Ein Gespräch mit dem Leiter der Zeit im Bild-Wissenschaftsredaktion, Günther Mayr, über den Einfluss des Coronavirus auf seine Arbeit, Frauen in der Wissenschaft und das Fliegenfischen.
(Anm. d. Red.: Das Interview fand bereits am 20. April 2020 statt.)Günther Mayr (53 J.) ist seit 2007 Leiter des Wissenschaftsressorts der Zeit im Bild im ORF und besonders in den letzten Wochen durch seine zahlreichen Live-Analysen aufgefallen. Vor seiner Karriere im ORF arbeitete er unter anderem beim Profil. Mayr hat Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und Politikwissenschaft studiert und gestaltet immer wieder Dokumentationen für den ORF, u.a. „Geistesblitze - 650 Jahre Universität Wien".
Sie sind Leiter des Wissenschaftsressorts der Zeit im Bild, wie ist die Arbeit bei Ihnen in der Redaktion im Moment? Genug. Es ist natürlich sehr viel zu tun. Es gibt ja nicht nur mich, der am Bildschirm auftaucht, sondern auch meine Kolleg*innen. Wir sind gar nicht allzu viele, insgesamt sechs oder sieben Leute, nicht einmal alle Vollzeit, aber im Prinzip ist das ungefähr das Team. Momentan gibt es in den ORF-Nachrichten gar keine Ressorts, wir haben das alles aufgelöst, weil wir alle an dem gleichen Thema arbeiten. Wir haben keine Ressortgrenzen mehr, es macht jeder, was er kann. Aber natürlich sind wir quasi die Leading Unit, was dieses Wissenschaftsthema „Corona" betrifft.
Um wie viel, würden Sie sagen, ist jetzt mehr zu tun als vorher? Das hängt jetzt wirklich davon ab, für mich sehr viel. *lacht* Wir sind eigentlich immer relativ gut eingespannt, aber es gibt jetzt sehr viele Sondersendungen. Alle wollen irgendwas von einem. Jetzt bin ich dann gleich wieder beim Sport - ich weiß oft gar nicht mehr, wo ich überall bin. Vom Mehraufwand her kann ich keine Prozentzahl nennen, aber es ist erheblich mehr zu tun. Ich habe auch schon ein Bett im Büro.
Sie sind aber nicht in der isolierten ZiB-Redaktion? Ich bin nicht in der Iso-Zone, also noch nicht, sagen wir's einmal so vorsichtig. Isoliert sind circa 25 Kolleg*innen, unter anderem auch die, die für die Technik zuständig sind. Ich bin quasi außen. Wir haben hier im ORF zwei Studios, die es zusätzlich zum ZiB-Studio gibt, von denen zugeschalten wird. Wobei witzigerweise ein Studio im sechsten Stock ist und eins im Keller. (Anm. d. Red.: Die Isolation der Zeit im Bild-Redaktion wurde am 30. April beendet, zum Zeitpunkt des Interviews war noch ein Teil in Isolation.)
