was halten Sie von den folgenden vier Geschichtsanfängen?
„Die schusselige Sekretärin S vergisst, den Brief ihres Chefs und Unternehmers U abzuschicken."
„Der 55-jährige Zahnarzt Groll streitet mit seiner ehemaligen Freundin, der 20-jährigen Laborassistentin Emsig, über die Herausgabe einiger Luxusgegenstände, die er ihr angeblich nur geliehen haben will."
„Zur Aufhellung seines Lebensabends will Witwer Horst seine Dachgeschosswohnung umgestalten und an eine attraktive Studentin vermieten."
„Student A schlägt Student B in einer Bar zu Boden. Die Freundin von B ist so beeindruckt von diesem ‚animalischen Akt', dass sie sich dem Angreifer an den Hals wirft."
Ich hätte mich aber auch einfach in eine Jura-Vorlesung an der Uni Münster setzen können. Denn das nehme ich schon mal vorweg: Auch hier üben Studierende mit solchen kuriosen Beispielfällen.
Ist das ein Problem, außer dass die Texte ein wenig aus der Zeit gefallen wirken? Beeinflussen sie möglicherweise die Studierenden - und damit auch ihre spätere Arbeit als Anwälte und Richterinnen? Wie geht die Uni Münster mit dem Thema um?
Um diese Fragen zu beantworten, habe ich mit Jura-Studierenden, wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen und Professor:innen der Uni Münster und mit anderen Forscherinnen gesprochen.
Unkonzentriert in Vorlesungen oder Klausuren
Bei den weiblichen Studierenden ist der Tenor derselbe: Die Rollenbilder in den Beispielfällen vermitteln ihnen permanent das Gefühl, Frauen spielten eine untergeordnete Rolle - sowohl in der Rechtswissenschaft als auch in der Gesellschaft. Männer hingegen tauchten häufig in gesellschaftlich angesehenen Rollen auf. Nur vereinzelt hörte ich in meinen Gesprächen mit Studierenden, dass die Diskussion übertrieben sei und die Fälle einfach (teilweise) die Realität abbildeten - das sagten ausschließlich männliche Studierende.
In dem Brief schreiben sie, die Sachverhalte seien in mehrfacher Hinsicht diskriminierend. Frauen werden dem weiblichen Stereotyp entsprechende, untergeordnete (Neben-)Rollen zugewiesen: Sie treten fast ausschließlich als Ehefrau, Freundin, Nachbarin oder Mutter der handelnden Männer auf, aber kaum selbst als aktive Protagonistinnen, und sie sind seltener berufstätig. Und wenn doch mal eine „Unternehmerin U" in einer Fallbeschreibung auftaucht, scheint es kaum jemandem aufzufallen - bei der Fallbearbeitung wird meistens doch wieder von „dem U" gesprochen. In vielen Sachverhalten werden Frauen außerdem als hysterisch, tollpatschig oder vergesslich beschrieben.
In manchen Übungsfällen tauchen auch gar keine Frauen auf, und in den meisten Vorlesungsskripten, Arbeitsgruppen und Prüfungen werden weibliche Studierende konsequent in der männlichen Form angesprochen. Dabei seien die Hälfte der Jura-Studierenden an der Uni Münster Frauen, schreiben die Autor:innen in dem offenen Brief. „Wir wollen später einmal Richterinnen, Staatsanwältinnen, Rechtsanwältinnen, Professorinnen, Politikerinnen und Vorstandsvorsitzende werden, kurz gesagt: verantwortungsvolle und einflussreiche Berufe ausüben."
Die Rollenklischees könnten später die Arbeit der Jurist:innen beeinflussen
Geschlechterrollenstereotype sind „kognitive Strukturen, die sozial geteiltes Wissen über die charakteristischen Merkmale von Frauen und Männern enthalten", schreibt Valentiner. Oft geht es dabei um Erwartungen an Verhalten, Fähigkeiten, Einstellungen und Interessen von Männern und Frauen.
In der Diskussion um die Ausbildungsfälle ist oft das Argument zu hören, durch solche Klischees könnten sich Studierende den Lernstoff besser merken. Töpfer und Valentiner sind vom genauen Gegenteil überzeugt: Die Studierenden können den Stoff schlechter lernen, behalten dafür aber vor allem die Klischees im Kopf. Und das kann sich laut Valentiner unbewusst in der späteren juristischen Laufbahn bemerkbar machen. Dann wäre nicht nur die Ausbildungszeit betroffen, sondern auch die spätere Praxis, also zum Beispiel die Rechtsprechung. In Ausbildungsfällen zum Strafrecht seien Täter meistens männlich und hätten oft ausländische Namen, sagt uns Valentiner im Interview. Die Möglichkeit, dass eine Juristin später als Richterin deshalb mit Vorurteilen an echte Fälle herangehe, weil sich solche Klischees durch viele Wiederholungen verfestigt hätten, bereite ihr Sorgen.
