Von Bastian Benrath, dpa
Es ist eine Rippe. Eine Rippe eines vor 1000 Jahren gestorbenen Mannes, der in Würzburg geboren wurde, in Köln Bischof werden sollte und in Mailand gewaltsam zu Tode kam. Diese Rippe des heiligen Aquilin bringt eine Delegation des Mailänder Erzbistums am Sonntag nach Würzburg - wo sie künftig von Gläubigen verehrt werden soll. Doch was hat ein 1000 Jahre alter Knochen heute noch zu sagen? Ruht die Heiligkeit des Aquilin wirklich in seinen Knochen? Es gibt zwei Antworten darauf, eine theologische und eine weltliche. Erstere geht zurück auf das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung des Johannes.
Die Offenbarung behandelt den Tag des Jüngsten Gerichts, wie der Apostel Johannes ihn voraussah. Es gibt eine Stelle, in der von den christlichen Märtyrern die Rede ist: „Als das Lamm das fünfte Siegel öffnete, sah ich unter dem Altar die Seelen derer, die hingeschlachtet worden waren wegen des Wortes Gottes und wegen des Zeugnisses, das sie abgelegt hatten."
Dompfarrer Jürgen Vorndran, der die Reliquienübergabe aus Mailand organisiert hat, erläutert: „Die Ortsangabe ,unter dem Altar' ist hier sehr wichtig." Denn deshalb liege unter fast jedem Altar einer katholischen Kirche eine Reliquie. Das Wort Reliquie stammt vom lateinischen Verb relinquere ab, was zurücklassen bedeutet. Der Körper ist das, was ein Heiliger auf der Erde zurücklässt - während seine Seele in den Himmel auffährt. Doch Körper und Seele gehören zusammen. Deshalb ist - in der katholischen Vorstellung - auch in den irdischen Gebeinen eines Menschen, der so überzeugt von seinem Glauben war, dass er bereit war, dafür zu sterben, etwas von seiner Heiligkeit enthalten.
Doch was soll es nun bringen, in der Nähe eines solchen Knochens zu sein? Vorndran wechselt zur weltlicheren Erklärung: „Stellen Sie sich vor, Ihre geliebte Großmutter stirbt. Was tun Sie, um sich an sie zu erinnern?" Zum Beispiel ein Bild von ihr betrachten. Oder: ihr Grab besuchen. So gingen gläubige Menschen zu den Gräbern von Heiligen, um diese dort zu spüren. „Wir Menschen suchen Erinnerungsorte", sagt der Theologe. „Das ist urmenschlich." Da Aquilins Grab in Mailand ist, bekommt seine Geburtsstadt ein Stück von ihm - eine Rippe.
„Es ist ein Symbol für das, zu dem man betet", sagt der Kölner Kirchenexperte Manfred Becker-Huberti. „Sie hängen sich ein Kreuz an die Wand, aber sie beten nicht zu dem Kreuz, sondern zu dem, der daran gestorben ist." Auch Dinge, die Heilige berührt haben, werden als Reliquien verehrt - ein Gebetsbuch, ein Umhang oder ein Kamm. Das wiederum ist der säkularen Welt nicht besonders fern: „Denken Sie nur an ein T-Shirt von Michael Jackson: Das bringt Millionen!", sagt Vorndran. Im Prinzip sei das nichts anderes als eine Reliquie - nur eben von einem Pop-„Heiligen".
Doch mit Reliquien wird auch viel Schindluder getrieben. „Es gibt Heilige, von denen gibt es 28 Beine", sagt Becker-Huberti. Wenn jemand seliggesprochen werde - als Vorstufe zur Heiligsprechung - werde deshalb genau geschaut, welche Knochen es von ihm gebe. Der Handel mit Reliquien sei streng verboten. Leider nehme er aber in Europa zu, weil viele Klöster aufgegeben würden. Ihre Reliquien fielen dann manchmal in unlautere Hände.
Die Aquilins-Reliquie erhält das Würzburger Bistum völlig legal. Offizielle des Mailänder Erzbistums öffneten den Sarg und entnahmen der mumifizierten Leiche eine Rippe. Vorndran sah sich den einbalsamierten Körper in Mailand an. Rechts im Hals ist immer noch ein Loch - Beleg seiner Ermordung. Vor der Pfarrkirche St. Peter und Paul in Würzburg, in deren Pfarrei Aquilin wohl geboren wurde, steht eine Statue des Heiligen. Dorthin wird auch seine Rippe kommen.
Die Statue hat allerdings einen Fehler: Der Dolch steckt in der linken Seite seines Halses. „Das ist falsch. Wenn ein rechtshändiger Attentäter ihn von hinten erdolcht hat, ist die Wunde natürlich rechts im Hals." Auch das Altarbild der Kirche zeigt denselben Fehler. Die Künstler der Zeit waren anscheinend keine Kriminalisten.
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