Wann war für Sie der Zeitpunkt, an dem für Sie die Alarmglocken läuteten, dass Corona auch in Österreich so ein großes Thema werden könnte? Vielleicht muss ich da weiter ausholen. Die Alarmglocken haben schon geschrillt, als es nur in China war. Zuerst hat man gesagt: „Eine neue Lungenkrankheit in China, naja." Ich kann mich noch gut an die Redaktionskonferenz erinnern, in der gesagt wurde: „Naja gut, sind einige Menschen gestorben, aber China ist weit weg." Ohne Zynismus, das ist halt so im Journalismus. Aber als wir dann gesehen haben, dass es ein SARS-Virus ist, da haben wir uns gedacht, dass das vielleicht ein bissl blöder werden könnte. Wir kennen SARS schon aus 2003, damals war es relativ knapp, dass es keine größere Geschichte wurde. Daran haben wir uns erinnert und gewusst, das kann jetzt schon etwas größer werden. Als wir dann gesehen haben, wie China zu schwimmen begonnen hat und immer mehr Probleme bekam, war uns klar, das Virus wird wahrscheinlich vor uns auch nicht Halt machen. Aber noch wollten wir's alle nicht wahrhaben. Das war im Februar, Anfang Februar. Wirklich schlimm wurde es dann, als es in Italien aufgeschlagen ist und ab da wussten wir, jetzt können wir uns vorbereiten, weil klar war, dass es keinen Bogen um Österreich machen wird. Als es dann die ersten zwei Fälle in Tirol, ein Pärchen aus Italien, gab, war uns natürlich sofort klar, dass das sicher noch größer und die Sache uns noch länger beschäftigen wird. So ist es dann gekommen, eins nach dem anderen. Und irgendwann findet man nicht mehr aus dem Studio heraus und braucht schon fast einen Meldezettel. *lacht*
Also das Thema wird Sie in der Redaktion sicher noch länger beschäftigen? Ja, davon gehen wir aus. Wobei wir natürlich auch sagen müssen, wir können in der Berichterstattung nicht ewig auf Vollgas fahren. Es wird sich irgendwann einpendeln müssen, wir können ja nicht jeden Tag Sondersendungen machen. Wir können die ZiB nicht endlos verlängern oder bei allen Kanälen durchschalten, so wie wir's jetzt machen. Das wird sich wahrscheinlich irgendwann ändern aber noch, noch sind wir auf Vollgas.
„Da müssen wir selbst immer wieder dazulernen."
Etwas abseits von Corona: Ist die Wissenschaftsredaktion der ZiB nur auf Naturwissenschaften beschränkt? Nein, ist sie nicht. Wir machen auch Geisteswissenschaften, das ist mir selbst sehr wichtig. Wir nehmen zum Beispiel auch die Politikwissenschaften dazu, mit meinem Pendant, dem Herrn Filzmaier - manche zählen ja schon, wer von uns beiden mehr Auftritte hat. Und gerade jetzt, wo auch immer wieder die Berichterstattung hinterfragt wird, haben wir natürlich auch Menschen, die sich damit beschäftigen, wie Medien damit umgehen. Auch aus der Publizistik - Fritz Hausjell ist ja auch immer wieder bei uns zu Gast. Wir versuchen auch dahinter zu blicken und diese Komponente abzudecken. Was tun denn die Medien und wie gehen sie damit um? Da müssen wir selbst natürlich auch immer wieder dazulernen, weil wir sowas auch noch nicht gehabt haben - eine Pandemie... Tja, da müssen wir alle neue Felder beackern, die wir zum Teil auch noch nicht kennen. Aber zurück zum Thema: Es geht bis zur Germanistik, wir hatten auch schon alte Handschriften, die gefunden wurden und ganz neue Erkenntnisse gebracht haben. Wir versuchen auch diese Dinge zu behandeln, weil natürlich die Gefahr besteht, dass man sehr naturwissenschaftslastig wird, weil das besser herzuzeigen ist, weil das schönere Bilder gibt - wobei das bei den Handschriften wiederum nicht stimmt. Aber irgendwelche Versuche sind eben besser im Fernsehen herzuzeigen und für die Menschen anschaulicher und nachvollziehbarer. Natürlich fragen sich die Zuschauer*innen auch immer wieder einmal: „Für wos brauch I des?" Da versuchen wir dagegenzuhalten und zu zeigen, dass die Grundlagenforschung und die Geisteswissenschaften genauso wichtig sind. Es gibt zwei Dinge in der Wissenschaft, die wir nicht vernachlässigen, sondern fördern wollen. Das Eine ist eben nicht nur Naturwissenschaften zu zeigen und das Zweite ist, Frauen sehr stark zu forcieren und zu fördern, die in der Wissenschaft eine große Rolle spielen, aber oft unterrepräsentiert waren. Das versuchen wir sehr stark. Deswegen bin ich froh, dass Sie ein Interview mit mir machen.
