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Der Widerstand der sudanesischen Frauen darf nicht vergebens sein

Der Krieg im Sudan ist auch ein brutaler Kampf gegen die Frauen, die sich politischen Raum erkämpft haben und zur Demokratie aufrufen / Von Lisa Westhäußer und Antonia Vangelista


Ich sitze jetzt draußen vor dem Haus. Wir sind über 50 Kilometer südlich von Khartum, aber ich höre die Bomben." Manal Alawal ringt nach den richtigen Worten, doch ihre Stimme bricht. Im Hintergrund dröhnen immer wieder Kampfhubschrauber, die Sprachnachricht endet abrupt. Kurz nach Beginn des Krieges im April kontaktieren wir Alawal zum ersten Mal, per Handy. Die Frauenrechtsaktivistin ist verzweifelt, sie versucht, sich, ihren Mann und ihre vier Kinder in Sicherheit zu bringen. Trotzdem nutzt sie die wenigen Stunden Strom und Internet am Tag, um uns Sprachnachrichten zu schicken. Sie will, dass die Welt erfährt, dass dieser Krieg mehr ist als ein rücksichtsloser Machtkampf zwischen zwei Männern in einem korrupten Staat.

Es waren vor allem Frauen und junge Menschen, die den Diktator Omar al-Baschir im Frühjahr 2019 mit friedlichen, entschlossenen Protesten aus dem Amt gejagt haben. Viele von ihnen warnen seitdem unermüdlich: Solange die Gewalt gegen Frauen und Mädchen im Sudan weitergeht und die Täter Teil der Übergangsregierung sind, kann es keinen Frieden geben. Und solange Frauen nicht ernsthaft über die Zukunft ihres Landes mitverhandeln, wird sich in dem nordost-afrikanischen Land nichts ändern.

Frauengruppen vernetzen sich, klagen Übergriffe an

Dass Omar al-Bashir sein Amt aufgeben musste, war ein riesiger, für viele überraschender Erfolg der Zivilbevölkerung nach monatelangen Protesten. Vier Jahre später, und einen Monat vor Ausbruch des Krieges, schwärmt die sudanesische Friedens- und Frauenrechtsaktivistin Eiman Abudamir: „Der Anker der Revolution sind junge Frauen Anfang 20. Sie sind wahre Kämpferinnen und setzen sich immer noch für ihre Ideale ein."

Mehr als die Hälfte der Protestierenden 2019 sind Frauen. Frauengruppen vernetzen sich, klagen sexuelle Übergriffe an und besingen die Einheit und den Mut des sudanesischen Volkes. Auch Manal Alawal ist als Aktivistin „in verschiedenen Frauengruppen rund um die Themen Frauenrechte und politische Teilhabe" aktiv. Eine Hilfe für die Frauen bei der demokratischen Revolution ist ihre langjährige politische Erfahrung: Schon zu britischen Kolonialzeiten und als der Sudan in den 1950er-Jahren unabhängig wird, gibt es eine starke Frauenbewegung, die etwa die Einführung des Wahlrechts und den Schutz von Müttern erkämpft. Während der fast 30-jährigen Diktatur von Omar al-Bashir ist sie vor allem im Untergrund aktiv.

Auslöser des Krieges

In der sudanesischen Hauptstadt Khartum bricht im April 2023 der Krieg aus zwischen dem sudanesischen Militär und der paramilitärischen Einheit „Rapid Support Forces" (RSF), angeführt vom De-facto-Staatsoberhaupt Abdel Fattah al-Burhan sowie von Mohamed Hamdan Dagalo, bekannt als Hemedti. Beide Parteien beschuldigen sich gegenseitig, für den Beginn der Kampfhandlungen verantwortlich zu sein. Gekämpft wird mittlerweile nicht nur in der Hauptstadt, sondern insbesondere auch in der Region Darfur im Osten des Landes, die schon seit Jahrzehnten von Unruhen erschüttert wird.

Die beiden militärischen Gruppen hatten zuvor eng zusammengearbeitet, insbesondere seit dem Sturz des Präsidenten Omar al-Bashir. So wollten sie in der politischen Umbruchphase ihre Macht sichern und verhindern, dass sie für frühere Gewalt-taten und Kriegsverbrechen, etwa in der Region Darfur oder auch während der demokratischen Proteste ab Ende 2018, zur Rechenschaft gezogen werden.

Das Militär setzt den Präsidenten im April 2019 offiziell ab und erklärt sich zur neuen Führung. Die demokratischen Träume der Sudanes:innen gehen damit aber keineswegs in Erfüllung. Sie errichten vor dem Sitz des Militärs ein Protestcamp, das RSF-Milizen zwei Monate später blutig auflösen.

