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Psychologie des Reisens

Psychologie des Reisens
Psychologie des Reisens ∗ R.M.F ∗ AlltagspsychologiePsychologie des Reisens ⋆ R.M.F ⋆ Alltagspsychologie
Psychologie des Reisens ⋆ R.M.F ⋆ Alltagspsychologie

Die Menschen verstehen, heißt nicht nur durch ihr Bewusstsein und dessen Äußerungen hindurch ihre vitalen Tendenzen erschauen, es heißt auch ihre Masken und ihre Räusche als solche und in ihnen Äußerungen ihres verborgenen Wesens erkennen.


Tausenderlei Formen des Lebens sind zu verstehen nur als Wille zur Maske und zum Rausch.


An einem Beispiel sei dies illustriert: dem Reisen. Hat man sich eigentlich klar gemacht, warum man reist? Warum in vielen Menschen die Sehnsucht lebt, den Ort, die Umgebung, oft unter großen Mühen und Kosten, zu ändern?


Die Antwort: »Zum Vergnügen« ist nur die halbe Antwort, denn wir wollen ja wissen, worauf dies »Vergnügen« beruht.


Man versteht jene seltsame Neigung nicht, wenn man meint, das neue Land, die neue Umgebung wären das wahre Ziel solcher Unternehmungen. In Wahrheit will man im neuen Land und in der neuen Umgebung sich selber entfliehen, man will MASKE und RAUSCH!


Denn das fremde Land, in dem wir vorübergehend weilen, dessen Städte wir betrachten, in dessen Wäldern wir wandern, auf dessen Berggipfel wir steigen, wird nicht um dieser Dinge selbst willen, sondern des Reflexes auf die Seele willen gesucht.


Wir fühlen uns als andere Menschen, indem wir uns mit neuen Symbolen umgeben. Ja, wir fühlen uns befreit, gelöst vom alten ICH, kurz, berauscht, indem wir fremde Länder durchschweifen.


Erhebung und Rausch sind es, was uns die Ferne, die Überwindung von Zeit und Raum, der Ausblick von steilen Gipfeln über niedriges Land vermitteln sollen.


Es ist bezeichnend, dass gerade solche Völker wie die nordischen das Vergnügungsreisen vor allem betreiben, Engländer und Deutsche voran, in deren Volkscharakter auch eine starke Neigung zum Alkoholrausch, eine Zwiespältigkeit des Wesens steckt, die gerade bei ihren besten Dichtern und Künstlern oft deutlich hervortritt.


Man reist nicht so sehr, um die Welt zu sehen, sondern um das eigene ICH im Anschauen der Welt zu überwinden, man reist vielfach auch, um gesehen zu werden oder zu haben, in der Seele das berauschende Bewusstsein des Genusses nachzittern zu spüren.


Und wie reist man? Ganz deutlich tritt der Rausch-Charakter vor allem in der Sucht nach immer größerer Schnelligkeit heraus. Diese, ursprünglich eine Nutzform, wird Rauschmittel. Man fliegt im Flugzeug, rast im Schnell-Zug oder Automobil durch die Lande, »frisst« Kilometer, aber man sieht nicht mehr die Dinge selbst, die wie Rausch-Visionen vorüberziehen.


Man erlebt nur noch einen abstrakten Abglanz von ihnen, nur noch den Rausch, den man aus ihnen heraus presst, wie die Perser aus tausend Rosen ein Tröpflein Rosenöl.


Man verquickt das Reisen auch mit anderen Rauschmitteln: wer es erleben will, fahre nur einmal auf einem modernen Ozeandampfer mit, in einem dieser schwimmenden Hotelpaläste, die erfüllt sind von Luxus aller Art, von Musik, von Tanz, Flirt und Spiel.


Maske und Rausch ist das Ziel unserer allzu bewusst gewordenen, nicht mehr organisch wachsenden Zivilisation.


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