich eine unglaublich schöne Erfahrung.“

Lamin Leroy Gibba wünscht sich, dass solche Erfahrungen mehr zur Normalität in der deutschen Filmindustrie werden.

„Natürlich ist irgendwie das Wichtige für uns, dass BIPOC-Perspektiven zentriert werden in Geschichten und dass unsere Subjektivität auch mal im Kino sein kann und in Serien und in allen anderen Formen von Storytelling, weil es im deutschen Film und Fernsehen und auch Theater einfach sehr unsichtbar ist.“

„Hundefreund“ ist dafür ein erster, sehr sehenswerter Schritt. Der Film wurde gerade zum TriBeca-Filmfestival eingeladen und feiert seine Deutschlandpremiere im Mai beim Berliner Filmfestival XPOSED. Die „BIPOC Film Society“ sei in den zwei Jahren seit Gründung zu einer Anlaufstelle geworden, berichtet Maissa Lihedheb: einerseits für BIPOC Filmemacher:innen, die sich vernetzen wollen, und andererseits für Film-Institutionen, die genau nach diesen Filmemacher:innen suchen. Für solche Anfragen erstellt Lihedheb momentan eine Datenbank – bislang alles ehrenamtlich. Deshalb hat sie die Hoffnung, dass sie für diese wichtige Leistungen bald auch bezahlt wird.

(20.04.2022, Corso, Deutschlandfunk)