Damit wir unser Angebot so wie bisher fortsetzen und am besten weiter ausbauen können, muss unsere Community größer werden. Die erste Etappe haben wir am 4. Juni 2021 mit Ihrer Hilfe schon erreicht, nachdem wir Sie im März das erste Mal um Ihre Unterstützung gebeten hatten. Für die ersten 1.750 Abonnent:innen schenken wir dem Jugendzentrum Black Bull in Münster-Amelsbüren jetzt einen ganztägigen Medienkompetenz-Workshop.
Bei den nächsten Meilensteinen (2.000, 2.250, 2.500) werden wir als Dankeschön weitere Workshops veranstalten. Genaueres dazu lesen Sie hier. Sie können uns dafür auch gern Organisationen vorschlagen, die Ihnen am Herzen liegen. Schreiben Sie uns dazu einfach an diese Adresse. Wie sich unsere Aktion entwickelt, teilen wir Ihnen ab jetzt regelmäßig in unserem Brief mit. Sobald Corona es zulässt und wir die ersten Workshops umsetzen können, werden wir diese auch dokumentieren.
Empfehlen Sie uns also fleißig weiter! Wenn jede und jeder von Ihnen nur drei Verwandte, Bekannte und Freund:innen anschreibt und für RUMS wirbt, können wir gemeinsam wachsen.
Immer, wenn Sie einen Brief besonders interessant finden, leiten Sie ihn gerne weiter. Wenn Sie dann noch dazuschreiben, dass die Empfänger:innen uns einfach abonnieren sollen, freuen wir uns umso mehr. Das Ganze haben wir noch einfacher für Sie gemacht: Sie können unsere Briefe per E-Mail oder Whatsapp teilen - beim Klick auf den entsprechenden Button unten öffnet sich in der jeweiligen App ein Fenster, in dem Sie einen Textvorschlag von uns finden, den Sie natürlich frei verändern können. Ebenso können Sie unsere E-Mails natürlich auch bei Facebook oder Twitter teilen.
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Ein ähnliches Beispiel: In diesem Strafprozess wollte eine Richterin wissen, ob eine ermordete Frau „ein Partygirl" gewesen sei - es ging um die Frage, ob der Freund der Frau sie möglicherweise aus Eifersucht umgebracht hatte, in solchen Fällen spricht man von einem Femizid.
Natürlich sind sexistische Klischees weit verbreitet und entstehen nicht erst durch Übungsfälle im Jura-Studium. Aber solche Sachverhalte können Klischees eben verfestigen.
Wie lässt sich das lösen?
Aber vielleicht passiert ja jetzt in Münster etwas?
Valentiner sagt uns im Interview, dass einige Universitäten in Deutschland bereits Leitfäden für AG-Leiter:innen oder Klausurersteller:innen anbieten oder in ihren Evaluationsbögen Fragen aufnehmen, die gender- und diversitätssensible Lehre betreffen. Ich habe bei meiner Recherche zum Beispiel Leitfäden zur gender- und diversitätssensiblen Fallgestaltung von den Rechtswissenschaftlichen Fakultäten der Uni Hamburg, Uni Frankfurt, Uni Bochum und Uni Berlin gefunden.
„Viel steht und fällt mit engagierten Leuten, die auch Einfluss nehmen können", sagt Valentiner. Hamburg habe etwa ein gut besetztes Gleichstellungsreferat, und dort arbeiteten Menschen, die wirklich etwas durchsetzen wollen. „Wenn es kein Herzensthema ist, will man sich nicht in Konflikte begeben. Ich kann jede verstehen, die zweimal darüber nachdenkt, ob sie das Thema anspricht." Trotzdem sei sie zuversichtlich, denn das aktuell noch sehr kleine Forschungsfeld habe wissenschaftlichen Nachwuchs in Aussicht. Wichtig sei dann außerdem, dass das Antidiskriminierungsrecht oder die feministische Rechtswissenschaft auch in den Lehrplan aufgenommen werden und keine randständigen Veranstaltungen bleiben.