Erst als die Afrikanische Union eingreift, einigen sich zivile Politiker und das Militär schließlich auf eine geteilte Übergangs-regierung für drei Jahre, bevor die Macht endgültig in zivile Hände abgegeben werden soll. Aber das Militär hält sein Wort nicht; stattdessen nehmen die Generäle immer wieder zivile Politiker fest. Premierminister Abdallah Hamdok gibt im Januar 2022 schließlich seinen Posten auf, weil keine Regierungsbildung möglich ist. Seitdem lenkt das Armeeoberhaupt Abdel Fattah al-Burhan faktisch die Geschicke des Landes, trotz andauernder Straßenproteste gegen die Militärführung.

Ende 2022 vereinbaren zivile Politiker und das Militär ein vorläufiges Abkommen, das schließlich doch einen demokratischen Übergang ebnen soll. Ein Teil des Abkommens: die Sondereinheit RSF soll in die reguläre Armee integriert werden. Abdel Fattah al-Burhan fürchtet offenbar, dass seine Einheit mit dem Sonderstatus auch ihren Einfluss verlieren würde. Der Zwist ist dann Auslöser der Kriegshandlungen im Frühjahr dieses Jahres.

Trotzdem werden die Stimmen der Frauen nach dem Sturz der Diktatur am Verhandlungstisch häufig übergangen. In der Übergangsregierung, die im Herbst 2019 eingesetzt wird, erhalten Frauen weniger als ein Viertel der Posten. Auch bei den Friedensverhandlungen waren und sind Frauen nur selten vertreten. Im südsudanesischen Juba verhandeln Militär- und Zivilvertreter im Herbst 2020 mit bewaffneten Widerstandsgruppen, damit diese ihre Waffen niederlegen. Während auf Seiten der Widerstandsgruppen auch Frauen präsent sind, fehlen sie auf den Sitzen der Regierung.

Die Frauenrechts- und Friedensaktivistin Eiman Abudamir hat dafür kein Verständnis: „Wie können sie die Friedensfrage diskutieren, als ob Frauen und ihre Rechte dafür keine Rolle spielen?" Sie organisiert mit Gleichgesinnten eine eigene Delegation, die sich nach Juba aufmacht: „Wir wollen als Frauen nicht nur repräsentiert werden, sondern uns selbst einbringen. Die zivile Regierung versäumt das leider immer wieder." Ihr zufolge stellt die Übergangsregierung Frauen viel zu oft als Opfer dar und unterschätzt ihr Potenzial als Entscheidungsträgerinnen.

Das Militär übergeht die Forderungen der Sudanes:innen, die für Demokratie und Frieden auf die Straße gehen. Auch die internationale Gemeinschaft wird der revolutionären Bewegung und den Frauen dahinter nicht gerecht: Als das Militär im Oktober 2021 die Macht an sich reißt, stellt die internationale Gemeinschaft zwar Hilfszahlungen ein, aber „sie hat schnell wieder Verhandlungen aufgenommen und die Generäle als zentralen Teil der politischen Lösung gesehen. Auch mit den Anführern der politischen Parteien wurde verhandelt, nicht aber mit denjenigen, die die Proteste angeleitet und die Revolution angetrieben hatten", sagt Anette Hoffmann, Sudan-Expertin beim politischen Thinktank Clingendael Institute in Den Haag.

Frauen gehen auf die Straße - unter Lebensgefahr

Gerade Frauen fehlen Hoffmanns Einschätzung nach am Verhandlungstisch: „Frauen wurden vor allem dann gehört, wenn der mediale Druck besonders groß war und man zeigen wollte, dass man sehr wohl auch mit der Zivilgesellschaft spricht." Umgesetzt werden Forderungen von Frauen für eine neue sudanesische Politik kaum. Dieses Muster besteht auch nach Ausbruch des Krieges fort: Hoffmann macht darauf aufmerksam, dass bei den Friedensverhandlungen, die die USA und Saudi-Arabien mit den Militärführern im saudi-arabischen Jeddah abhielten, auf sudanesischer Seite keine einzige Frau anwesend war.

Das Engagement und die politischen Erfolge der Frauen scheinen im jetzigen Krieg nicht mehr zu zählen - gerade sie leiden jetzt am meisten. „Es sind die Frauen, die in Khartum auf die Straßen gehen und unter Lebensgefahr Wasser für ihre Kinder auftreiben", sagt Manal Alawal. Familien, die bereits ihren Schmuck und andere Habseligkeiten verkauft haben, um sich etwa aus der Hauptstadt Khartum oder auch aus der Region Darfur ins Nachbarland Tschad in Sicherheit zu bringen, werden durch bewaffnete Milizen und Soldaten daran gehindert. Schon kurz nach Beginn der Kämpfe häufen sich zudem die Berichte über Vergewaltigungen als Kriegswaffe, insbesondere durch die paramilitärischen Milizen der „Rapid Support Forces" (RSF). Nicht nur Frauen, sondern auch ethnische Minderheiten, wie etwa eritreische und äthiopische Menschen, sind Ziel der sexuellen Gewalt.