Ist das für Sie auch das, was guten Wissenschaftsjournalismus ausmacht? Dass man den Leuten vermittelt, was für eine Bedeutung eine neu gefundene Handschrift für sie hat? Ja, genau. Es geht immer darum zu sagen, das ist alles nicht umsonst. Wir sehen auch an den Reaktionen, dass es dann sehr gerne gesehen und angenommen wird. Es ist ja doch interessant, was ein Mönch vor 700 Jahren geschrieben hat. Eine Mischform sehen wir in der Archäologie, wo wir natürlich immer wieder technische Themen haben wie Prospektion oder Radar, aber auch viele Funde, die etwas über die Gesellschaft von früher aussagen. Darüber kann man natürlich auch Geschichten erzählen, Storytelling ist hier sicher ein ganz wichtiger Punkt. Aber der grundsätzliche Zugang ist sehr wohl: Ja, wir wollen Ihnen zeigen, dass es auch andere Themen gibt, die für uns alle relevant sind. Wenn wir jetzt beim aktuellen Thema wären, wie sind die Menschen damals mit der Pest umgegangen? Das kann man nur alten Dokumenten entnehmen. Da zeigt es sich auch, wie wichtig es ist, dieses Fach zu betreuen.
Glauben Sie, dass diese größere Rolle von Wissenschaftsjournalismus in der Öffentlichkeit auch nach dem Virus anhalten wird? Wir versuchen auf jeden Fall, diesen Schwung mitzunehmen. Man hat jetzt auch erkannt, wie wichtig Fachressorts sind. Wir sehen das jeden Tag, wir wissen einfach, worum es geht. Ich glaube, diese Position, die auch ich jetzt habe, hat viel damit zu tun, dass wir uns über Jahre intern im ORF den Ruf erworben haben, dass wir zu gewissen Dingen einfach mehr wissen. Weil wir mehr Kontakte haben, weil wir wissen, wie Studien zustande kommen, weil wir wissen, wie Dinge zu bewerten sind und nicht auf jede Sensationsmeldung sofort „Hurra" schreien oder sie nicht einzuordnen wissen. Das ist in Zeiten wie diesen extrem wichtig, viele Medien sehen jetzt auch, wie wichtig es ist, solche Ressorts zu haben. Zum Glück hat der ORF immer schon darauf gesetzt und das auch nie in Frage gestellt. Ganz im Gegenteil, schon vor Corona hat es ein deutliches Bekenntnis der Geschäftsführung zu den Fachressorts gegeben. Vor allem im trimedialen Bereich, wo wir Radio, Online und Fernsehen immer mehr zusammenführen. Dabei sind Fachressorts besonders wichtig, die sich gegenseitig unterstützen und Input liefern.
Sie haben auch schon in anderen Bereichen als im Wissenschaftsjournalismus gearbeitet. Was hat Sie dazu bewegt, dorthin zu gehen? Die meisten Journalist*innen beginnen ja im Chronik-Ressort, wo man einmal „Moped gegen Zuckerrübe" macht. Auch ich. Das ist auch eine sehr gute Schule - Lokaljournalismus und Chronik, da lernt man die Basics dieses Berufs. Ich war Lokaljournalist in Kärnten, dann wurde das Lokale doch ein bisschen zu lokal. Ich habe dann begonnen für das Profil zu schreiben. Die haben mich aber ins Innenpolitik-Ressort gestopft, würde ich jetzt einmal sagen. Das hat mir gar nicht gefallen. Ich denke, dass Journalismus in der Innenpolitik sehr schwierig ist, ich habe mich zwar nicht vor den Schwierigkeiten gedrückt, aber das war damals die Zeit, in der sehr viel rund um Haider [ Jörg Haider, Anm.] berichtet wurde, da gab es sehr viel Konfliktpotenzial. Ich habe mich deshalb nicht wirklich wohl gefühlt und bin nach einem Jahr nach Irland gegangen, um mich selbst zu fragen, ob ich überhaupt Journalist werden will. Ob das das Richtige für mich ist oder bleiben wird. Ich habe dann einige Monate in Irland gelebt und dann gehört, dass im ORF Leute für ein Wissenschaftsmagazin, „Modern Times", gesucht werden. Das wollte ich dann auch einmal probieren. Dass ich Journalist werden will, habe ich in Irland wieder für mich entscheiden, noch einmal entschieden sozusagen. Dann bin ich also wieder beim ORF gelandet. Über das Studium, über die Publizistik, bin ich es gewohnt gewesen, wissenschaftlich zu arbeiten und habe gewusst, was Wissenschaft leisten kann. Für mich war das immer ein wichtiger theoretischer Hintergrund, auch bis heute. Nur die Theorie ist auch zu wenig, aber die Mischform ist ideal. „Modern Times" war - und da sind wir beim Thema - sehr naturwissenschaftslastig. Aber wir haben auch schon dort erkannt, dass wir breiter werden müssen und nicht nur über den neuesten Brückenbau oder die Erdbebenforschung berichten sollten. Es ist nicht immer leicht gewesen, das zu transportieren, aber wir haben es trotzdem immer wieder versucht und mittlerweile geht's immer besser.
