Bei „Disco“ sind Earth, Wind & Fire oder das Großraum-EDM-Wunderland um die Ecke naheliegende Assoziationen. An Hiphop denkt dabei vermutlich niemand – was sich aber spätestens jetzt ändern sollte, wo der deutsch-US-amerikanische Rapper und Produzent DiscoCtrl nach mehreren EPs sein Debütalbum Midnight veröffentlicht. Das „Ctrl“ im Namen zeugt noch von DiscoCtrls Crewlove für sein früheres Kollektiv ImageCtrl, dessen erstes und einziges Album Better Living Through Image Ctrl im Oktober 2013 erschien. Solo lässt DiscoCtrl jetzt knapp fünf Jahre später ein Leben zwischen verschiedenen Welten zu Beat und Text werden.
Durch eine Kindheit und Jugend in Austin, Texas und Berlin saugte der Rapper schon früh East-Coast-Hiphop der 90er und die düstere Soundästhetik des Dirty South, G-Funk und Berliner Techno auf. Während der Zeit in den USA erlebte er in seinem Umfeld außerdem den strukturellen Rassismus und Klassismus – insbesondere der Justiz. Seinen Sound prägt das nachhaltig. „Von der Basiseinstellung sind meine Texte nicht unbedingt pessimistisch, aber ich sag mal, sie sind realistisch zumindest“, sagt DiscoCtrl Backspin.
Auf Midnight überwiegen neben den Selbstvertrauensboostern They Know und Saying Beobachtungen und Reflexionen über Alltägliches: Last Friday ist der obligatorische Song über die letzte Session („Blow da kush / Watch it burn ‚till I’m sentimental“), Lies thematisiert enttäuschte Erwartungen, ABK klingt wie ein Dancehall-Track auf Valium und erinnert auch textlich daran („No fucks left for me“). Durch DiscoCtrls unverstellten Blick auf die oft düstere und triste Realität sind die Tracks auf Midnight bei Weitem nicht mehr so gut gelaunt wie noch die ersten Singles Five Fingers und Frida Kahlo. Vielmehr entwerfen der Opener Machaca Orbit, die Interludes Crystal Terrace, Symmetry und Spandau Waste und der Track Sector das dystopische Szenario einer abgeschotteten Sci-Fiction-High-Society á la The Island oder Oryx & Crake.
DiscoCtrls über die Jahre angesammelte Produktionserfahrung macht sich auf Midnight überall bemerkbar. Es war eine Suche nach diesem Sound, den er sich jetzt in Eigenregie auf Albumlänge zurechtlegt. Der harte Bass drängt sich in den Tracks der zweiten Albumhälfte fast schon technoid vor den Synthies in den Vordergrund, die wie Oxycodon-Schleier unter den Skits schweben. Midnight ist eine absolut gelungene Momentaufnahme, die endgültiger Ausgangspunkt für eine nachhaltige Karriere im Hiphop-Business sein dürfte.
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