Möglicherweise tut sich etwas bei den Jurist:innen in Münster
Es gibt also schon viele konstruktive Vorschläge. Werden die an der juristischen Fakultät in Münster denn umgesetzt?
So etwas gibt es aber immerhin auf der Seite des allgemeinen Gleichstellungsbüros der Uni, das Angebote und Programme für alle Fakultäten anbietet. Hier finde ich einen Leitfaden zur gendersensiblen Hochschullehre, in dem auch die Studie von Dana-Sophia Valentiner verlinkt ist. Die AG für Lehre & Didaktik hat den Leitfaden geschrieben und auch auf ihrer eigenen Seite verlinkt.
Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft schreiben dort, der Leitfaden richte sich „an alle Lehrenden, die sich näher mit der Grundidee geschlechtersensibler Hochschullehre beschäftigen möchten". Möchten die Professor:innen der rechtswissenschaftlichen Fakultät das denn? Den offenen Brief der Student:innen haben immerhin viele in ihren Freund:innen- und Kolleg:innenkreisen geteilt, um auf das Problem aufmerksam zu machen. Zwei Jura-Professoren, Stefan Arnold und Mark Deiters, haben außerdem zu Diskussionsrunden eingeladen. Es kamen allerdings hauptsächlich Studierende, kaum Professor:innen.
Für Stefan Arnold vom Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Rechtsphilosophie und Internationales Privatrecht ist das Thema gendersensible Lehre nicht neu. Er sagt uns im Interview, dass er schon lange in seinen Fallkonstellationen mit Stereotypen spielt, indem er sie umdreht. Er habe dafür viel Zuspruch bekommen, vereinzelt aber auch negative Rückmeldungen von männlichen Studierenden bekommen, weil immer von einer Richterin die Rede sei und nie von einem Richter - inzwischen nenne er deshalb wieder häufiger auch männliche Richter.
Mark Deiters vom Institut für Kriminalwissenschaften erzählt uns, dass er sich anfangs über den offenen Brief und den Vorwurf der sexistischen Diskriminierung gewundert hat. Für ihn sei das nie ein Thema gewesen, erst die Studierenden hätten ihn auf das Problem aufmerksam gemacht. Auch beim Dekan der rechtswissenschaftlichen Fakultät, Matthias Casper, haben die Verfasser:innen des Briefes offenbar etwas erreicht. Casper sagt uns, er habe sich intensiv mit dem Thema beschäftigt und sich mit der Gleichstellungskommission beraten. Nun soll ein Maßnahmenkatalog erarbeitet werden. Es scheint also, als gäbe es Perspektiven. Aber wahrscheinlich braucht es noch etwas Geduld.
Die Wocheninzidenz (Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner:innen in sieben Tagen) pendelt in Münster weiterhin um die 20, heute meldet die Stadt einen Wert von 17,8. Seit gestern gab es 23 Neuinfektionen, insgesamt gelten 113 Menschen aus Münster als infiziert. In den Krankenhäusern in der Stadt werden sechs Covid-Patient:innen behandelt, zwei mehr als am Freitag.
Weiter unten im Haus, in der Deli Lounge, gibt es übrigens auch Kaffee ohne Alkohol. Die Kaffeesorten für die Lounge wurden sorgfältig (und medienwirksam) von Münsteraner Prominenz mit ausgewählt, hier können Sie sich das anschauen. Wir wünschen viel Spaß, gute Getränke und eine schöne Aussicht!
Wenn Sie jetzt auch Lust haben, sich zu bewegen, gucken Sie doch mal ins Sommerprogramm des Hochschulsports. Für die nächsten zwei Monate können Sie sich von Akrobatik bis Zumba noch viele Restplätze sichern. Und zwar auch dann, wenn Sie mit der Uni gar nichts zu tun haben: Neben Preisen für Studierende und Beschäftigte der WWU gibt es immer auch Tarife für Gäste. Sportklettern ist zwar nicht dabei, aber Sie können neben den Klassikern auch einige eher exotische Sportarten ausprobieren. Zum Beispiel die chinesische Kampfkunst Baguazhang, die Sie kräftiger und gelenkiger machen soll. Vielleicht möchten Sie aber auch beim Quidditch auf einem Besenstiel übers Feld fegen oder zu brasilianischen Klängen oder mittelalterlicher Musik tanzen.
Am Freitag schreibt Ihnen Constanze Busch. Ich wünsche Ihnen eine schöne Woche.
Mitarbeit: Constanze Busch, Eva Strehlke