Gewalt gegen Frauen zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte

Außerdem ist es eine Strategie der RSF, sich in den Häusern von Zivilist:innen zu verschanzen und von deren Dächern ihre Flugabwehrraketen abzuschießen. Laut Anette Hoffmann ist es kein Zufall, dass die RSF in den privaten Raum vordringt, der in der sudanesischen Gesellschaft traditionell ein Schutzort für Frauen ist. Denn in den vergangenen Jahren haben sich die sudanesischen Frauen in den öffentlichen Raum und auf die Straße vorgekämpft und haben friedlich, aber mit großer Entschlossenheit, zu Demokratie aufgerufen - was den Militärs gefährlich wurde. So kämpfen sie in dem aktuellen Krieg mit gnadenloser Gewalt nicht nur gegeneinander, sondern auch gegen die Zivilbevölkerung und insbesondere gegen die Frauen.

Aus der Sicht von Hala al-Karib zieht sich die Gewalt gegen Frauen wie ein roter Faden durch die Geschichte der Machtkämpfe im Sudan. Sie ist für den Sudan zuständige Regionaldirektorin der feministischen Organisation SIHA, der strategischen Initiative für Frauen am Horn von Afrika. Anfang der 2000er Jahre hat sie in der Konfliktregion Darfur Frauenorganisationen unterstützt. Die Bilder eines sechsjährigen Mädchens, das von Dschandschawid-Milizen vergewaltigt wurde, gehen ihr bis heute nicht aus dem Kopf. Aus den Dschandschawid gingen die RSF hervor, die Methoden blieben die gleichen - und das Schweigen über ihre Gewalt.

Die internationale Gemeinschaft schaut zu, beklagen Expertinnen

„Wie die Leute damals den Kopf in den Sand gesteckt haben, war eine Schande. Und ich denke, das, womit wir heute kämpfen, ist die Folge dieses Schweigens", sagt Hala al-Karib. Die Vergewaltiger wurden von der sudanesischen Regierung unterstützt, und auch nach dem Sturz von Al-Baschir hätten die zivilen Politiker die Milizen umworben, um sich ihren Teil der Macht zu sichern. Als die RSF nach Sitzblockaden gegen die Übergangsregierung Anfang Juni 2019 zahlreiche Zivilist:innen in Khartum erschießt und mehr als 70 Frauen - und Männer - vergewaltigt, bleibt das ohne Konsequenzen.

„Die Selbstgefälligkeit der zivilen Politiker, die einfach nur Teil der Regierung werden wollten, hat die Milizen und ihre Gewalt sehr bestärkt", erklärt Hala al-Karib. Und dieses Verhalten habe die RSF letztlich ermuntert, soweit zu gehen, wie sie jetzt gegangen ist. Auch, weil die internationale Gemeinschaft weggeschaut habe. „Im Ausland hat man die große Rolle von Frauen in der sudanesischen Revolution gefeiert. Aber niemand hat sich für den Preis interessiert, den die Frauen dafür zahlen mussten." So sieht es auch Anette Hoffmann vom Clingendael Institute: Statt einer euphorischen Rhetorik hätten andere Staaten entschieden und mutig auf die sudanesische Protestbewegung und die Frauen zugehen müssen.

Der friedliche Widerstand geht weiter

Der Preis, den die Frauen für die politischen Versäumnisse und den militärischen Machtkampf bezahlen, ist hoch. Manal Alawal hat inzwischen den Sudan verlassen. „Nie konnte ich mir vorstellen, einmal so eine Entscheidung treffen zu müssen", schreibt sie auf Whatsapp. Für die Flucht in den Südsudan hat die Familie ihr gesamtes Geld verbraucht, kaum etwas mitgenommen. Jetzt versucht sie, sich in der Hauptstadt des Südsudan, in Juba, ein neues Leben aufzubauen. „Hier ist es sicher, aber die Stadt ist völlig überfüllt und sehr teuer", berichtet sie.

Auch Hala al-Karib lebt inzwischen in Uganda. Im Gespräch wirkt sie niedergeschlagen und kämpferisch zugleich. Am Ende sagt sie: „Die Sudanesinnen sind sehr widerstandsfähig."

Das bestätigt Anette Hoffmann: „Während des Krieges geht der friedliche Widerstand weiter. Die Zivilbevölkerung demonstriert selbst jetzt und hält daran fest: ‚Dieser Krieg ist nicht unserer, er richtet sich gegen uns alle. Wir schließen uns keiner Seite an, sondern wollen Frieden und eine bessere Zukunft für den Sudan.'" Aber damit sie das erreichen können, fordert Hala al-Karib: „Auch ihr im Ausland müsst euch für uns einsetzen: Hört nicht auf, laut zu sein gegen die Gewalt im Sudan."

Diese Veröffentlichung wurde durch das Hedwig-Dohm-Recherchestipendium des Journalistinnenbundes ermöglicht.
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