Sie haben in Wien Publizistik studiert? Genau. Und Politikwissenschaft, genau wie viele, diese klassische Kombination. Den Hausjell Fritz kennen Sie wahrscheinlich auch noch? [ Interviewerin nickt energisch] Ich war Tutor bei ihm. Meine Abschlussarbeit habe ich bei Roland Burkart geschrieben.
„Mut zum Anderssein ist, glaube ich, ein gutes Rezept."
Sie haben vorher schon angesprochen, dass Lokaljournalismus eine gute Schule für Journalismus-Interessierte ist. Was würden Sie sonst noch empfehlen? Ich denke, dass die Mischung aus Theorie und Praxis sehr wertvoll ist. Das ist eine ideale Kombination, wenn man zum Beispiel Volontariate macht. So habe ich es zumindest immer in den Ferien gemacht. Man muss es natürlich auch schaffen, überhaupt ein Volontariat zu bekommen. Ich habe selbst null Kontakte gehabt, mein Vater war Maurer und meine Mutter Hausfrau. Ich habe niemanden in der Branche gekannt. Aber ich habe einfach irrwitzige Bewerbungsschreiben durchs Land geschickt, die doch etwas anders, etwas skurril waren. Bei den Bewerbungsgesprächen habe ich immer die gleiche Frage der Chefredakteure gehört, wenn ich hingekommen bin: „Sie wissen warum Sie da sind?" - „Ja, ich habe mich beworben." - „Ja, aber wie sie sich beworben haben, das ist das Interessante." Um aufzufallen, muss man eigene Wege gehen und nicht diese klassischen 08/15-Briefe schreiben. Das ist ein Talent, das man im Normalfall, wenn man Publizistik studiert, mitbringt: Ein bisschen mit der Sprache spielen, ein bisschen andere Wege gehen. Also auffallen, nicht um jeden Preis, aber doch. Das hat sich bei mir jedenfalls ausgezahlt. Und da kann man ruhig den Mut haben, ein bisschen andere Formen zu wählen, eine andere Sprache zu wählen. Also Mut zum Anderssein ist, glaube ich, ein gutes Rezept.
Zum Abschluss noch zu Ihren Isolationshobbies: Was haben Sie in der Isolation bisher gemacht? Ich lese viel und koche auch gern. Ich habe sogar schon Serien geschaut, was ich sonst nie mache, muss ich ehrlich zugeben. Das finde ich mittlerweile schon wieder fad, aber ich habe es einmal probiert. Ansonsten sind wir so deutlich eingespannt, dass wir nur ein bisschen schauen, wie es unseren Programmen [ im ORF, Anm.] geht. Also schaut man die anderen Sendungen, bei denen man nicht so involviert ist und natürlich auch andere Sender, um zu sehen, was die so machen. Das ist schon time-consuming, wenn man so will. Meine sonstigen Hobbies sind schwierig auszuüben im Moment. Ich gehe gern Snooker spielen, ein sehr exotisches Hobby, das geht im Moment aufgrund der Nähe zu anderen nicht. Fliegenfischen ist auch schwierig momentan - das dürfte man sogar, aber ich komme einfach nicht weg. Dass ich einfach ausbüchse, erlaubt die Arbeit momentan einfach nicht.
Danke für Ihre Zeit!Beitragsbild © ORF/Zeit im Bild
Von Astrid Wenz
Die Autorin empfiehlt ein ausführliches Studieren der Website science.orf.at - erst dann wird einem bewusst, wie viele spannende Themen es in der Wissenschaft gibt.
Aus der Online-Ausgabe SS20